Der Staat wird ärmer
und das private Vermögen wächst, vor allem weiter oben. Das stellt angeblich nun auch der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung fest
Der Staat wird ärmer, die vermögenden Schichten reicher. Das ist der grobgefasste Kern, der aus dem Entwurf für den vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervorgeht. Dies geht aus einem Bericht der SZ hervor, die nach eigenen Angaben im Besitz des Entwurfes aus dem Arbeitsministerium ist, der momentan zur Abstimmung anderen Ressorts der Regierung vorgelegt werde. Zu lesen sind Zahlen, die noch einmal bestätigen, was als Skandalon längst schon Thema vieler Debatten sind; bemerkenswert ist, dass die Ungleichheit zwischen "Reich und Arm" in Deutschland von einem Regierungsbericht dokumentiert wird. Welche politischen Konsequenzen wohl daraus gezogen werden?
Die Zahlen, Billionen, Milliarden und die üblichen Prozentangaben, beleuchten, soweit sie durch den Zeitungebericht bekannt werden, zwei große Trends der letzten beiden Jahrzehnte. Einmal den Rückgang des Nettovermögens des deutschen Staates. In zwanzig Jahren, von Anfang 1992 bis Anfang 2012, sei es um 800 Milliarden Euro geschrumpft. Zum anderen die Zunahme des Nettovermögens privater Haushalte. Das sei im gleichen Zeitraum von 4,6 Billionen auf 10 Billionen gestiegen - auf mehr als das Doppelte also.
Daraus zu schließen, dass die Deutschen immer reicher werden, ist eine Frage der Perspektive. Denn der Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichtes erkennt noch einen anderen, bereits bekannten Trend, die "sehr ungleiche Verteilung der Privatvermögen" (SZ).
Von unten nach oben gelesen sieht er so aus: Die untere Häfte der Haushalte hat nur einen Anteil von 1 Prozent am gesamten Nettovermögen. Dazu kommt eine für sie ungünstige Lohnentwicklung. Bei den unteren 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten hat die Inflation für Verluste gesorgt, etwaige Lohnerhöhungen haben nicht Schritt gehalten. Dagegen sei die Lohnentwicklung im oberen Bereich "positiv steigend" gewesen - ein Phänomen, auf das kürzlich erst auch bei der Vorstellung eines Berichts des Statistischen Bundesamts zu Niedriglöhnen und der Verdienstsituation in Deutschland aufmerksam gemacht wurde ( Der schwierige Weg zu besseren Verhältnissen).
Weiter oben notieren die Zahlen über die Vermögensentwicklung einen Anstieg, allerdings diesmal mit einer Einschränkung des Zeitraums. Festgehalten wird, dass die vermögensstärksten zehn Prozent der deutschen Haushalte „über die Hälfte des gesamten Nettovermögens“ vereinen. Der Zeitungsbericht legt nahe, dass dies Stand der Dinge ist. 1998 lag der Anteil noch bei 45 Prozent und 2008 bei mehr als 53 Prozent. Das war das Jahr, als im Herbst die weltweite Finanzkrise erste große Schockwellen auslöste. Wie die Vermögensentwicklung der obersten Zehnprozent danach aussah, darüber macht der Bericht anscheinend keine Angaben. Der SZ-Bericht gibt nur die allgemeine große Kurve wieder: "Der Anteil dieses obersten Zehntels sei (…) 'im Zeitverlauf immer weiter gestiegen'."
Als Nettovermögen werden Immobilien, Geldanlagen, Bauland und Ansprüche aus Betriebsrenten aufgezählt. Anzunehmen ist, dass Auslandsvermögen in beträchtlicher Höhe nicht offiziell deklariert ist und also in solchen Berichten nicht auftaucht. Klar ist jedenfalls, dass dem Staat auch damit Vermögen entzogen wird. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist eine Feststellung, die im Bericht auftaucht und die Brücke zwischen der Entwicklung des Staatsvermögens und jener der privaten Vermögen schlägt: die beobachtete "Verschiebung privater Forderungen und Verbindlichkeiten in staatliche Bilanzen" im Zuge der Rettungsmaßnahmen. Darüber würde man gerne Detaillierteres von der Regierung erfahren. Angesichts der wenig abgestuften Erkenntnisse, die bislang aus dem Bericht veröffentlicht werden, kommt einem die allgemeine Frage von Tony Judt, dem 2010 verstorbenen Kritiker ungleicher Verhältnisse, aus seinem Buch "Dem Land geht es schlecht" wieder in den Sinn: "Welchen Staat wollen wir?"