Zwischendurch: neue, junge Literatur
Die beiden Literatur-Web-Sites "Pool" und "Forum der Dreizehn"
"Pausen sind das schönste im Leben", hat schon der berühmte deutsche Philosoph und Schlagersänger Roy Black Mitte der siebziger Jahre festgestellt und damit einen Lebensmodus auf den Begriff gebracht, der ein Vierteljahrhundert später aktueller ist denn je: keine großen Strecken mehr, bitte, keine großen Geschichten, lieber kleine Riegel, Häppchen, die zwischendurch konsumiert werden können - in den schönsten Augenblicken des Lebens.
WHITE SPACE
Salzscharfe Augenblicke formen die Kristalle unserer Poesie
38 - 50 Regular
38 - 44 Short
40 - 50 Long
tom kummer los angeles, - 22.03.00 at 17:52:48
Nicht verstanden ? Macht nichts, nicht alles, was es im Pool zu lesen gibt, erschließt sich beim ersten Lesen. Es dauert bei manchen Texten einige Zeit, bis man "dahinter" kommt, wie der Autor das Wortmaterial einsetzt. Und manchmal gibt's da auch gar nichts "Sinnvolles" zu verstehen. Wer will schon jede Zeile eines Songtextes auf Sinn und Bedeutung abklopfen ? Die Texte, die in "Pool" erscheinen, haben oft Ähnlichkeit mit Popsongs: Sie sind kurz, sie wollen knallen und sie wollen etwas ins Alltagsbewußtsein zurückholen und im Alltagsleben aufleuchten lassen, was viele im Laufe ihres erwachsenen Lebens gar nicht mehr wahrnehmen. Damit kein Missverständnis aufkommt: die Autoren von "Pool" sind ebenfalls erwachsen. Die meisten von ihnen arbeiten als professionelle Schriftsteller und das merkt man ihren Texten an. Ob das nun kurze, scharf beobachtete Szenen aus Berliner-Milieus sind oder aus der New Yorker Bohème, Insights von den Demonstrationen 1999 in Seattle gegen die WTO, oder Münchner Pop: solche Mini-Erzählungen machen den "Pool" zu einem der derzeit interessantesten Zwischenstopps im deutschsprachigen Netz.
Die Teilnehmer bzw. eingeladenen Gäste von "pool" gehören zum Teil zu den Stars der im Herbst vom SPIEGEL ausgerufenen "Neuen Generation" der deutschen Literatur wie etwa: Christian Kracht, Elke Naters, Robby Dannenberg und Benjamin Lebert. Aber auch mittlerweile etablierte Vorreiter der sogenannten Pop-Literatur schreiben für den "pool", so z.B. Rainald Goetz und Andreas Neumeister. Und nicht zu vergessen: Helmut Krausser, der einem größeren Publikum durch die Verfilmung seines Romans "Der große Bagarozy" bekannt sein dürfte. Sehr lesenswert sind auch die ehemaligen TEMPO-Autoren Andrian Kreye und Tom Kummer. Ein exklusiver Kreis also, der sich dementsprechend manchmal auch so darstellt. An Narzissmus-Mangelerscheinungen leidet hier keiner.
Auch das Forum der Dreizehn weist eine für die aktuelle deutsche Literatur beachtliche Besetzung auf. Die Teilnehmer des Forums sind weniger populär als ihre Kollegen vom "pool", woraus aber nicht der Schluss zu ziehen ist, dass sie kein Renommée hätten. So ist beispielsweise der Forum-Autor Norbert Niemann ein Ingeborg-Bachmann-Preisträger und der zur Zeit vergnüglichste Gast des Forums, Joachim Lottmann, Autor des satirischen Gegenwartsromans "Deutsche Einheit", ist der Egon-Kisch-Preisträger von 1998.
Während sich der "pool" cool und hip gibt, als ein trendgerechter Mix aus Salon und Club, ist das Design des "Forum der Dreizehn" dagegen viel weniger image-orientiert, spröder, bodenständiger und für den Leser leider weniger übersichtlich (ein Relaunch ist gottseidank gerade in Vorbereitung). Man erkennt sofort: hier geht's um Grundsätzliches, um eine unkorrumpierte Haltung, um Kritik, Gegenmodelle, Überlegungen zur Lage. "Schubumkehr" heißt denn auch der Titel der grundsätzlichen Erklärung vom Treffen der Dreizehn zur neuen Literatur im Netz:
"Während die Autoren von Wettbewerb zu Wettbewerb, von Werkstattgesprächen zu Büchertagen und zurück durchgereicht werden,kristallisiert sich immer deutlicher heraus, daß es in dieser ach so blühenden Landschaft an etwas Wesentlichem mangelt. Denn die rasante Warenzirkulation und eine blinde Betriebsbeflissenheit haben der Literatur den Boden entzogen, den sie braucht, um sich über die Dominanz der Institutionen und des Marktes hinaus in ihrem Gesamtkontext entfalten zu können, sich über sich und ihr Verhältnis zur Gegenwart zu verständigen. Schließlich sind es längst nicht mehr die Autoren, die Literatur definieren. Vielmehr werden die Autoren und damit die Literatur von den herrschenden Verhältnissen definiert. Die Gründungssitzung der Dreizehn stand unter dem Leitstern, das Modell für ein regelmäßig stattfindendes Treffen zu entwerfen, an dem ausschließlich Autoren teilnahmeberechtigt sind und mit dem sich etwas von diesem verlorengegangenen Boden zurück oder neu gewinnen läßt. In einer konstituierenden Versammlung wurde versucht, ein Statut zu erarbeiten, das vor allem den jüngeren Autoren ihre Stimme zurückgibt." Heiner Link/Norbert Niemann
Mag sein, dass "Pool" eine ähnliche Motivation zugrunde liegt. Auch hier geht es schließlich darum, jungen Autoren einen öffentlichen Platz zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Stimme jenseits der dominanten Marktmechanismen verlauten lassen können. Das Statement der Pool-Betreiber Elke Naters und Sven Lager, das im mittlerweile stillgelegten ambitionierten Literaturforum "Null" des Dumont Verlags veröffentlicht wurde, schlägt jedoch einen ganz anderen Ton an:
"Der tatsächliche Muff aber der Schöngeistigkeit, der der Literatur anhaftet, dann das lange Warten auf das Erscheinen unserer Bücher und das trotzdem immer weiter schreiben wollen, dasein wollen, der Wunsch als Schriftsteller den Prozess des Schreibens öffentlich machen zu können, all das brachte uns auf die Idee zu pool." Sven Lager
In einem kürzlich erschienen Beitrag im pool - typisch für beide Foren ist, dass das Selbstverständnis darüber, was man vorhat und was man gerade macht, immer wieder neu zur Debatte steht - wird Lager noch deutlicher:
DER POOL: Wer will was lesen? Warum? Ich wollte ich könnte jeden Tag den Menschen ins Gesicht schreien: LEST POOL, ihr gottverlassenen KRÜCKEN! Wo sind eure verdammten INTERESSEN? Was kann es Besseres geben: Schriftsteller und Künstler, JETZT, an einem Ort, täglich? Der Haken: da draußen sind noch mehr Menschen, die etwas von ihrer Arbeit verstehen, von ihrer Kunst, die wichtig sind für das tägliche: DENKEN GLÜCK WISSEN. Wo sind sie? Wir hier können erst der Anfang sein. Klartext: Wir sollten sie einladen, jeder von uns, für einen Monat, eine Woche, einen Tag und dann werden sie gefragt, Fragen stellen, antworten: ES wird gemeinsam GEDACHT, lässig, deutlich, klar.
"Lässig" ist Programm am pool. Dort stört es die Teilnehmer auch nicht weiter, wenn sie aneinander vorbeischreiben und überhaupt nicht auf das eingehen, was ihre "Kollegen" zuvor geschrieben haben. Dass manche Autoren unbeirrt an ihrem "Sound" festhalten, egal, auf welchen Vorgängertext sie treffen, führt oft zu unfreiwilliger Situationskomik - eben wie auf einer Party. Im Forum dagegen wird neben ähnlich gearteter Alltags-"Poesie et Prose" so munter miteinander diskutiert, dass sich die Diskussionen bisweilen beinahe wie ein Chat lesen lassen.
So entsteht Tag für Tag im "Forum" und im "pool" ein immer größerer "Soundteppich", aus vielen verschiedenen Stimmen von Autoren, die hier lockerer zur Sache gehen können als in ihren Büchern. Da die Schriftsteller im Netz nicht ihre Arbeit vorstellen, sondern vielmehr das, was neben der Arbeit an einem Roman, einer Erzählung oder einem Stück so "abfällt"1, verleiht ihren Texten bei allem "Tiefgang", der vor allem im "Forum" nicht zu kurz kommt 2 eine angenehme Leichtigkeit, die allerdings manchmal dann doch in parfümierte Schöngeistigkeit umschlagen kann:
In der Parfümerie Frosch, später Vormittag. Draussen regnet es. Eine Angestellte ist auf der Leiter mit dem Sortieren der obersten Reihe des Linique-Regals beschäftigt. Frau Frosch schaut mich von unten an, und auf meine immer wiederkehrende Frage nach Restbeständen des nunmehr seit einem halben Jahr nicht mehr erhältlichen Parfums Jil Sander Man schüttelt sie traurig den Kopf und meint: "Eine Tragödie, der Verkauf an Lancaster. Aber es ist überall. Ach, wenn Sie wüßten, wie es erst bei Guerlain aussieht...". Als dann auch noch der roll-on aus der grauen Linique-Serie fehlt, packt sie mir folgende unriechbare Proben in die Tüte: "Sirène", von Vicky Tiel, "Python", von Trussardi, "L' eau de Sonia Rykiel", ein blaues Plastik-T-Shirt, zu dem der Herrenduft "Rykiel homme" in einem lila Plastik-T-Shirt verpackt ist und die "Happy Birthdays"-Dose mit stop-sign-creme von Linique. Auf der Heimfahrt, im Radio, Madonnas "Living in a material world". Als das Lied vorbei ist, hupe ich grundlos. Zu Hause Kopfschmerzen nach der obligatorischen Duftkontrolle. Eckhart Nickel Heidelberg, - 16.03.00 at 14:05:10
Ob die Miniaturen im Forum oder pool das Etikett "neue Literatur" vertragen, ist natürlich eine müßige Frage, die auch die Absichten der Betreiber verfehlt. Dass es diesen aber mittlerweile gelungen ist, eine an Literatur interessierte Öffentlichkeit herzustellen, und zwar unabhängig vom Urteil der "großen", alterwürdigen Literaturkritik, beweist die eifersüchtige, auf jeden Fall überzogene Reaktion der ZEIT-Kritikerin Iris Radisch, die gegen die Schriftsteller, die das neue Medium für ihre Zwecke erproben, heftig polemisierte:
Wer im gemachten Netz sitzt, ist für die Literatur verloren. Der betreibt, recht unromantisch, Inzest auf Papier. Soll vor Alter und Einsamkeit schützen. Wird gern mit Literatur verwechselt.
Kann gut sein, dass die Jurorin des Ingeborg-Bachmann-Preises hier eine neue Entwicklung nicht verstehen kann oder will. Es bleibt abzuwarten, ob die beiden Literatur-Sites tatsächlich eine literarische Gegenöffentlichkeit zum herkömmlichen Literaturbetrieb bilden können. Zu hoffen wäre es jedenfalls: frischer Gegenwind dürfte den vielfach arg verzopften Feuilletons nicht schaden. Netz und Zeitungen sind keine wirklichen Konkurrenten für Leser und solange die im Netz etwas lesen wollen, was in einer zum Medium passenden Form formuliert ist, spielerisch, manchmal intellektuell, nicht allzu ernst, weder fachchinesisch, noch marktschreierisch, können sie am "pool" oder im "forum" eine anregende Zwischenpause verbringen. Manchmal reicht das schon...