Amor, Amor, Amor... soll nicht nackt und jung sein
In einem offenen Brief an eine Berliner Galerie wird gefordert, dass Caravaggios "Amor als Sieger" nicht mehr ausgestellt wird, weil das Gemälde Pädophilen angeblich zu viele sexuelle Anreize liefert
Zwölf Jahre ist es her, da ließ der damalige Justizminister in den USA, Senator John Aschroft, die nackte Statue der Justizia verhüllen, weil er deren nackte Brüste für unzüchtig hielt und nicht mit ihnen auf einem Photo erscheinen wollte. In Deutschland führte diese Meldung damals zu Gelächter, schien sie doch Ausdruck der typischen amerikanischen Sexfeindlichkeit und Prüderie zu sein.
Der Erregung des Betrachters dienende Gemälde
Zwölf Jahre später dürften so manche in den USA darüber lachen, dass in einem offenen Brief tatsächlich eine Gemäldegalerie aufgefordert wird, Caravaggios "Amor als Sieger" nicht bzw. nur noch verhüllt auszustellen, weil der nackte Liebesgott auf dem Bild seinen Penis klar und deutlich zeigt. In ihrem Kommentar schreibt die Kunstkritikerin Ingrid Ruthe, wieso sie diese Forderung für absurd hält - doch letztendlich ist sie nur folgerichtig, wenn man die derzeitige Debatte rund um die Themenkreise Pädophilie, Kinderpornographie, Posingphotos, FKK-Photos und sexuelle Gewalt betrachtet.
Da werden verschiedene Themenbereiche mit viel Schwung zu einer ebenso unappetitlichen wie irreführenden Sauce verquirlt und über einen Empörungsbraten gegossen:
„...die ausdrücklich obszöne Szene dient zweifellos der Erregung des Betrachters; unter Rücksicht auf das Alter des ,Modells‘ ist dieses ,künstlerische Produkt‘ höchst verwerflich,“ schreiben die Verfasser des "offenen Briefes", der aber nicht so offen ist, als dass er sich beispielsweise im Netz wiederfinden lässt, was auch Fragen zur Motivation der Briefschreiber aufwirft.
Neben allzu besorgten Personen könnten insofern auch Provokateure den Brief verfasst haben, um auf die Absurdität der momentanen Forderungen der Politik in Bezug auf das Verbot von "Nacktphotos von Kindern" zu verweisen. Doch bisher fehlt die Aufmerksamkeit, die für einen solchen Stunt notwendig wäre. Die Angelegenheit, so heißt es, sei bisher eher diskret behandelt worden, weshalb sich selbst die Pressestelle der Gemäldegalerie in Berlin anfangs überrascht zeigte als sie auf das Thema angesprochen wurde. Erst das Sekretariat des derzeitigen Direktors, Bernd Lindemann, konnte den offenen Brief bestätigen.
Ist der Brief tatsächlich so absurd, wie er vielen erscheint? Nur dann, wenn die Diskussion sachlich geführt wird. In der derzeit schwelenden Debatte jedoch ist die Rationalität eher abhanden gekommen, es herrschen Empörung und Aktionismus und die Forderung, den Tausch und den Handel mit Nacktphotos von Kindern zu kriminalisieren, befriedigt den Wunsch vieler Menschen, dass doch den "Kindern endlich geholfen werde" - auch wenn die Forderungen sich in der bisher geäußerten Form kaum realisieren lassen, ohne dass prinzipiell die Frage gestellt wird, inwiefern Eltern überhaupt über die Ablichtung der Kinder sowie die Veröffentlichung der entsprechenden Bilder entscheiden dürfen.
Diese Überlegung führt natürlich letztendlich zur Frage, wie weit Erziehung und Elternrechte gehen dürfen und sollten und wird zwangsläufig in die erneute Debatte rund um die Beschneidung von Kindern münden, was wiederum die Religionsfreiheit tangieren wird. Schon allein diese Aspekte zeigen, dass die Thematik keine ist, die in aller Kürze abgehandelt werden sollte.
Gerade auch die Frage, wie man mit Malereien und Statuen umgehen sollte, sollte in diesem Kontext nicht fehlen.
Pädophile, Straftäter – alles dasselbe irgendwie...
Würde jede Gemäldegalerie auf dieser Welt ihre Bestände nach (missverständlichen) nackten (Kinder-)Posen zensieren, dann hätten Galerie-Wände bald große Lücken. Wie viele Putten und gemalte Jesusknaben im Mariens Schoß bräuchten ein Feigenblatt für ihr "Pimmelchen", das doch – seinerzeit nach großem theologischem Disput – Gottes Sohn manifest zum Menschen aus Fleisch und Blut macht.
So schreibt Ingrid Ruthe in ihrem Kommentar - und sieht man sich die derzeitigen Diskussionen an, dann steht zu befürchten, dass der offene Brief an die Galerie kein Einzelfall bleiben wird. Die Angst vor den "allzuleicht sexuell aufzustachelnden Pädophilen", die, wie auch eine derzeitige Volksinitiative in der Schweiz beweist, in der Öffentlichkeit als Sinnbild des Sexualstraftäters dargestellt werden, der sich fremden Kindern aufdrängt und diese zu sich lockt, um sie zu vergewaltigen und zu töten, ist so stark, dass selbst die immer wiederkehrenden Aufklärungsartikel, die belegen, dass eine Vielzahl von sexuellen Gewalttaten gegenüber Kindern eben nicht von Pädophilen ausgeübt werden, dass Kindesvergewaltiger und Pädophile nun einmal nicht synonym sind, weitgehend ungehört verhallen.
Stattdessen fallen Kampagnen wie in der Schweiz auf fruchtbaren Boden, auch wenn die Idee, dass Sexualstraftäter nach ihrer Entlassung nicht mehr dort arbeiten sollen, wo sie mit Kindern zu tun haben könnten, nach und nach in Ideen wie die des Miracle Village münden müssen – einer Stadt, in der Sexualstraftäter nach ihrer Entlassung leben, weil es weder Arbeitgeber für sie gibt, noch eine Möglichkeit, Wohnraum zu finden, der den Vorgaben des Gerichtes in Bezug auf den Abstand zu Schulen usw. entspricht.
"Wer Kinder vergewaltigt ist nun einmal pädophil" behauptet eine Forentin beim Artikel der Süddeutschen Zeitung im Brustton der Überzeugung. Und ein anderer gibt frei zu, dass es ihm völlig egal ist, ob jemand "pädoirgendetwas" ist oder nicht. Mit einer solchen Einstellung Und suggeriert man Pädophilen, dass es sinnlos sei, zu versuchen, mit ihrer Neigung auszukommen, ohne straffällig zu werden. Und man verschenkt die Möglichkeit, sexuelle Gewalt getrennt von der Pädophilie zu betrachten (und somit auch Strategien zur Erkennung bzw. Verhinderung zu entwickeln). Das dies letzten Endes auch für viele Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt waren, sind oder sein werden, bedeutet, dass sie weiterhin hilflos bleiben, wird dabei billigend in Kauf genommen. Hauptsache, es wird "etwas" getan ... und wenn es das Abhängen eines Gemäldes ist.