Zwischenstopp bei Adorno, Max und Ötzi
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Weitere Überlegungen zum Thema Milch
Zu Teil 1: Das weiße Gift
Zu Teil 2: Gene und kulinarischer Opportunismus
Es war amüsant, die Reaktionen der TP-Leser zu den ersten beiden Folgen dieser Serie zu lesen. Da die Redaktion, anders als noch vor Jahren, urlange Texte nicht mehr am Stück serviert, sondern sie nach der Salami-Taktik in kleinere Häppchen zerschnippelt, ärgerten sich viele Forenten, wenn da mitten im Text ein "Fortsetzung folgt" stand. Das Thema, "Milch" schien sie zusätzlich zu verärgern, und ich fühlte mich ein wenig an jene Zeit vor 50 Jahren erinnert, als die aufsässigen Studentinnen in Frankfurt den armen Professor Adorno mit entblößten Brüsten umtanzten. Denn, völlig egal, dass der Mann mit zweitem Vornamen "Wiesengrund" hieß - ein Näheverhältnis zu Milch oder Eutern schien er nicht gehabt zu haben.
Angeblich war es genau diese Busengeschichte, die ihm zuletzt sogar das Lebenslichtlein ausblies. Ich hab mal nachgesehen, ob in irgendeinem der Adorno-Bücher, die ich habe (so viele sind es nicht) — ob da irgendwo etwas über "Milch" zu finden ist? Na, tatsächlich gibt es ein Zitat, und das lautet so, die Kleinschrift im Original: George wittert in Hofmannsthals für sich Stehen "die ausgespitztheit die sofort aus der milchstraße butter machen und für die jeweiligen marktbedürfnisse herrichten will"; etc. Das ist noch nicht viel, aber das restliche Buch lohnt sehr wohl das Wühlen in Antiquariaten, deswegen sei es hier als Empfehlung und als Illustration hingesetzt.
Nun erinnert man sich, dass es im Jahr 67 bei der damaligen Sponti-Szene auch die skandierten Verse gab: "Wir werden vielleicht pasteurisiert werden, aber niemals homogenisiert", bzw. umgekehrt, "Wir werden vielleicht homogenisiert werden, aber niemals pasteurisiert." Die nichtssagende Dummheit dieser Sprüche ergab sich daraus, dass niemand wusste, was der eine oder andere Begriff eigentlich bedeutete, aber auf jeder Packung Milch standen diese beiden Zauberworte mittlerweile abgedruckt. Auf der Suche nach "pasteurisiert" heißt es nun auch in den anderen Adorno-Texten: "Keine Treffer gefunden". "Homogenized" finde ich dagegen in einem englischen Band, "Adorno and Democracy" — gleich mehrfach. Adorno betrachtete die Homogenisierung als charakteristisches Merkmal der amerikanischen Gesellschaft im Kapitalismus. Allerdings wiederum nicht im Kontext mit Milch.
Weiter mit Max, nicht Marx.
Umgekehrt bei Max. Das ist hier kein Druckfehler für "Marx", was ja die Nachbarschaft zu Adorno nahelegen könnte, sondern es geht um "Mad Max", den Helden der "Mad Max"-Filmserie aus den späten 70ern, frühen 80ern. Die Serie fand mit einem vierten Film im Jahr 2015 eine Fortsetzung und ihren Höhepunkt, markiert nicht zuletzt durch einen Oscar für diesen "besten Film des Jahres". Es gibt exzellente Kritiken und Zusammenfassungen bei Wikipedia und YouTube, auf die ich hier nur einen Fingerzeig gebe. Ich selber sehe den Film als turbulente Post-Kapitalismus-Oper, für die auch sehr wohl die neutönerischen Kompositionen Adornos hätten herhalten können, gibt es doch im Film auch tableaux vivants à la Salvador Dali und ähnlichen Schnickschnack mehr. Vor allem aber gibt es hier, im großen Stil, die nachgetragene Pasteurisierung der Kapitalismuskritik, nicht allein die Homogenisierung, wie bei Adorno.
Die Milch wird in Mad Max 4 — Fury Road auf ihre Grundsubstanz reduziert, bzw rekurriert —also, bildungssprachlich gesprochen, wird hier auf etwas früher Erkanntes, Gesagtes o. Ä. zurückgegangen, Bezug genommen [und daran angeknüpft]—- nämlich auf die menschliche Muttermilch.
Zwei Szenen im Film stechen dabei besonders hervor. In der einen Szene vermeint man, sich in einen frühen expressionistischen deutschen Film (wie Fritz Langs Metropolis) zurückversetzt zu finden. Da, in einem dieser gigantischen australischen Junk-Vehikel, die durch den ganze Film hindurch mit Supertempo dahinpeitschen, liegen massiv übergewichtige menschliche Frauen, an deren riesigen Brüsten Zapfmaschinen die Milch absaugen.
Der König dieser Schrottwelt hebt eine altertümliche 2/3-Liter-Glas-Milchflasche hoch, wie um seinem Sohn, dem Kretin Rictus Erectus zuzuprosten. Von der Flasche hat der Vater bereits einen Schluck genommen. Nun trinkt der Sohn, und sagt: "Muh! Ist guut."
In der zweiten Szene kehrt Mad Max von einer Tötungsmission in dunkler Nacht zurück. Eines der Super-Models, das hier als pure Staffage in der Landschaft herumsteht, sagt zu ihm: "Dein ganzer Kopf ist ja voll Blut." Und Charlize Theron, die hier die Rolle der einarmigen Imperator Furiosa spielt, sagt: "Es ist nicht sein Blut." Max will sich waschen und geht zu einem Eimer, in dem sich eine Flüssigkeit befindet. Er fragt, ob es Wasser sei? Nein, es ist Muttermilch aus dem großen Milchtank. Er tunkt beherzt seinen Kopf in die Milch und wäscht sich die Haare vom Blut rein.
Hat die Szene etwas zu bedeuten? Nun, wenigstens das, dass der Held nicht vor dem Anblick von Milch zurückschreckt, obwohl diese Szenen natürlich zu den grauenhaftesten zählen, die man sich in einem amerikanischen Film überhaupt vorstellen kann. Milch als das ultimative Ekelzeugs. Auch viele der Forenten, die sich hier zu Wort meldeten, schienen sich vor dem weißen Saft zu gruseln, als hätten sie sich schon mehrfach in der Vergangenheit die abgepumpte Babymilch aus Versehen in den Kaffee geschüttet.
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