Gegen die "market fucking forces"
Lob der Umverteilung: Ken Loachs mäßig witziges, aber unmäßig engagiertes Räubermärchen "Angels' Share"
Es geht überraschend los, so gar nicht wie in einer Komödie, nämlich sehr ernst und ohne Humor: Robbie (eindrücklich gespielt vom Debütanten Paul Brannigan), ein junger Proletarier aus Glasgow, der zu gewalttätig ist, als dass man ihn einfach als "Kleinkriminellen" abtun könnte, steht wieder mal vor Gericht. Das lässt noch einmal Gnade vor Recht ergehen und schickt Robbie nur deshalb, weil er bald Vater wird, statt ins Gefängnis ins Gemeindecenter, wo er mit 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit etwas Gutes für die Gesellschaft tun soll.
Aber im Grunde, das ist gleich klar, hat er keine Chance. Draußen vor dem Gericht warten schon die Cousins seiner Freundin, die den Kontakt des Paares mit Gewalt unterbinden wollen und Robbie erst einmal zusammenschlagen. Auch kurz darauf, als Freundin Leonie, die zu Robbie steht, vermutlich, weil sie das Gute in diesem zornigen jungen Mann erkennt, ihn zu einem ehemaligen Opfer begleitet, folgt eine für den Zuschauer unangenehme Szene: Ken Loach färbt nichts schön, er zeigt, dass sein Held schlimme Dinge getan hat. Aber er will uns eben auch klarmachen, dass selbst "so einer" mehr als nur eine Seite hat.
Robbies andere Seite kommt ganz allmählich heraus, als er Harry kennenlernt, seinen "Supervisor" beim Sozialdienst. Der kontrolliert als Streetworker, dass Robbie und seine Kollegen ihre Arbeit machen und beim Malern und Müllsammeln nichts anstellen. Jetzt wird der Film nicht klüger, aber immerhin lustiger: Denn Robbies Kollegen, das ist ein Haufen bizarrer, kurioser, depperter Straffälliger, die trotz krimineller Vergangenheit auch jeweils ihre, wie man so sagt, "liebevollen" Seiten haben.
Man könnte auch sagen: Sie sind grenzdebil. Mo (Jasmin Riggins), Rhino (William Ruane) und Albert (Gary Maitland). Vor allem aber ist Harry in seiner Freizeit ein Whiskyliebhaber und -kenner, und er ist ein herzensguter Mensch. Deshalb nimmt er seine Schützlinge ernst, versucht sie zu bessern und bietet ihnen an einem Wochenende einen Ausflug in eine Whisky-Distillerie. Hier deutet sich erstmals die nun folgende märchenhafte Wendung der Handlung an.
"Rififi" in den schottischen Highlands
Denn Robbie hat "eine Nase", jenen siebten Sinn, der aus einem Whisky-Fan einen Whisky-Experten macht, das Vermögen Hunderte von Sorten zu unterscheiden und vor allem die Unterschiede zwischen Billigfusel und exzellenten Jahrgängen zu erkennen, die pro Flasche einige hunderttausend Pfund wert sein können. Bald darauf zeigt er seine Künste bei einem "Blind-Testen", und macht einen bekannten Experten auf sich aufmerksam. Und so wandelt sich, was als Unterschichtdrama begonnen hatte und zur Whisky- und Sozial-Komödie geworden ist, ein drittes Mal: Zu einer witzigen, leichthändig inszenierten und gespielten Räuberstory à la "Rififi", die in den schottischen Highlands mündet, bei der ein wertvoller Whisky zum Schlüssel ins Glück wird.
"Angels' Share", der Schluck Whisky, den die Engel kriegen, ist der Name für jene zwei Prozent Menge des kostbaren Gesöffs, die aus den alten Holzfässern während des Reifeprozesses verdunstet. Man könnte so auch das nennen, was den Armen und Unterdrückten zusteht: Denn Robbie, der eigentlich keine Chance mehr hat, nutzt sie aber dann doch, um aus der Gewaltspirale der Vorstädte auszubrechen und ein neues Leben zu beginnen.
Fast wie ein Märchen erscheint diese Geschichte, und während der Whisky - das meint ja "Angels' Share" - besser wird, wenn ihm etwas fehlt, kann man das bei diesem Film leider nicht behaupten. Loach fehlt die Genauigkeit, er ist in seinen ernsten Filmen einfach viel besser als in seinen Komödien, in denen er seine niederen ästhetischen Instinkte auslebt.
"Angels' Share" ist stinklangweilig, die Witze sind müde. Aber es ist auch ein typischer Film von Ken Loach, diesem letzten Klassenkämpfer unter den europäischen Regisseuren: Ein immerhin albernes, selten kluges und diesmal auch etwas schlichtes filmisches Lob der Umverteilung, in der die "market fucking forces" ausgetrickst werden und die Moral glasklar ist: "Do something!"