Die spanische Angst vor Portugal
Spanische Firmen wandern ins Nachbarland ab und von rechts bis links wird gegen Portugal gewettert, während eigene Probleme weitgehend verdrängt werden
Dass die portugiesische Linksregierung mit ihrem Kurs erfolgreich ist, ist den Telepolis-Lesern schon bekannt (Portugals Ausstieg aus der Austeritätspolitik). Es wurde politische Stabilität und Wachstum geschaffen. Anders als der große Nachbar hat es Portugal auch geschafft, obwohl Spanien 2016 sogar ein höheres Wachstum ausgewiesen hat, das Defizit sogar deutlich unter die Stabilitätsmarke von 3% zu senken. Dabei hat das Land sogar vorzeitig Kredite an den Internationalen Währungsfonds zurückgezahlt.
Die Arbeitslosenbilanz ist ebenfalls deutlich besser, denn die Arbeitslosenquote ist in Portugal mit 10% nur knapp halb so hoch wie hinter der Grenze in Spanien. Sie ist vom Höchststand 2013 (16,4%) deutlich gesunken, während sie in Spanien weiter auf hohen 19% verharrt. Deshalb fallen auch neidische Blicke über die Grenze zum Nachbarn, den man in Spanien gerne als zweitrangig ansieht und viele würden das kleinere Land sogar gerne in das Königreich eingliedern.
Auch die spanische Linke kritisiert Portugal
Angestoßen wurde eine Debatte von der Regionalregierung in Galicien, denn die Region im Nordwesten der Iberischen Halbinsel hat eine lange Grenzen zu Portugal. In Santiago de Compostela sorgt man sich ganz besonders über die "Abwanderung" von Firmen nach Portugal.
Die von der rechten Volkspartei (PP) geführte "Xunta", wie Regierung auf Galicisch heißt, prüft, ob sie mit unzulässigen Beihilfen angelockt werden. "Wir untersuchen die Gründe für die Abwanderung", erklärte Vizeministerpräsident Alfonso Rueda und vermutet Verstöße gegen europäische Wettbewerbsregeln. Betroffen seien "auch Firmen mit einer konsolidierten Aktivität, Zulieferer von unseren großen Firmen", was die Regionalregierung besonders schmerzt, sagte er mit Blick auf das Autowerk von Citroen in Vigo. Die Grenze liegt nur 30 Kilometer südlich der größten Stadt in Galicien. Rueda sprach von einer Steuerpolitik, die "bis zu einem Maximum" auch Steuervergünstigungen gewähre. Dazu kämen unter anderem die niedrigeren Löhne und die Verbilligung von Industriegelände "bis zum gesetzlichen Minimum", wie er meint.
Während die Konservativen noch prüfen, haben diverse Linke das Urteil schon gefällt. "En Marea" (Flut), in der die neue Linkspartei Podemos (Wir können es) mit anderen kandidiert, fordert sogar von der rechten PP-Regierung in Madrid, die sie sonst aufs Messer bekämpft, Portugal wegen Wettbewerbsverstößen bei der EU-Kommission zu verklagen. Dabei beruft man sich in der neuen Linkspartei eigentlich gerne auf das erfolgreiche portugiesische Vorbild. Der Linksblock (BE) ist sogar die Schwesterpartei von Podemos. Und mit der BE stützt auch die grün-kommunistische CDU die sozialistische portugiesische Regierung. En Marea spricht vom "Verstoß gegen Wettbewerbsnormen bei der Gewährung von Beihilfen und beim Angebot von Industrieflächen".
Etwa 2.000 direkte Arbeitsplätze im Automobilbau und eine noch höhere Zahl indirekte Stellen seien allein im Süden Galiciens schon nach Portugal verschwunden. Die Unternehmensvereinigung CEAGA spricht von 27 abgewanderten Zulieferern. Dabei greift En Marea aber auch die Xunta an und wirft ihr vor, Millionen-Subventionen in Automobilbau nicht zu überprüfen, die für Innovationsprogramme flössen. "Alles weist darauf hin, dass sie weder der Innovation noch der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in Spanien dienen."
Die multinationalen Firmen nutzen schlechtere Arbeits- und Gehaltsbedingungen aus
Auch die große Gewerkschaft CCOO greift Portugal an. Der neue Chef ihrer Industriesparte erklärt, "der Norden Portugals hat nie mit den gleichen Regeln gespielt". Das müsse "angezeigt werden", meint auch Celso Carnero. Die "gestiegene Produktivität und Qualität" seien nun für die Abwanderung verantwortlich, die durch niedrigere Löhne begünstigt werde. Portugal bewege sich beim Lohnniveau nicht in Richtung Europa. Dabei verschweigt er, dass die Linksregierung den von den konservativen Vorgängern gesenkten Mindestlohn schon zwei Mal erhöht oder gestrichene Feiertage wieder eingeführt hat.
Vereinbart mit den linksradikalen Unterstützern ist zudem, ihn bis 2019 auf 600 Euro (14 Zahlungen im Jahr) anzuheben. Damit wäre er fast auf dem spanischen Niveau angelangt. Doch angesichts der Notwendigkeit, Unterstützer im Parlament zu finden, war die PP-Regierung gerade gezwungen, den Mindestlohn um 8% auf 700 Euro zu erhöhen, der viele Jahre praktisch eingefroren war. Allerdings ist auch das eine Lehre aus dem Vorbild Portugal. Unterschwellig räumt damit sogar die PP ein, dass dies ein wichtiger Schritt ist, um den nationalen Konsum und den Arbeitsmarkt zu stärken, wie beim Nachbar bewiesen wurde.
Weder En Marea noch die CCOO gehen in ihrer vereinfachten und nationalistischen Kritik darüber hinweg, dass Portugal das Vorbild für die Beendigung des allgemeinen Austeritätsdumpings ist, das die Konservativen auf Druck aus Brüssel im Rahmen der Austeritätsprogramme umgesetzt haben. Und so sind es die beiden großen portugiesischen Gewerkschaften, welche die Nachbarn auf tiefer liegende Probleme hinweisen. Die multinationalen Firmen nutzten vor allem schlechtere Arbeits- und Gehaltsbedingungen aus, erklärte der Chef des kommunistischen Gewerkschaftsverbands (CGTP). "Heute wanden Firmen von Galicien nach Portugal ab, doch morgen wird es andere Verlagerungen geben, aus Galicien und Portugal nach Osteuropa", sagte Armenio Carlos den Kollegen beim Besuch in Vigo.
Vergünstigungen böten praktisch alle Länder, erklärte der Chef der sozialistischen UGT Carlos Silva beim Treffen mit den Chefs der beiden großen spanischen Gewerkschaften. Silva geht davon aus, dass die rechte Regionalregierung mit der Debatte nur die "eigene Unfähigkeit" verdecke. "Der Kampf muss gemeinsam darauf ausgerichtet sein, gerechte Lohn- und Arbeitsbedingungen für alle im Boot Europa zu erreichen", sagte der CGTP-Chef.
Allerdings gibt es auch in Spanien oder Galicien durchaus noch Menschen, die die Kritik nicht nur nach außen richten, sondern auch die Probleme sehen. Der Verband zur Schaffung der Euroregion Galicien–Nordportugal kritisiert Galicien. Der Generalsekretär von "Eixo Atlántico" spricht davon, von einer "totalen Unattraktivität" für Investitionen in Galicien, wegen einer "miserablen" Regierung und einer "inexistenten Industriepolitik". Xoan Vázquez Mao verwies auch auf den Dauerstreit zwischen einzelne Provinzen. Er hat sich in einem Brief an die Xunta gewendet, weil inzwischen sogar Firmen wie Inditex, die dem reichsten Spanier gehört, abwanderten. So weist Vázquez auch darauf hin, dass es dort auch eine koordinierte Industrie- und Infrastrukturpolitik gäbe, die man in Galicien vermisst.