Der NSU und der Verfassungsschutz – Dinge von gestern?
Wenn Merkel zum 3. Jahrestag der NSU-Aufdeckung, zu der der Verfassungsschutz nichts beigetragen hat, das Bundesamt besucht, ist das auch ein politisches Statement
Großes Aufsehen erregte der Besuch von Bundeskanzlerin Merkel beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln am vergangenen Freitag nicht. Warum auch? Schließlich scheint es ein Routinetermin.
Nur wenigen fiel auf, dass er just vor dem dritten Jahrestag der Selbstaufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds gelegt wurde. Dann klingt es schon seltsam, wenn es zu dem Besuch von Merkel auf der Homepage des Verfassungsschutzes heißt: "Die Kanzlerin hob dabei besonders den Beitrag des BfV für Deutschlands Sicherheit hervor. Die Bundesrepublik befinde sich in einer guten Verfassung, und dies sei auch ein Verdienst des Verfassungsschutzes."
Dinge aus Vergangenheit, die aufgearbeitet werden müssen
Aber ganz ausgespart wurde beim Besuch der Kanzlerin der Jahrestag der Selbstaufdeckung des NSU nicht. Auf der Homepage der Bundeskanzlerin teilte man zur Stippvisite in Köln mit: "Die Kanzlerin führte weiter aus, es sei auch darüber gesprochen worden, dass zum Teil Dinge aus der Vergangenheit aufgearbeitet werden müssten: 'So hat der NSU-Untersuchungsausschuss zutage gefördert, dass hier im Bundesamt für Verfassungsschutz Veränderungsbedarf bestand'."
Die Opfer des NSU müssen eine solche Erklärung gleich in mehrfacher Weise als Zynismus empfinden. Mit "Dinge aus der Vergangenheit" wird hier umschrieben, dass über ein Jahrzehnt eine rechte Mörderbande quer durch die Republik Menschen kaltblütig ermordete, die nur eines einte, dass sie nicht in Deutschland geboren wurden.
Dinge der Vergangenheit sollen auch das Agieren eines Verfassungsschutzes sein, der von einen rechten Hintergrund der Mordserie nichts wissen wollte, sondern die Opfer, ihre Angehörigen und ihr Umfeld ins Visier nahm, verdächtigte und so zu Opfern machte. Dinge aus der Vergangenheit sollen auch die vielen ungeklärten Fragen sein, die offen lassen, ob nicht zumindest Teile der Verfassungsschutzbehörden näher an dem NSU dran waren, als sie offiziell zugeben.
Es sind zahlreiche Bücher über diese vielen ungeklärten Fragen geschrieben worden, die in ihrer Dimension über Deutschland hinausreichen. Man braucht nur als ein Exempel einen Spiegel-Artikel vom August 2011, also wenige Monate vor der Selbstaufdeckung des NSU, heranziehen, um deutlich zu machen, wie viele offene Fragen es zu dem Komplex noch gibt. Dort ist von einem Verfassungsschutzspitzel Mehmet und der dubiosen Rolle der Behörden die Rede, einen Erfolg bei der Aufdeckung der Mordserie zu vereiteln.
Der Artikel war in Diktion und politischer Stoßrichtung noch stark von der damaligen offiziellen Lesart der Mordserie geprägt, die unter dem rassistischen Stereotyp Dönermorde in der behördlichen wie öffentlichen Meinung verhandelt worden war. Die Fragen, die aber dort aufgeworfen wurden, haben sich damit keineswegs erledigt. Daher ist es absurd, wenn Merkel hier lapidar von Dingen aus der Vergangenheit spricht, wenn sie die Rolle der Dienste bei der Entstehung und der Geschichte des NSU erwähnt.
Kampf um Straßenumbenennungen nach den Opfern
Dass Merkel zum 3. Jahrestag der NSU-Aufdeckung, zu der der Verfassungsschutz nichts beigetragen hat, genau die Zentrale dieser Dienste besuchte, ist auch ein politisches Statement. Die Dienste sollen aus der öffentlichen Kritik genommen werden. Wenn es noch ungeklärte Fragen gibt, sind es Dinge aus der Vergangenheit. Die Opfer werden offiziell zum 3. Jahrestag gar nicht erwähnt. Schließlich gab es für sie Gedenkveranstaltungen, auf denen salbungsvolle Worte fielen. Das muss nach offizieller Lesart genügen.
Dass viele Angehörige bei ihrem Anliegen gegen starke Widerstände zu kämpfen haben, dass
Straßen, an denen die Morde geschahen, nach den Opfern benannt werden, wird in der Öffentlichkeit gerne ausgeblendet. Bisher waren nur symbolische Straßenumbenennungen möglich, weil die zuständigen Behörden diesem Anliegen keineswegs aufgeschlossen gegenüber stehen. Am 4. November wird es gleich in mehreren Straßen solche symbolischen Straßenumbenennungen geben, darunter in Berlin und Köln, die von antirassistischen Bündnissen organisiert werden. Bereits am vergangenen Samstag demonstrierten knapp 1000 Menschen durch Berlin-Wedding, für die die NSU-Mordserie und die Rolle der verschiedenen Verfassungsschutzämter keine Dinge von gestern sind.