Bank Run für die katalanische Unabhängigkeit
Die beiden großen spanischen Parteien wollen die katalanische Regierung stürzen und im Januar Neuwahlen durchsetzen
Die Gerüchteküche brodelt nicht nur in Spanien um die Frage, wann und wie die katalanische Regierung die Wirkung der Unabhängigkeitserklärung in Kraft setzt. Einige, wie die Neue Zürcher Zeitung, verstiegen sich zur Vermutung, der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont könnte dies noch am Freitag tun. "Spanien: Erklärt Katalonien heute die Unabhängigkeit?", titelt die Zeitung und spricht davon, dass Spanien die "nukleare Option" am Samstag aktivieren werde.
Die NZZ vermutet, dass Puigdemont mit der Erklärung den "Maßnahmen" zuvorkommen würde, die das spanische Kabinett am Samstag beschließen will. Denn der spanische Regierungschef Mariano Rajoy hatte gestern angekündigt, den Paragraphen 155 definitiv auslösen zu wollen, und ein Dialogangebot übereilt schroff abgelehnt. Über den Verfassungsparagraph soll die Autonomie ausgesetzt und die katalanische Regierung gestürzt werden, damit Madrid in Katalonien durchregieren kann.
Der rechte Rajoy und der Sozialist (PSOE) Pedro Sánchez haben sich darauf geeinigt, dass im Januar in Katalonien Neuwahlen stattfinden sollen. Das hatte die gut informierte eldiario.es gemeldet. Im Fernsehinterview bestätigte das Carmen Calvo am Donnerstagabend. Die PSOE-Beauftrage für Gleichstellung ist Mitglied der Verhandlungsdelegation mit Rajoys Volkspartei (PP). Es soll sich um eine "minimale" Intervention handeln, lautet die Sprachregelung dafür, dass man auch von einem Putsch sprechen kann.
Dass die Sozialdemokraten gemeinsame Sache mit der PP machen, die sie eigentlich aus der Regierung treiben wollten, sorgt für viel Unmut. Mitglieder, nicht nur in Katalonien, geben das Parteibuch ab. Jordi Ballart, PSOE-Bürgermeister im bedeutsamen katalanischen Terrassa, hat mit dem Rücktritt gedroht, wenn die PSOE den 155 mitträgt. Die linke Bürgermeisterin Barcelonas Ada Colau droht, das Bündnis mit der Regierung aufzukündigen.
Eigentlich ist klar, dass Puigdemont nichts unternehmen wird, bevor der 155 definitiv ausgelöst ist. Damit würde sich Spanien, nach Ansicht von Juristen, ins Unrecht setzen. Puigdemont böte sich damit die Möglichkeit, als Schutz die Unabhängigkeit mit Bezug auf das Völkerrecht auf den Weg zu bringen. Ob die Unabhängigkeit schon rechtsverbindlich erklärt ist, bezweifeln Experten. Deshalb habe Madrid auch nach der spanischen Verfassung bisher keine Grundlage für das geplante massive Vorgehen.
Die Proteste werden in Katalonien auf einem neuen Höhepunkt zustreben. Am Freitag wurde ein symbolischer "Bank run" durchgeführt und damit ein realer Run den Banken angedroht, die als Druckmittel gegen die Unabhängigkeitsbewegung ihren Sitz nach Spanien verlegt haben. Es gibt für eine Bank nichts Schlimmeres, als den massiven Abzug der Einlagen durch ihre Sparer.
Am Freitag bildeten sich Schlangen, vor allem vor den großen Instituten Caixa und Sabadell. Abgehoben wurden zunächst meist, mit Blick auf den Paragraph 155, nur 155 Euro. Aufgerufen dazu hatten die beiden großen zivilgesellschaftlichen Organisationen Katalanischer Nationalkongresses (ANC) und Òmnium Cultural. Deren Präsidenten Jordi Sànchez und Jordi Cuixart wurden wegen angeblichen "Aufruhrs" inhaftiert. Politische Gefangene nennt man sie in Katalonien und auch Amnesty International fordert ihre sofortige Freilassung. Am Samstag werden mehr als eine Million Menschen in Barcelona zu einer Demonstration erwartet, um diese Forderung zu unterstützen.