Die merkwürdigen Beschlüsse des EU-Gipfels
Die EU "empfiehlt" eine Abgabe für Finanzinstitute, Island in die EU und Estland in den Euroraum aufnehmen
Am Donnerstag wurde in Brüssel versucht, Normalität zu zelebrieren. Deshalb wurde nach den Gerüchten um einen möglichen Absturz Spaniens vor dem EU-Gipfel so getan, als hätte man sich mit dem Thema gar nicht befasst. Einhellig wurden stattdessen die Maßnahmen des Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero gelobt, die ihm zwei Generalstreiks einbringen und den Machtverlust nach sich ziehen könnten. Man sorge sich nicht um Spanien, verkündete der Franzose Nicolas Sarkozy. Der Vorsitzende der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker sagte: "Ich glaube, viele Dinge, die in den vergangenen Tagen über die ernsthafter werdende Lage Spaniens gesagt wurden, sind Übertreibungen von interessierter Seite". Zapatero erklärte gegenüber der Presse: "Geben Sie nichts auf die Spekulationen" und wirkte dabei wie der Held von Cervantes beim Kampf gegen Windmühlen.
Denn gerade angesichts dieser zur Schau gestellten "Normalität" drängen sich die Parallelen zu Griechenland auf. Denn wurde nicht bei Griechenland ständig behauptet, der Notfall werde nicht eintreten, während sich die Lage real verschlimmerte? Auch dabei wurden im Hintergrund längst die Pakete geschnürt. Dazu gehört auch die angeblich so tolle Meldung, dass Spanien sich am Donnerstag frisches Geld am Kapitalmarkt besorgen konnte. Auch im Fall von Griechenland wurde das noch im April gefeiert, also kurz bevor der Notfall ausgelöst wurde . Dass Spanien für zehnjährige Staatsanleihen nun 4,9% Zinsen bezahlen musste (mit längerer Laufzeit sogar fast 6%) ist eher ein Alarmsignal.
Man darf auch gespannt sein, ob es nur wortreiche Sprechblasen sind oder ob die EU tatsächlich einen Alleingang bei "Finanztransaktionssteuer" plant, wie es allseits als angebliches Ergebnis des EU-Gipfels präsentiert wird. Schaut man sich das Abschlussdokument an, klingt das deutlich wachsweicher:
"Der Europäische Rat ist sich darin einig, dass die Mitgliedstaaten Systeme für Abgaben und Steuern für Finanzinstitute einführen sollten, damit für eine gerechte Lastenverteilung gesorgt wird und damit Anreize für eine Eindämmung der Systemrisiken geschaffen werden."
Klar ist nur, dass nur "erforscht" und "geprüft" werden soll, ob ein Alleingang in der EU möglich ist. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner und das ist kein Beschluss für einen Alleingang. Und insgeheim hoffen nicht wenige, auch in Berlin, dass man in der kommenden Woche beim G-20-Treffen im kanadischen Toronto, wo sich die EU für die Abgabe einsetzen will, das Thema wieder versenkt, weil es angeblich international nicht durchsetzbar sei. Dass die EU-Kommission die Details ausarbeiten und erst im Oktober vorlegen soll, spricht auch dafür, dass man dieses Kapitel eher erneut auf die lange Bank schiebt.
Denn die Briten treten zum Beispiel auf die Bremse und der neue Premierminister David Cameron hat auch deutliche Vorbehalte gegen die angestrebte Stärkung des "Stabilitäts- und Wachstumspakts" angemeldet. Damit will die EU eine bessere Kontrolle über die nationalen Haushalte erhalten. Die sollen zunächst in Brüssel geprüft werden, bevor sie in den nationalen Parlamenten verabschiedet werden können. Das käme einer Aufgabe nationaler Souveränität gleich und hier ist Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Franzosen Nicolas Sarkozy und seiner Idee einer EU-Wirtschaftsregierung stark entgegen gekommen.
So wird im englischen Original von "much stronger economic governance" gesprochen. In der Übersetzung wird aber nicht mehr von "Regierung" gesprochen, sondern von "stärkerer wirtschaftlicher Steuerung". Die Kanzlerin meinte dazu, dass der Sprachgebrauch "unterschiedlich" sei, sich aber alle einig darüber waren, dass eine engere Koordinierung gebraucht werde. "Und das nennen Deutschland und Frankreich jetzt eben Wirtschaftsregierung."
Was die Veröffentlichung von vertraulichen Daten zur Lage der Banken angeht, sollte man auch nicht zu viel erwarten. Zwar ist für die zweite Julihälfte geplante Veröffentlichung der sogenannten Stresstestsergebnisse geplant, der Aufschluss darüber geben solle, wie überlebensfähig die Banken in der Finanzkrise sind. Doch war schon das Vorbild EU ernüchternd, den viele als Schmierentheater bezeichnet haben. Die Kriterien waren so gestrickt, dass nichts anderes als das gewünschte Ergebnis herauskommen konnte. In der EU müssten zunächst einheitliche Kriterien entwickelt werden. Prüft jedes Land nach eigenem Ermessen, könnte man Ergebnisse bekommen, die so glaubhaft sind, wie es Defizitmeldungen Griechenlands oder Ungarns waren.
Wieder einmal sieht die EU auch einen Zehn-Jahres-Plan zum Abbau der Armut und für mehr Bildung vor. Man erinnere sich daran, dass die gescheiterte Lissabon-Strategie uns bis 2010 Vollbeschäftigung versprochen hatte. Die Strategie 2020 will nun angeblich 20 Millionen Menschen vor einem Abdriften in die Armut nachhaltig schützen. Ambitioniert ist das ohnehin nicht, denn je nach Definition leben 80 bis 120 Millionen Bürger in oder an der Schwelle zur Armut. 75% der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren sollen künftig einen Job haben.
Andersrum ausgedrückt könnte man sagen, dass spanische, estnische oder litauische Arbeitslosenquoten von 20% oder mehr angestrebt werden. Das deckt sich auch eher mit der Realität, dass schon vor Krise die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander ging und die Einschnitte in die sozialen Netze, die mit den Sparplänen nun beschlossen werden, werden den Trend wohl noch deutlich beschleunigen.
Beschlossen wurde auf dem Gipfel, den Weg für die Euro-Einführung in Estland zum 1. Januar 2011 frei zu machen, womit bald 17 der 27 EU-Staaten in der Eurozone sind. Grünes Licht gab es für die Aufnahme der Pleite-Insel Island. Damit käme dann neben Griechenland ein weiteres Land in der EU, dessen Kreditwürdigkeit auf Ramsch-Niveau liegt, nachdem die großen Banken des Landes abgestürzt sind. Das Beitrittsdatum hänge aber noch davon ab, wann es im Streit mit Großbritannien und den Niederlanden um 3,8 Milliarden Euro zu einer Einigung kommt. Island hat per Referendum abgelehnt, sich den Konditionen für Entschädigungszahlungen für Anleger zu beugen, die ihr Geld in isländischen Banken verloren haben.