Die Arbeitszeiten der Frauen und die der Männer
Die Zahl der erwerbstätigen Frauen ist seit 20 Jahren deutlich gestiegen. Viele haben allerdings nur Teilzeit- oder Minijobs. "Überlange" wöchentliche Arbeitszeiten von 41 Stunden oder mehr entfallen hauptsächlich auf Männer.
Fast jede Studie zur Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt belegt die tiefgreifenden Veränderungen, die im Zuge der sogenannten Flexibilisierungsmaßnahmen durchgesetzt wurden. So veröffentlichte das zur Bundesanstalt für Arbeit gehörende Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Ende vergangener Woche die Ergebnisse einer Befragung (PDF) von mehr als 15.000 Betrieben.
Demnach arbeiten nur noch 54 Prozent (Westen) bzw. 37 Prozent (Osten) der Beschäftigten unter den Bedingungen eines Branchentarifvertrags. Dazu kommen 7 Prozent (Westen) bzw. 12 Prozent (Osten), die sich auf einen Firmentarifvertrag berufen können. 1996, als die Statistik erstmals erhoben wurde, galt ein Branchentarifvertrag noch für 70 Prozent (Westen) bzw. 56 Prozent (Osten) der Beschäftigten.
Gut 20 Prozent der Arbeitnehmer sind heute in Betrieben beschäftigt, die sich an den Vorgaben eines Branchentarifvertrags orientierten. Aber das muss natürlich nicht so bleiben. "In der langen Sicht ist die rückläufige Tendenz eindeutig", meinen die IAB-Arbeitsmarktforscher Susanne Kohaut und Peter Ellguth.
Frauen arbeiten 9,5 Stunden weniger als Männer
"Bei Teilzeitmodellen sind die Gewerkschaften viel zu zurückhaltend - die allermeisten Tarifverhandlungen sind viel zu sehr auf die Vollzeiterwerbsbiografie ausgerichtet." Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die langfristige Perspektive, die beim IAB kritisch betrachtet wird, beunruhigt auch Christina Klenner, Genderforscherin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut ( WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Die ersten Auswertungen des vor wenigen Tagen freigeschalteten GenderDatenPortals deuten darauf hin, dass Frauen nicht nur von jahrzehntelanger Benachteiligung, sondern auch von den "Reformen" auf dem deutschen Arbeitsmarkt besonders betroffen sind.
Zwar ist die Erwerbstätigenquote der Frauen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren seit Ende der 1990er Jahre kontinuierlich angestiegen - von 57 Prozent im Jahr 1999 auf 66 Prozent im Jahr 2010.
"Viele arbeiten aber Teilzeit, und davon haben etliche nur Jobs, die schon wegen der kurzen Arbeitszeiten nicht für eine eigenständige Existenzsicherung ausreichen. (...) Die längerfristigen Trends unterstreichen, dass Deutschland sowohl bei der Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt als auch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch großen Nachholbedarf hat." Christina Klenner
Betrachtet man die Ergebnisse im Einzelnen, wird der Umfang der strukturellen Veränderungen deutlich. 1991 lag der Anteil der Frauen, die knapp unterhalb der 40-Stunden-Woche beschäftigt waren und auf eine Wochenarbeitszeit von 36 bis 39 Stunden kamen, bei 34,2 Prozent. Bis 2010 sank er auf 15,6 Prozent.
Gleichzeitig kletterte der Anteil der Frauen mit Arbeitszeiten zwischen 15 und 30 bzw. 31 Stunden pro Woche von 23,4 Prozent auf 32 Prozent. Neben dieser "substanziellen" Teilzeitarbeit verzeichneten die Forscher den vergleichsweise größten Anstieg im Bereich der "kurzen" oder "marginalen" Teilzeitarbeit. 13,9 Prozent der abhängig beschäftigen Frauen kamen 2010 auf eine wöchentliche Arbeitszeit von weniger als 15 Stunden - mehr als doppelt so viele wie 1991, als ihr Anteil noch bei 5,8 Prozent lag.
Insgesamt hat sich der Abstand der wöchentlichen Arbeitszeit zwischen Frauen und Männern in den letzten 20 Jahren erkennbar vergrößert. 2010 arbeiteten weibliche Erwerbstätige im Durchschnitt 30,6 Stunden und damit 9,5 Stunden weniger als ihre männlichen Kollegen. 1991 betrug die Differenz knapp sieben Stunden.
Die Arbeitszeiten der Männer
"Überlange" wöchentliche Arbeitszeiten von 41 Stunden oder mehr entfallen demzufolge hauptsächlich auf Männer. 19% der abhängig Beschäftigten waren 2010 weit von der einst propagierten 35-Stunden-Woche entfernt. Eine jüngst erschienene DGB-Studie unterstützt die Vermutung, dass viele Erwerbstätige keine realistische Chance mehr haben, zwischen Arbeit und Freizeit zu trennen.
Die Forscher weisen deshalb darauf hin, dass die Absenkung der durchschnittlichen Arbeitszeit, die in den letzten 20 Jahren insgesamt zu beobachten war, keineswegs als Indiz für eine "allgemeine Reduktion der Arbeitszeit" betrachtet werden darf.
"Bei der Interpretation ist zu berücksichtigen, dass der Rückgang der durchschnittlichen Arbeitszeit überwiegend durch die Zunahme der Erwerbstätigen insgesamt und durch den starken Anstieg der Teilzeitquote zu erklären ist: Da immer mehr Personen arbeiten und ein anwachsender Anteil dieser Personen nur in Teilzeit beschäftigt ist, sinkt die durchschnittliche Arbeitszeit aller Erwerbstätigen. Trotz der abnehmenden durchschnittlichen Arbeitszeit kann für viele Vollzeitbeschäftigte ein Anstieg ihrer durchschnittlichen Arbeitszeit festgestellt werden." WSI: GenderDatenPortal
Das gilt übrigens nicht nur für den viel beschäftigten Arzt, Rechtanwalt oder Vorstandsvorsitzenden, der für seinen Zeitaufwand entsprechend entlohnt werden mag. "Geringe Stundenlöhne, lange Arbeitszeiten", heißt eine im Mai veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Lange Wochenarbeitszeiten vieler Vollzeitbeschäftigter im Niedriglohnbereich
"Besonders auffallend sind die langen Wochenarbeitszeiten vieler Vollzeitbeschäftigter im Niedriglohnbereich. Die Hälfte kam 2010 auf mindestens 42 Wochenstunden; der Durchschnittswert liegt sogar bei knapp 45 Stunden. Immerhin ein Viertel arbeitet nach eigener Auskunft sogar üblicherweise 50 und mehr Stunden pro Woche. Die Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohnsektor erhalten im Schnitt einen Bruttomonatslohn von 1.350 Euro." Karl Brenke: Geringe Stundenlöhne,lange Arbeitszeiten
Die Daten des GenderDatenPortals deuten auch bei den männlichen Beschäftigten auf einen signifikanten Anstieg der marginalen Teilzeitarbeit hin. 1991 wurden bei nur 0,7 Prozent sehr kurze Arbeitszeiten registriert. Bis 2010 verfünffachte sich ihr Anteil auf 3,8 Prozent.
Führungspositionen
Auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben Männer bekanntlich trotzdem entscheidende Vorteile, gerade wenn es um die Besetzung von Führungspositionen geht. Sie stellen rund 97 Prozent aller Vorstandsmitglieder in den 160 größten börsennotierten Unternehmen. Im Jahr 2011 waren folgerichtig nur 21 der insgesamt 668 Vorstandsmitglieder weiblich.
In den Aufsichtsräten sieht es etwas günstiger aus, auch wenn die männliche Dominanz hier ebenfalls unverkennbar ist. 90 Prozent aller Mandate wurden an Männer vergeben, so dass sich 2011 nur 164 Frauen unter die insgesamt 1.709 Aufsichtsratsmitglieder mischten. Bedenklicher als die absoluten Zahlen ist freilich der Umstand, dass in den letzten Jahren trotz zahlreicher Initiativen und kontroverser Diskussionen nur geringe Fortschritte erzielt wurden. So stieg der Frauenanteil in den Aufsichtsräten im Verlauf von vier Jahren lediglich von 9,3 Prozent auf 10 Prozent. Mit der These, weibliche Bewerber hätten auf dem Arbeitsmarkt "erstmals in der Geschichte einen Gender-Bonus bei der Jobsuche", scheint etwas nicht zu stimmen.
Dass die neue Selbstverpflichtung der Wirtschaft mehr Ergebnisse bringt als diejenige, die vor rund einem Jahrzehnt mit dem offensichtlichen Ziel initiiert wurde, keine Ergebnisse zu erreichen, darf vorerst bezweifelt werden. Die "Flexi-Quote", ein Lieblingsprojekt von Familienministerin Kristian Schröder, offeriert interessierten Arbeitgebern mehr als genug Schlupflöcher, und das Betreuungsgeld wird erst recht nicht dazu beitragen, Frauen, die nach der viel zitierten Verbindung von Familie und Beruf suchen, verlässliche Perspektiven zu öffnen.
Geschlechtsspezifischer Verdienstabstand
Auch die Höhe des sogenannten "Gender Pay Gap" hat sich nach Erkenntnissen des WSI in den vergangenen Jahren kaum verändert. Der geschlechtsspezifische Verdienstabstand lag 2007 bei 19,5 Prozent und sank bis 2011 nur um 0,1 auf 19,4 Prozent.
Dabei steigt die Lohnungleichheit mit der beruflichen Position. Für die Gruppe der voll- und teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer wurde bei den ungelernten Beschäftigten eine vergleichsweise überschaubare Differenz von 8,3 Prozent ermittelt. Sie steigt allerdings über Fachkräfte (11,3 Prozent), herausgehobene Fachkräfte (14,3 Prozent) und angelernte Arbeitnehmer (14,8 Prozent) bis zu den Arbeitnehmern in leitender Stellung, bei denen der geschlechtsspezifische Verdienstabstand 21,3 Prozent beträgt - Bundesministerinnen sind von diesen Problemen selbstverständlich nicht betroffen:
"Ich verdiene genauso viel wie meine männlichen Ministerkollegen. So sollte es auch sein: gleiche Arbeit, gleicher Lohn." Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Die Rente
Die Höhe des aktuellen Verdienstes hat naturgemäß Auswirkungen auf die Altersbezüge. Die Arbeitsministerin wird kaum darüber nachdenken müssen, ob sie ihre Lebenshaltungskosten nach dem Ende ihres Berufslebens noch decken kann. Für einen beträchtlichen Teil der arbeitenden Bevölkerung sieht die Lage anders aus.
So müssen sich Frauen der Jahrgänge 1956 bis 1965 auf niedrige Renten einstellen, prophezeit eine Studie des DIW, die in der nächsten Woche veröffentlicht wird. Zwar sind die Betroffenen häufiger erwerbstätig gewesen als ihre Mütter und Großmütter, viele arbeiteten allerdings nur in Teilzeit oder im Rahmen geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse.
Die Forscher beziffern die monatliche Durchschnittsrente einer Westdeutschen, die zwischen 1956 und 65 geboren wurde, Vorabberichten zufolge auf 657 Euro. Frauen aus dem Osten der Republik konnten mehr Entgeltpunkte sammeln, dürften wegen des niedrigeren Rentenwerts aber auch nur auf 786 Euro kommen. Ob die Riester-Rente diese Bilanz ein wenig optimieren kann, steht derzeit noch nicht fest:
"Die Babyboomer sind die erste Generation, die in nennenswertem Umfang von der staatlich geförderten Zusatzvorsorge (zum Beispiel der Riester-Rente) profitieren kann. Allerdings liegen bislang keine verlässlichen Daten für den Beitrag von betrieblicher und privater Altersvorsorge zum Alterseinkommen vor. Ein Anhaltspunkt können die Nettovermögen der Babyboomer sein: Diese schwanken sehr stark in Abhängigkeit von den Erwerbsverläufen. Babyboomer mit vielen Brüchen in ihrem Erwerbsleben konnten bislang nur sehr geringe Nettovermögen aufbauen: Jeder zweite Mann dieser fragilen Gruppe hat kaum nennenswertes Nettovermögen." Pressemeldung DIW, 6.6.2012