Berliner Fragen: Wie rassistisch ist die kontrollierte Abgabe von Marihuana?

Coffeeshop und Flüchtlingscamp - Neues aus der autonomem Republik Kreuzberg

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Der Berliner Stadtteil Kreuzberg war schon immer etwas Besonderes. Lange Zeit galt er als Hochburg des linken Protestes. Mittlerweile werden Spaziergang zu den Spuren von Protest und Widerstand angeboten und finden bei Touristen Anklang. Dort kann man auch erfahren, dass die Utopie einer "Autonomen Republik Kreuzberg" zu hören war.

Eine Gruppe mit diesen Namen hatte sogar zeitweise eine E-Mail-Adresse. Aber die ist schon längst verwaist. Doch wenn man in diesen Tagen etwas über die Politik in Kreuzberg liest, könnte man den Eindruck haben, dass sich Elemente dieser autonomen Kreuzberger Republik erhalten. Noch heute ist dort die CDU eher eine Kleinpartei. Die Grünen, die SPD und die Linke haben die Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung.

Ein Marihuana Shop in Kreuzberg?

Manchmal bewegen Beschlüsse, die dort gefasst waren, die ganze Republik. "Kreuzberg beschließt Deutschlands ersten Marihuana-Laden", titelte kürzlich die Zeit. Dabei kann man den Eindruck haben, dass bei solchen Meldungen noch immer etwas von der Ehrfurcht des Bürgertums vor der autonomen Kreuzberger Linken erhalten geblieben ist.

Hat man vor einigen Jahren den Eindruck haben können, in Kreuzberg wird die Revolution vorbereitet, wenn man die Medien gelesen hat, so wird jetzt immerhin noch suggeriert, die Republik Kreuzberg könne so ganz allein die Drogengesetzgebung in Deutschland außer Kraft setzen. Was die BVV wirklich beschlossen hat, war natürlich viel bescheidener: Die Grünen haben genau beschrieben, dass auch bei der Drogenlegalisierung Kommunalpolitik ein Zurücklegen kleiner Trippelschritte ist:

"Am Mittwochabend hat das Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg mit großer Mehrheit den parlamentarischen Antrag zum Cannabis-Modellprojekt im Görlitzer Park verabschiedet. Er soll die negativen Folgen des Schwarzmarktes eindämmen. Nun beginnt die eigentliche Arbeit: Gemeinsam mit Experten, Beratungsstellen und Anwohnern wird ein Antrag an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte entwickelt, um Cannabis kontrolliert abgeben zu dürfen."

Rassistischer Plan?

Es wird also in der nächsten Zeit einige Runde Tische, Fachtagungen und Expertengespräche geben, bevor vielleicht in einigen Jahren einmal Marihuana verkauft werden kann. Der Deutsche Hanfverband, der sich seit Jahren für eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums einsetzt, begrüßt diesen Schritt.

Die von der grünen Bürgermeisterin Monika Herrmann schon vor einigen Monaten angestoßene Diskussion um den Coffeshop in Kreuzberg stieß auf ein geteiltes Echo. Auf einer öffentlichen Diskussion nannte ein Anwohner den Plan "rassistisch". Damit würde man den Geflüchteten, die in Kreuzberg leben, ihre Einnahmequelle nehmen, erklärte er, was andere wiederum selber für rassistisch halten.

Räumen lassen? Wie weiter mit dem Refugee-Camp?

Seit einigen Tagen sorgt auch die Zukunft eines Flüchtlingscamps am Kreuzberger Oranienplatz wieder für Schlagzeilen. Es war im September 2012 von Flüchtlingen aufgebaut worden, die als Teil eines bundesweiten Flüchtlingswiderstands dort gegen Residenzpflicht, Abschiebungen und all jene Sondergesetze protestieren, denen Flüchtlinge in diesem Land ausgesetzt sind. Das Camp wurde Protest- und zwangsweise auch Wohnort für Geflüchtete aus verschiedenen Bundesländern.

Die grüne Bürgermeisterin hatte mehrfach erklärt, sie sehe das Camp als Teil eines Flüchtlingswiderstands, den sie unterstützt. Zeitweise lebte auch die auf der Liste der Grünen kandidierende parteilose BVV-Abgeordnete Taina Gärtner aus Solidarität in dem Camp.

Doch mit der Harmonie war es in der letzten Woche zu Ende, als die Bürgermeisterin die Polizei beauftragte, Vorbereitungen für den Zeltabbau zu treffen. Zuvor konnte ein Teil der Geflüchteten über den Winter ein ehemaliges Seniorenheim beziehen, das von der Caritas geleitet wird. Doch dort war nicht Platz für alle Campbewohner. Zudem betonten die Flüchtlinge, dass ihre Probleme nicht gelöst sind, wenn sie über den Winter ein Dach über den Kopf haben.

Schließlich hätten sie den Protest nicht wegen Obdachlosigkeit, sondern wegen der gesetzlichen Diskriminierungen von Flüchtlingen begonnen. Solange sich daran nichts ändere, wollen sie den Platz nicht verlassen. Auf einer Pressekonferenz vor einigen Tagen erhoben Flüchtlinge und antirassistische Gruppen schwere Vorwürfe gegen die Grünen.

CDU gegen Grüne in Kreuzberg

Es gab mehrere Demonstrationen. Die Grünen erklärten sofort, es werde keine Räumung geben, aber die Genehmigung zum Übernachten auf dem Oranienplatz werde auch nicht mehr bewilligt. Dass wiederum rief den Berliner Innensenator Henkel auf den Plan, der als CDU-Rechter einmal deutlich machen konnte, dass zumindest in Kreuzberg die Differenzen zwischen Grünen und CDU noch groß sind.

Indirekt forderte er Herrmann zum Rücktritt auf, weil sie nicht die Konsequenzen zieht und ein Camp nicht räumen will, dem sie die weitere Genehmigung versagt. Henkel kündigte bereits an, ab Mitte Dezember die Kompetenz an sich ziehen zu wollen, wenn der Bezirk nicht räumen lässt. Die Auseinandersetzung begann schon mit Herrmanns Vorgänger.

Herrmann kam auch selbst ins Protestcamp, um mit den Flüchtlingen zu reden. Die Harmonie wurde damit nicht wieder hergestellt, der Bürgermeisterin wird so schnell nicht verziehen, dass die die Polizei auf den Platz beorderte, ohne mit den Flüchtlingen vorher überhaupt zu reden.

Doch, sollte Henkel tatsächlich räumen lassen, könnte es sein, dass die Differenzen noch einmal hintenangestellt werden. Schon titelt die grünennahe Taz, dass Henkel mit seiner Räumungsaufforderung die grüne Bürgermeisterin noch einmal gerettet hat.