Zwischen Zentrum und Peripherie
Interview mit Gemma Shedden, Stefan Nikolaev, Sandie Tourle und Eric Frost Tabuchi von "Glassbox"
Mit "Glassbox" arbeitet Ihr in einer Art Galeriesituation, dennoch sind diese Räume hier nicht als Galerie definiert. Wie arbeitet Ihr als Kollektiv, und wieso arbeitet Ihr in dieser Form?
Glassbox: (Stefan Nikolaev) Glassbox wird ausschließlich von Künstlern verwaltet. Es ist vielleicht der erste Raum seiner Art in Paris, und keine kommerzielle Galerie, sondern ein Ort, wo wir Kunst lediglich "zeigen". Diese Ausstellung von Sidney Stucki ist die erste "Techno-Show", die wir im Programm haben, wobei wir prinzipiell die Glassbox als einen Raum nutzen, in dem wir Arbeiten zeigen, die uns gefallen, darunter auch unsere eigenen...
Wie sind Eure ökonomischen Bedingungen?
Glassbox: (Stefan Nikolaev) Unsere finanzielle Lage ist nicht einfach, wird aber gerade etwas besser. Wir haben in den Cafés und Bars in dieser Gegend ein paar private Sponsoren gefunden, zusätzlich gibt es Freunde, die unsere Arbeit unterstützen. Auch haben wir kürzlich einen Zuschuß vom Staat bekommen.
In einem Gebäude wie diesem muß die Miete aber doch recht hoch sein?
Glassbox: (Stefan Nikolaev) Glücklicherweise hält sich die Miete hier in Grenzen, da das Gebäude der Stadt gehört.
Glassbox: In der Ausstellung, die gerade bei Euch läuft, zeigt Ihr einen schweizer Künstler der auch als DJ arbeitet. Geht es Euch dabei darum, Kunst und DJ-Culture zusammenzubringen, so wie es in den letzten Jahren oft versucht wurde? Wieso zeigt ihr einen DJ in einem Kunstzusammenhang?
Glassbox: (Stefan Nikolaev) In diesem Fall ist es eher andersherum: Für diese Ausstellung ist das Bild wichtiger als die Musik. Es ist also eher eine klassische Ausstellung, als daß es darum ginge, eine Art Sound/Ambient-Mix herzustellen. Diese Arbeit hier ist eher von der Wandmalerei her zu denken, von Bild und Graphik. Die Musik kommt dann lediglich hinzu, um seinen...
(Sandie Tourle)...minimalistischen Ansatz zu unterstützen.
Wie sieht Eurer Programm sonst aus, welche Künstler unterstützt ihr mit Eurer Arbeit?
Glassbox: (Stefan Nikolaev) In diesem Jahr werden wir noch 3 Einzelausstellungen zeigen, darunter mit Georges Tony-Stoll, einem Pariser Künstler. Wir zeigen aber auch viele Arbeiten internationaler Künstler. Vor allem geht es uns auch darum, mit ähnlichen Räumen außerhalb Frankreichs zusammenzuarbeiten, um auch auf einem internationalen Level präsent zu sein. So haben wir etwa unsere eigenen Arbeiten auch schon außerhalb gezeigt.
(Eric Frost Tabuchi) Technoculture ist dabei jedoch nicht unser Hauptinteresse. Wir betrachten Technoculture so, wie wir alles andere betrachten: "Sie existiert". Für mich bleibt es weiterhin sehr künstlich, Technoculture mit zeitgenössischer Kunst zu verbinden. Es gibt eigentlich keinen adäquaten Weg, Sound und Bild zu mixen. Ich glaube, das war in den 60er Jahren nicht anders: Jimi Hendrix war kein Künstler, so wie Edward Ruscha kein Popstar war. Dennoch gibt es natürlich eine Wechselbeziehung.
Geht es in der Glassbox vor allem um Reflexionen und Austesten?
Glassbox: (Stefan Nikolaev) Kunst handelt immer von Reflexion und Austesten. Die erste Reflexionsstufe von Kunst ist, grundsätzlich alles in Frage zu stellen. Der gute Aspekt an Glassbox ist, daß wir hier tatsächlich versuchen können, so viele Dinge wie möglich zu hinterfragen, und es mit dieser Ausstellung gerade wieder tun, nämlich eine mögliche Annäherung von Sound und Bild. Glassbox bleibt eine Art Labor, was sehr anregend ist, denn viele andere Räume vergessen das dauernde Testen.
Es geht Euch also eher um den Prozeß als um das Produkt?
Glassbox: (Stefan Nikolaev) Genau. Schließlich befinden wir uns am Ende des Jahrhunderts, da muß man in diese Richtung arbeiten.
Es wurde in letzter Zeit viel über neue Kunsträume in Paris wie diesen hier geschrieben: Technikart, Le Figaro...
Glassbox: (Stefan Nikolaev) Ja, es passieren tatsächlich neue Dinge. Auf der anderen Seite stimmt das auch nicht ganz, denn wir starteten vor über einem Jahr und waren damals die ersten dieser Art. Nun gibt es mindestens 2 Orte, die ähnlich arbeiten, wie wir.
(Eric Frost Tabuchi) Es handelt sich bei diesen Pressetexten oft um das Aufstellen eines Slogans. Vieles davon ist eher Fiktion als Realität.
(Stefan Nikolaev) Nimm zum Beispiel die Überschrift einer der Artikel: "Paris is Burning". Das stimmt einfach nicht. Es "brennen" viel mehr Dinge in Berlin oder London, oder in den Staaten, wo es seit über 25 Jahren brennt.
(Sandie Tourle) In Paris brennt nur eine kleine Flamme.
(Stefan Nikolaev) Ja, wir zünden hier ein paar Streichhölzer an .
Warum glaubt ihr, daß die Flamme so klein ist?
Glassbox: (Stefan Nikolaev) Weil man sie leicht ausblasen kann.
(Sandie Tourle) Das hat verschiedene Gründe. Einer ist die Position des französischen Staates zu kulturellen Aktivitäten. Das hat Paris für lange Zeit zu einem stagnierenden Ort gemacht.
(Stefan Nikolaev) Dies hier ist nicht Deutschland oder die Schweiz. Dort wirst du Künstler finden, die sehr ausdauernde Communities erarbeitet haben - was auch auf die Gay Community zutrifft, die etwa in den Staaten wesentlich stärker ist als hier. Paris ist eine sehr softe Stadt, aber ein netter Ort, um zu leben, sehr charmant.
(Gemma Shedden) Für viele Jahre war das Leben in Frankreich sehr einfach. Es fiel daher sehr leicht, nicht die Initiative zu ergreifen und Dinge selbst ins Leben zu rufen. Dies hatte natürlich eine Art Stillstand zur Folge.
(Eric Frost Tabuchi) Frankreich ist, im Gegensatz zu Deutschland oder der Schweiz, sehr zentralistisch. Und Paris ist das Zentrum des Königreichs. Dementsprechend teuer ist es, im Zentrum von Paris einen Raum wie diesen unterhalten zu können. Wir befinden uns daher in einer sehr glücklichen Lage. Aber es wäre unmöglich, den gleichen Raum etwa in La Bastille oder Saint-Germain zu haben. Und in der Banlieu kann man einfach nicht dieselben Dinge machen, wie in Paris. In Berlin oder Düsseldorf scheint mir das anders zu sein: Dort gibt es keine Mauer zwischen Zentrum und Peripherie.
Womit verdient Ihr Euer Geld?
Glassbox: (Sandie Tourle) Wir vier sind Künstler. Dabei haben sich drei von uns auf der Kunsthochschule kennengelernt. Unser medialer Hintergrund ist also ähnlich, abgesehen von der Tatsache, daß wir alle aus verschiedenen Teilen der Welt kommen. Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Dieser Raum nimmt auf jeden Fall einen großen Platz in unserem Leben ein, er verlangt auch viel Energie. Der Rest unseres Lebens arrangiert sich irgendwie um diesen Raum herum...
(Gemma Shedden) Wir leben mehr oder weniger von der Hand in den Mund. Wie viele andere Künstler auch, machen wir hier und da unsere Jobs. Keiner von uns hat einen festen Job mit fünf Tagen in der Woche.
(Stefan Nikolaev) Ab und zu arbeiten wir auch zusammen außerhalb der Glassbox, aber doch noch in einem Glassbox-Kontext. Dabei fällt manchmal Geld ab, das wir an Glassbox zurückleiten, hauptsächlich zugunsten der Auslagen. Irgendwie trägt sich das selbst. Manchmal verkauft auch jemand von uns eine Arbeit, andere arbeiten in einer Galerie oder als Art Consultant.
(Sandie Tourle) Ich finde es sowieso interessanter, verschiedene Tätigkeiten zu selben Zeit auszuüben.
(Gemma Shedden)...wovon am Ende des Tages oft aber nicht viel übrigbleibt...
Habt Ihr je daran gedacht, Euer Geld kollektiv zu verdienen?
Glassbox: (Stefan Nikolaev) Das wäre wiederum ein sehr deutsches oder schweizer Modell, diese kollektive Denkart. Ich glaube, wir sind mehr oder weniger Individualisten. Es ist Paris, das die Menschen zu Individualisten werden läßt.