Zwischenbilanz zu Rammstein und Lindemann: Viel Aufregung, wenig Rechtsstaat

Lindemann, hier 2014. Bild: Aurélien Glabas, CC BY-NC-ND 2.0

Debatte um Band hat sich verselbstständigt. Kritiker handeln mit viel Verve und wenig Selbstkritik. Das könnte verheerend sein. Ein Telepolis-Leitartikel.

Der Fall Rammstein, dessen mediale Wahrnehmung bereits wieder abebbt, offenbart exemplarisch eine schwelende Krise des Rechtsstaates. Eine Krise, die immer auch als Indiz für eine grundsätzliche gesellschaftliche Fehlentwicklung verstanden werden muss.

Dazu trägt bei, dass führende Medien, die eine Affäre aufgegriffen und forciert haben, von der sich derzeit noch nicht mit Sicherheit sagen lässt, ob sie sich als Skandal oder als Kampagne erweisen wird, hinreichend zu erklären versäumt haben, was notwendig wäre, um die einerseits noch vermuteten und andererseits durch eingestellte Ermittlungen entkräftet scheinenden Vorwürfe gegen den Rammstein-Frontmann Till Lindemann rechtsstaatlich aufzuarbeiten und gegebenenfalls zu ahnden.

Stattdessen attackieren sie den Versuch, die emotional aufgeheizte Kontroverse rechtsstaatlich einzuhegen. So wurde in den vergangenen Tagen die normalste Sache der Welt, nämlich dass sich ein Beschuldigter, in diesem Fall Lindemann, von einem Anwalt vertreten lässt, in letzter Konsequenz selbst zum Straftatbestand umgedeutet. Und das ist bedenklicher, als es auf den ersten Blick scheint.

Lindemann hatte, wie auch Telepolis berichtete, die Berliner Presserechtskanzlei Schertz Bergmann mandatiert. Diese kam ihrem Auftrag nach und kündigte Abmahnungen an, sollten unzulässige Tatsachenbehauptungen über ihren Mandanten verbreitet werden. Einige solcher Schreiben wurden auch verschickt. So weit, so rechtsstaatlich. Nur nicht aus Sicht einiger Medienakteure.

Das Portal Übermedien etwa, das sich in den vergangenen Jahren mehrfach auf den journalistischen Leitsatz "Sagen, was ist" berufen hat - auch wenn er dort mal originär Joachim Friedrich, mal Rudolf Augstein zugeschrieben wurde -, bekräftigte den Vorwurf, durch das geschilderte Vorgehen würden mutmaßliche Opfer von Sexualdelikten eingeschüchtert, der Branchennewsletter Kress griff den Vorwurf auf. Das kommt dem Vorwurf von Nötigung oder Bedrohung gleich.

Beharren auf Regeln als "Einschüchterung"

Kaum jemand hinterfragt dieses Narrativ und stellt Fragen. Zum Beispiel: Wie kann es sein, dass eine – wenn auch nachdrücklich formulierte – Ermahnung, sich als Profi in der redaktionellen Berichterstattung und als Laie in sozialen Netzwerken an presserechtliche Normen zu halten, eine Einschüchterung darstellt?

Gegenthese: Spricht aus dieser Auffassung nicht eher ein problematisches Verhältnis zum Rechtsstaat, der regelrechte Versuch, sich von historisch ausgehandelten (wenn auch immer verbesserungs- und überprüfungsbedürftigen) Regeln zu befreien?

Und wenn dem so wäre? Was wäre, gelänge dies, noch der Kitt, der eine regelbasierte Gemeinschaft zusammenhalten und ein friedliches und gerechtes, weil willkürfreies Zusammenleben garantieren könnte?

Telepolis-Autor Rüdiger Suchsland hat kürzlich darauf hingewiesen, dass die Berichterstattung im "Fall Rammstein" oder auch im "Fall Lindemann" mitunter eher dem Motto "Sagen, wie wir es gerne hätten" folgt. Das betrifft die Inhalte, aber auch den geforderten Umgang mit den unmittelbar Betroffenen.

Und tatsächlich: Ein genauer Blick auf die Berichterstattung bestätigt dies. Wenn es beim NDR etwa drei Journalisten braucht, um Dokumente zu recherchieren, die "Teile der Vorwürfe belegen sollen", also im Grunde keine Aussagekraft haben. Wenn beim Spiegel 13 - in Worten: dreizehn - Journalisten an einer Titelgeschichte arbeiten, die vorgibt, sich auf zwei Dutzend Aussagen zu stützen, wenn am Ende nur noch von einem Dutzend Aussagen die Rede ist und der Text genau drei mutmaßliche Opfer zitiert.

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