Emissionshandel: Der Markt richtet es nicht
Kohle schlägt Erdgas und treibt Emissionen nach oben. Ein Kommentar
Seit gut drei Jahrzehnten wird hierzulande und in vielen andren Ländern den Menschen in die Köpfe gehämmert, der Markt wird es schon richten. Man müsse nur für genügend Wettbewerb sorgen. Mit den Lissabonner Verträgen wurde diesem neoliberalen Credo sogar sozusagen Verfassungsrang eingeräumt.
Der freie Markt und der freie Wettbewerb gelten als die ultimativen Ziele allen staatlichen Handelns. Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel fand dafür einst die treffende Beschreibung, die es wert wäre, in die Geschichtsbücher einzugehen. Wir hätten, meinte Merkel eher wohlwollend als kritisierend, eine marktkonforme Demokratie.
Dass der Glaube an die heilende Kraft des Marktes in der wirklichen Welt wenig Bestätigung findet, wissen nicht nur Bahn-, Post- und Telekomkunden, die alt genug sind, sich an das zwar nicht perfekte, aber doch erheblich bessere Serviceniveau vor der Privatisierung zu erinnern. Auch an der wachsenden Armut, an der Pflegekatastrophe, an der Ausweitung des Billiglohnsektors oder am wachenden Heer der Flaschensammlerinnen und Flaschensammler könnte man es ablesen.
Man könnte außerdem in einem so sehr vom Weltmarkt abhängigen Land auch mal den Blick über die Landesgrenzen schweifen lassen, um festzustellen, dass der der deutschen Außenpolitik so heilige freie Welthandel seit Jahrzehnten ganz famos mit 800 Millionen und mehr hungernden Menschen leben kann und keinesfalls etwas zur Linderung des Leids beiträgt. Eher im Gegenteil.
Oder man könnte es schließlich auch am derzeitigen Energiemarkt und Klimaschutz ablesen. Weil die Preise für Erdgas derzeit in schwindelerregende Höhen klettern, haben die deutschen Kohlekraftwerke viel zu tun, wenn es nicht gerade kräftig weht.
Das Allheilmittel der liberalen Umweltschutzpolitik, der CO₂-Preis, kann offensichtlich mal wieder keine Wirkung entfalten. Letzterer ist zwar auch hoch, aber nicht hoch genug, um die Kohle teurer als das nicht ganz so klimaschädliche Erdgas zu machen.
Entsprechend liegt die Stromerzeugung in Braun- und Steinkohlekraftwerken 2021 schon jetzt etwas höher als im gesamten Vorjahr, wie den Daten des Fraunhoferinstituts für solare Energiesysteme zu entnehmen ist. Erstmals seit 2013 wird die Erzeugung der Kohlekraftwerke in diesem Jahr wieder zulegen.
Das freut die Kraftwerksbetreiber, die derzeit relativ gut Kasse machen, und es steigert die Emissionen des Treibhausgases CO₂. Zumal besonders der klimaschädlichste aller fossilen Brennstoffe, die Braunkohle, Konjunktur hat.
Ganz offensichtlich richtet es der Markt mal wieder nicht. Strengere staatliche Eingriffe müssten her, wenn der Klimaschutz ernst gemeint sein sollte und die Emissionen so drastisch gesenkt werden sollen, wie es inzwischen – dank jahrzehntelanger Verschleppung – notwendig geworden ist. In den nächsten Tagen werden wir erfahren, ob diesbezüglich irgendwas von der neuen Regierung zu erwarten ist.