Greta Thunberg als Projektionsfläche

Screenshot aus dem WTF-YouTube-Video

Die Berichterstattung über ihre Rede beschränkt sich auf ideologische Spiegelfechterei und alberne Belanglosigkeiten. An Fakten scheinen Journalisten wenig Interesse zu haben

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Es sieht so aus, als ob sich von links bis rechts jeder, aber auch wirklich jeder an dieser so handlichen wie albernen Dichotomie Greta Thunberg versus Donald Trump abarbeiten muss. Der eine erklärt sie zu zwei übertreibenden Polen einer Debatte, beide gleichermaßen Extremisten, wo doch jeder gute Bürger weiß, dass die Wahrheit stets in der Mitte liegt. Und der andere wirft einem 17-jährigen Mädchen vor, "Hofnärrin" des Weltwirtschaftsforums zu sein, "den reaktionären Grundkonsens der Grünen" zu "recyceln", die Herrschaft der Wissenschaft anzustreben und nicht genug Kapitalismus-Kritik zu üben.

Es ist ja auch wirklich immer wieder so schön bequem, die alten, abgenutzten Schablonen hervor zu kramen und ein bisschen historisches Halbwissen unterzumischen. (Besonders schön: Der Vergleich der heutigen Jugendbewegung mit der Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts.) Dann braucht man nicht so genau nachlesen oder hinhören, dann muss man nicht versuchen zu verstehen, was die junge Schwedin in Davos wirklich gesagt hat.

Für die Medien hatte sie dort aus den Schweizer Bergen vor allem einen Botschaft: Berichtet über die Zahlen! Berichtet über die Zahlen, die ich euch schon mehrfach aus dem letzten IPCC-Bericht vorgelesen habe und es auch heute wieder mache.

420 Milliarden Tonnen Kohlendioxid mit Stand vom 1. Januar 2018 kann die Menschheit noch emittieren. Aktualisiert sind das nur noch knapp 340 Milliarden Tonnen. Wenn diese Menge überschritten wird, haben wir eine 66prozentige Chance, dass die Erwärmung nicht auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau beschränkt werden kann.

Das Brisante an diesen Zahlen – und auch darauf weisen Thunberg und viele andere junge Menschen immer wieder hin: Es werden derzeit gut 40 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr in die Luft geblasen. Im derzeitigen Tempo ist also die Latte in acht Jahren endgültig gerissen, was nicht heißt, dass danach alles egal ist, sondern dass es immer schlimmer werden wird. Mit jeder weiteren Tonne CO2.

Ein bisschen Emissionen reduzieren reicht also nicht, auch das hat Thunberg den versammelten Krawattenträgern in Davos ein mal mehr ins Stammbuch geschrieben. Die Emissionen müssen auf Null runter und zwar subito.

Man höre sich einfach mal die Reden dieses zornigen, sehr intelligenten jungen Mädchens an. Dann wird man schnell sehen, dass sie bestimmt nicht der Illusion anhängt, das alles sei mit einem "Weiter so" und ein bisschen grüner Tünche zu haben.

Und nein, sie schlägt keinen Weg vor, wie diese dramatische Transformation aussehen kann. Sie will Resultate sehen und stellt nüchtern fest, dass auch die Linke oder das, was in der öffentlichen Debatte so als Linke gilt, bisher keine vorzuweisen hat.

Und nein, die Feststellung, dass der Kapitalismus das Problem ist, es einen Systemwandel braucht, ist zwar ehrenhaft, aber noch kein Resultat im oben gemeinten Sinne. Es ist eine Diagnose, aber keine Kur. Der fiebernde Planet braucht aber genau das: Resultate. Eine Rezeptur, die ihn kuriert.