Die Empörten sind zurück auf dem Platz
Doch nicht der Puerta del Sol in Madrid steht nun im Mittelpunkt, sondern der zentrale Platz in Barcelona
Sie sind gekommen um zu bleiben, zumindest bis zum 20. November. Wie schon vor den Kommunal- und Regionalwahlen in Spanien im Mai, haben die "Indignados" (Empörten) eine Woche vor den Parlamentswahlen wieder mit Platzbesetzungen begonnen. Die "ohne Job, ohne Wohnung, ohne Wohnung und ohne Angst" haben nun den zentralen Platz in der katalanischen Hauptstadt wieder besetzt.
Die Polizei schreitet bislang nicht ein, nachdem sie Ende Mai tausende Menschen mit brutaler Gewalt vertrieben hatte. Als Ergebnis davon waren danach aber Zehntausende zurück auf den Platz geströmt. Einen solchen Werbeeffekt will man offenbar nun vermeiden. Die Zahl der Empörten, die nun wieder eine Zeltstadt im Herzen Barcelonas errichten, hat nach den Demonstrationen der Indignados am Sonntag deutlich zugenommen und ist auf mehrere Hundert angewachsen.
Der "Plaza Catalunya" war mit dem zentralen Platz in Madrid (Puerta del Sol) das Aushängeschild der Bewegung, als im Mai und viele Plätze im ganzen Land in Dauer-Protestversammlungen gegen die schweren Einschnitte ins Sozialsystem verwandelt wurden, welche die einfache Bevölkerung in der tiefen Krise ertragen muss. Die Demokratiebewegung, die sich über die Plattform Wahre Demokratie Jetzt längst weltweit verbreitet hat, interveniert nun auch in diesen Wahlkampf.
Ob sich die Platzbesetzungen im regnerischen Herbst erneut über das ganze Land ausbreiten, darf aber bezweifelt werden. Als die Platzbesetzungen an ihre Grenzen stießen, waren sie im Juni freiwillig aufgelöste worden. Um über den Winter Versammlungsorte zu haben, werden nun auch leerstehende Gebäude besetzt. Nach einem Hotel in Madrid und einem Marktgebäude im südspanischen Sevilla wurde am Sonntag im zentralspanischen Leon auch das riesige ehemalige Landwirtschaftslabor besetzt.
Auf den Demonstrationen haben die Indignados ihre Position bekräftigt, dass Wahlen an der derzeitigen Lage nichts ändern können. Es brauche einen "Systemwechsel", forderten sie auf der Demonstration in Madrid. An der größten Demonstration im Land haben sich in Madrid etwa 10.000 Menschen beteiligt und anders als im Frühjahr werden die Proteste nun vor den Wahlen kaum beachtet oder in winzigen Artikeln abgehandelt. Auf den Demonstrationen wurde kritisiert, dass die beiden großen Parteien und die Finanzmärkte die Demokratie "entführt" hätten. Es müsse deshalb ein neues soziales und ökonomisches System geschaffen werden, das die Menschen in den Vordergrund stellt.
Hingewiesen wird darauf, dass mehr als fünf Millionen Menschen im Land keinen Job mehr haben. Vor allem die Jungen trifft es hart, denn 48% der unter 25-Jährigen sind arbeitslos. Für sie gäbe es keine Rettungsschirme wie für Banken, wird kritisiert. Viele der fast 1,5 Millionen Familien erhalten nicht einmal mehr die knappen 400 Euro Sozialgeld, das nur für sechs Monate gezahlt wird, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld erloschen ist.
Angegriffen wurde auch, dass Banken mit Steuermilliarden gestützt werden, die in vier Krisenjahren hunderttausende Familien aus den Wohnungen räumen ließen, weil sie ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können. Indem auch Räumungen verhindert werden, wird Druck auf die Parteien ausgeübt, die "Dación de pago" umzusetzen. Damit ist die Begleichung der Hypothekenschuld durch die Übergabe der Wohnung an die Bank gemeint, wie es in den USA üblich ist.
Nach dreimonatiger Verzögerungen war es ihnen vor der Auflösung des Parlaments noch gelungen, eine Volksinitiative im Parlament registrieren lassen, für die eine halbe Million Unterschriften gesammelt worden waren. Mit der Gesetzesinitiative soll die absurde Situation beendet werden, dass die Familien nicht nur ihre Wohnungen verlieren, sondern danach auf einem Schuldenberg sitzen. Weil die Banken sie nur zur Hälfte des einst über ein Bankgutachten ermittelten Immobilienwerts übernehmen, sind die Familien obdachlos und sitzen in der Schuldenfalle. Die Initiative fordert deshalb auch die Einführung einer "Sozialmiete". Um hohe soziale und ökonomische Kosten zu vermeiden, sollen die Familien in ihren Wohnungen bleiben können, wobei die Miete 30% des Einkommens nicht übersteigen soll.
Trotz der Kritik an der "Zweiparteiendiktatur" durch das Wahlsystem rufen die Empörten nicht zur Wahlenthaltung auf
In den Wahlkampf wollen die Empörten nicht direkt eingreifen, auch wenn sie von einer "Zweiparteiendiktatur" der regierenden Sozialisten (PSOE) und die oppositionelle Volkspartei (PP) sprechen, die sich an der Macht abwechselten. Weil das Wahlrecht kleine Parteien systematisch benachteilige, wird eine Reform gefordert. Der Wahlabstinenz oder den Forderungen, ungültig zu wählen, wird eine Absage erteilt. "Wir debattieren viel, aber wir haben keinen Konsens und geben keine Handlungsanweisungen", erklärt der-Sprecher Jaime del Val in Madrid. "Wir informieren über die Konsequenzen, was eine massive Wahlenthaltung oder ungültig zu wählen bedeutet", fügt er an. Aus den Argumenten wird deutlich, dass die Wahl von kleinen Parteien wie die neue grüne EQUO, die Vereinte Linke (IU) oder andere priorisiert wird. Ausdrücklich wird gewarnt, dass die Stimmen verloren gingen, wenn die Partei zu klein ist und vorhersehbar nicht auf drei% kommt.
Mit praktisch allen Parteien ist man sich einig, dass eine absolute Mehrheit der Volkspartei verhindert werden muss. Erinnert wird daran, dass die PP Spanien gegen den Willen der breiten Bevölkerung an der Seite der USA in den Irak-Krieg geführt und mit der Liberalisierung des Bodens die Grundlage für die Immobilienblase gelegt hat. Nicht zuletzt wird daran erinnert, dass die Partei von einem Minister der Franco-Diktatur gegründet wurde. Von deren Putsch 1936 gegen die Republik und die blutige Diktatur bis 1975 hat sich die Partei bis heute nicht distanziert.
Alle Prognosen sagen aber dem PP-Führer Mariano Rajoy einen klaren Sieg voraus. Als am Sonntag die letzten Umfragen vor den Parlamentswahlen veröffentlicht werden durften, bestätigte das auch El País. Die größte Tageszeitung, die der regierenden PSOE nahe steht, geht davon aus, dass die PP mit 45% der Stimmen bis zu 196 Sitze im Parlament erreichen dürfte. Die PSOE stürzt dagegen auf knapp 31% ab. Von 169 Sitzen blieben ihr höchstens 113. Alle 10 Oppositionsparteien kämen wegen des Wahlsystems nur auf 158 Sitze.
Anzumerken ist, dass Prognosen in Spanien oft völlig daneben liegen. Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss die Empörten auf diese Wahl haben, die von den üblichen Umfragen kaum erfasst werden. Dass mit ihrem Einfluss zu rechnen ist, haben sie am 15.Oktober gezeigt, als sie Millionen im Land mobilisieren konnten. Eine Überraschung sollte wie bei den Wahlen 1993 und 2004 nicht ausgeschlossen werden, als der PP ein klarer Sieg prophezeit wurde, aber dann die PSOE die Wahl gewonnen hat.