An der SPD wird TTIP nicht scheitern
... aber ihren Vorsitzenden kann die Debatte die Kanzlerkandidatur kosten
Die SPD und ihr Vorsitzender haben ein Problem. Sie mögen noch so laut betonen, dass die aktuelle Regierungspolitik eine sozialdemokratische Handschrift trägt, die Partei kommt in Umfragen nie an die 30 Prozent heran. Wie schlecht es um die SPD-Wahlaussichten bestellt ist, zeigte der Jubel über den Wahlausgang in Hamburg.
Obwohl die SPD real verloren und sogar die absolute Mehrheit eingebüßt hat, wurde sie parteiintern und auch in der Öffentlichkeit zum großen Sieger erklärt. Dabei lag ihre relative Stärke nur darin, dass der Unionskandidat weit unter 20 Prozent gelandet ist. Prompt hat Gabriel ein Problem. Denn sofort nach der Hamburger Wahl begann die Diskussion, ob der dortige Spitzenkandidat Olaf Scholz nicht der bessere Kanzlerkandidat für die nächsten Bundestagswahlen wäre.
Da es bis dahin eine Weile hin und noch gar nicht klar ist, ob Merkel noch mal kandidiert, ist die Debatte erst einmal wieder versandet. Doch allein, dass eine Regionalwahl wie Hamburg dazu taugt, den eigenen Vorsitzenden zu desavouieren, zeigt wie unsicher die Basis für Gabriel ist. So könnte ausgerechnet die Debatte um das Transatlantische Freiheitshandelsabkommen seinen Niedergang beschleunigen.
Spott über den doppelten Gabriel
Denn in den letzten Monaten war er beim Spagat zu beobachten, die TTIP-kritische Stimmung aufzugreifen und es sich trotzdem mit der Wirtschaft, die das Abkommen will, nicht zu vergraulen. So könnte die Öffentlichkeit den Wirtschaftsminister Gabriel beobachten, der am Wochenende auf dem Transatlantischen Wirtschaftsforum im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft das TTIP verteidigte. Auch die in der SPD besonders umstrittenen Schiedsverfahren, die Kapitalinteressen den bürgerlichen Gerichten entzieht, fand Gabriel plötzlich für sinnvoll.
Auf der Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion, die unter dem Motto "Transatlantische Freihandel - Chancen und Risiken" ebenfalls am letzten Wochenende stattfand, versuchte der SPD-Vorsitzende Gabriel die kritische Basis mit einer Prise Antiamerikanismus von den Freihandelsverträgen zu überzeugen.
"Wollen wir Mittelständler auf die Gerichtsbarkeit eines amerikanischen Bundesstaates verweisen?", wird Gabriel in der Zeit zitiert. Bisher wurde von den Gegnern des TTIP häufig mit damit argumentiert, dass man keine Zustände wie in den USA haben wolle. Diese Argumentation griff schon immer zu kurz und ließ unbeachtet, dass Deutschland selber den Investorenschutz vorantrieb, wenn es den Interessen des deutschen Kapitals nutzte. Vor einigen Monaten gerierte sich Gabriel noch als klarer Gegner der Schiedsverfahren. Doch das ist längst vorbei.
Mittlerweile besteht sein Ziel genau darin, die SPD-Basis vom TTIP zu überzeugen. Darin bestand auch die Intention der SPD-Konferenz. Bereits im September 2014 markierte er die Grenzen der TTIP-Kritik in der SPD: Er sei auch Wirtschaftsminister, weshalb das Freihandelsabkommen unweigerlich mit seiner Person verknüpft sei. Die Botschaft: Wenn ihr das Prozedere rund um das Abkommen kritisiert, kritisiert ihr mich automatisch auch.
So wurde deutlich, dass sich die SPD in Gestalt von Gabriel mal wieder als die Partei empfahl, die dafür sorgt, dass sie in der Bevölkerung umstrittene Fragen besser durchsetzen kann als die Union.
Wird die SPD-Basis für Gabriel zum Problem?
Eine solche Integration ist natürlich besser möglich, wenn Gabriel seiner Basis zumindest einige symbolische Zugeständnisse anbieten kann, so dass die SPD dann wieder einmal argumentieren kann, ohne sie wäre alles noch schlimmer gekommen. Doch die für die TTIP-Verhandlungen verantwortlichen Stellen haben wenig Verständnis für die Integrationsbemühungen eines deutschen SPD-Vorsitzenden.
So lehnte die für die TTIP-Verhandlungen zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström, die auf der SPD-Konferenz mitdiskutierte Anregung Gabriels ab, im Abkommen zwischen der EU und Kanada, das als Blaupause für den TTIP gesehen wird, auf die privaten Schiedsgerichte zu verzichten. Lediglich kleinere Änderungen seien noch möglich...
Eine andere Unbekannte ist die Ausdauer der TTIP-Kritik an der SPD-Basis. Es besteht für Gabriel die Gefahr, dass die sich länger hält, weil es für viele auch ein Platzhalter für die in der SPD nicht existierende Kapitalismuskritik geworden ist. Die TTIP-Kritiker können in Verfahrensfragen Gabriel bloßstellen. Der hatte vor Monaten zugesichert, dass die SPD-Mitglieder zu TTIP und Ceta befragt werden, bevor die endgültige Entscheidung über die Abkommen fällt. Das Votum könne entweder auf einem Parteitag oder auf einen SPD-Konvent eingeholt werden.
Dabei ist schon jetzt klar, dass das TTIP an der SPD nicht scheitern wird. Die Frage ist nur, wie hoch die Gegenstimmen sind. Dabei ist auch der Zeitpunkt der Abstimmung wichtig. Soll sie erfolgen, bevor der EU-Ministerrat abschließend über die Abkommen berät und somit tatsächlich noch mehr Druck für Nachverhandlungen möglich wäre? Oder soll die Abstimmung erfolgen, wenn die EU schon zugestimmt hat und nur noch die nationalen Parlamente ihr Okay dafür geben sollen?
Dann gibt es auch keine Druckmöglichkeiten mehr für Nachverhandlungen. Die TTIP-Kritiker in der SPD wollen einen möglichen frühen Termin, diejenigen, die für eine möglichst reibungslose Durchsetzung sind, einen späten. Nun werden solche parteiintern Geplänkel das TTIP nicht verhindern. Sie könnten aber dazu beitragen, dass sich Gabriel weiter desavouiert und als späterer Kanzlerkandidat nicht mehr in Frage kommt.
TTIP-Freie Städte als neue Aktionsform?
Die Linkspartei kann sich freuen, nach der Regulierung des Mindestlohns mit dem TTIP wieder ein Thema zu haben, mit dem sie die SPD unter Druck setzen kann. Auch die in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geratene globalisierungskritische Organisation Attac hat mit dem Widerstand gegen das TTIP wieder ein originäres Thema entdeckt und propagiert die TTIP-Freien Kommunen: "10.000 Kommunen TTIP-frei".
Kürzlich hat sich der Stadtrat von Leipzig dieser Initiative angeschlossen, was von einem größeren Netzwerk begrüßt wurde. Allerdings erinnert die Initiative an die atomwaffenfreie Städte und Plätze, die vor 30 Jahren aus den Boden schossen. Sie können Bewusstsein schaffen, aber nichts daran ändern, dass Atomwaffen stationiert bzw. das TTIP real verhandelt wird.