Gewerkschaftliche Regenprozession
In Demonstrationen gegen das Sparpaket der Bundesregierung zeigen mehrere zehntausend Menschen wie man mit viel Aufwand wenig Wirkung produziert
Demonstrationen sind die Wallfahrten des 21. Jahrhunderts: Die Teilnehmer erhofften sich wie bei den katholischen Äquivalenten Veränderung in einer verzweifelten Lage, deren Beseitigung außerhalb ihres eigenen Machtbereichs liegt. Über die Erfolgsquoten weiß man wenig Verlässliches - aber allein die Teilnahme an der Wallfahrt oder der Demonstration bietet offenbar so viel Ablenkung, dass sich beide Modelle überraschend erfolgreich halten können.
Das war auch bei den gestern veranstalteten Ritualen in Stuttgart und Berlin nicht anders. Trotz nach Angaben der Veranstalter insgesamt 45.000 und Polizeischätzungen zufolge etwa 30.000 Teilnehmern lösten sie kaum Aufmerksamkeit aus. Die üblichen Redner aus den Reihen von Verdi und Linkspartei gaben die hinlänglich bekannten und nur notdürftig an die Gegenwart angepassten Textbausteine von sich, die den meisten Medien zu Recht zu langweilig waren, um darüber zu berichten.
Während man diese Reden noch als putzige aber wirkungslose Form des Protests werten konnte, gaben sich andere Teilnehmer alle Mühe, ein für den Zweck der Veranstaltung sogar kontraproduktives Ergebnis herbeizuführen: Nach Angaben der Polizei wurden Beamte in Berlin mit Steinen, Farbflaschen und einem "explodierenden Gegenstand" beworfen, weshalb zwei Personen in ein Krankenhaus verbracht werden mussten. In Stuttgart schmähten Demonstranten den SPD-Landtagsfraktionschef Claus Schmiedel mit Eiern und Bananen und sorgten durch Trillerpfeifen und Buhrufe dafür, dass seine Rede nicht verstanden werden konnte.
Die Entscheider über die Kürzungsbeschlüsse, gegen die sich die Märsche offiziell richteten, dürften die Ereignisse deshalb eher beruhigt als beeindruckt haben. Angela Merkel hatte sich in der Bild am Sonntag bereits vorab entsprechend gelassen gegeben. Das Sparpaket, so die Basta-Kanzlerin, sei "sozial ausgewogen", auch wenn 79 Prozent der Bevölkerung anderer Meinung sind.