Finnland beschließt den Bau neuer Atomkraftwerke

Trotz dreijähriger Verzögerungen und steigender Kosten in Olkiluoto setzt Finnland auf neue Atomkraftwerke

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In Finnland ticken die Uhren anders. Man hat im dem Land ein Grundrecht auf einen Breitband-Internetanschluss und die Pflicht, teuren und gefährlichen Atomstrom zu kaufen. Dass die Atomkraft in Finnland kein Auslaufmodell ist, zeigt das Land seit Jahren. Nun hat das Parlament am vergangenen Donnerstag beschlossen, zwei weitere Atomkraftwerke zu genehmigen. Klar fiel das Ergebnis der Abstimmung aus. 120 Parlamentarier stimmten für einen vierten Block am Standort Olkiluoto und nur 72 dagegen. Bisher betreibt Teollisuuden Voima Oyj (TVO) in Olkiluoto schon zwei Reaktoren, die jeweils eine Leistung von 840 MW haben.

An Block 3, der 1600 MW Strom produzieren soll, wird schon gebaut, schon lange. Denn Finnland war das erste Land, das sich auf das französische Abenteuer des European Pressurized Reaktor (EPR) eingelassen hat. Der Strom des dritten Blocks in Olkiluoto sollte eigentlich schon im vergangenen Jahr ins Netz eingespeist werden. Doch daraus wurde nichts. Es gab und gibt erhebliche Sicherheitsprobleme, die sowohl französische, finnische und britische Aufsichtsbehörden bemängelt haben. Die Baukosten hatten sich schon bis Ende 2009 von geplanten 3 Milliarden Euro auf 5,3 Milliarden Euro fast verdoppelt. Die Inbetriebnahme des EPR ist nun erst für 2013 vorgesehen. Reale Kosten und realer Betriebsstart sind also weiter sehr ungewiss. Beim zweiten EPR-Bau im französischen Penly sieht es nicht anders aus.

Neben Olkiluoto 4 wurde auch der Antrag des Energieversorgers Fennovoima Oy positiv beschieden, in Simo oder Pyhäjoki ein weiteres Kraftwerk zu bauen. An dem Unternehmen ist der deutsche Energiekonzern E.ON mit 34% beteiligt. Die Entscheidung über den Standort soll Anfang des kommenden Jahres fallen. Da man sich in Finnland auch darüber bewusst ist, dass die ungelöste Endlagerfrage ein Stolperstein ist, wurde in Eurajoki (unweit von Olkiluoto), als Rundum-Sorglos-Paket,auch gleich noch ein Endlager genehmigt. Damit soll das weltweit das erste Endlager für hochradioaktiven Atommüll entstehen.

Umweltschützer demonstrierten vor dem Parlament gegen die Atomprojekte. Sie weisen darauf hin, dass die Stimmung angesichts des EPR-Desasters gekippt sei und sich nun die Mehrheit der Bevölkerung gegen neue Atomkraftwerke ausspreche. Greenpeace kritisierte, dass nun der Weg zum verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien blockiert wäre. Das Parlament habe gezeigt, dass es "jeglichen Kontakt zur Realität verloren hat." Viele Finnen wenden sich auch dagegen, dass die Regierung angesichts der explodierenden Kosten für die Meiler über Staatsgarantien nachdenkt. Interessant ist der Spagat der Grünen in Finnland. Die Partei stimmte zwar geschlossen gegen die Atomkraftwerke, doch die Ökopartei bringt es fertig, gleichzeitig Regierungspartei zu sein. Es lag schließlich an den Grünen, dass die Regierung kurz nach der Abstimmung ein Misstrauensvotum der Opposition überstanden hat.

Als wirkliche Opposition gegen die Atompläne kristallisiert sich die Linkspartei heraus. Die Linke erklärt, dass der neue Atomstrom vor allem für den Export gedacht sei, weshalb das zweite beschlossene Kraftwerk in Nordfinnland nahe der schwedischen Grenze gebaut werden soll. Finnland werde nur wegen seiner atomfreundlichen Politik als "Atomreservat" gewählt, meint der Vorsitzende der Partei Paavo Arhinmäki.

Für die Argumentation spricht, dass Finnland mit den neuen Meilern seinen Strombedarf zu 100% aus Atomkraft decken könnte. Doch das Land produziert schon jetzt fast 30% über erneuerbare Quellen. Sogar die Grünen weisen auf die lange Küstenlinie hin, die für Windstrom besonders geeignet sei, und auf die große Biomasse der heimischen Wälder. Und das Land hat schon gegenüber der EU verpflichtet, den Anteil der Erneuerbaren bis 2020 auf knapp 40% zu steigern. Um den Strom der neuen Atommeiler im Land abzunehmen, müsste sich der Verbrauch also fast verdoppeln. Tatsächlich stagnierte der Stromverbrauch seit Jahren, derzeit sinkt er nun sogar.