Haiti: Angst vor Anarchie und verzweifelte Suche nach Rettungswegen
Nach ersten Regierungsschätzungen hat das Erdbeben 140 000 Todesopfer gefordert. Die Situation für Rettungsteams und die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln bleibt dramatisch. Bilder einer militärischen Aufklärungsdrohne sollen helfen
Nach ersten offiziellen Angaben der haitianischen Regierung sind bei dem Erdbeben 140 000 Menschen ums Leben gekommen; etwa 40 000 sollen bestattet worden sein, man geht laut Aussage eines Ministers von weiteren 100.000 Toten aus, die noch unter den Trümmern verschüttet sind. Hilfsorganisationen nennen ähnlich hohe Zahlen.
Die Zeit, die den Rettungsteams bleibt, um Überlebende aus den Trümmern zu bergen, wird knapp; die Wahrscheinlichkeit, auf Überlebende zu stoßen, würde sich 72 Stunden nach dem Beben erheblich vermindern, wird berichtet. Selbst für Rettungsteams, die bereits gelandet sind, sei es schwierig vom Flughafen aus weiterzukommen. Viele für den lebenswichtigen Nachschub nötige Wege sind zerstört.
Mittlerweile regeln laut Berichten amerikanischer Medien Spezialisten von der Federal Aviation Administration und der US Air Force Start und Landungen von Flugzeugen an dem Flughafen er Hauptstadt, der ebenfalls vom Erdbeben betroffen ist. Am Donnerstag sollen 120 Starts und Landungen gezählt worden sein, zuvor seine 25 Flüge am Tag normal gewesen, berichtet die Nachrichtenagentur AP.
Das große Problem bleibt weiterhin die Versorgung der Bevölkerung (siehe "Wer hilft uns? Niemand!") mit ärztlicher Hilfe, Medikamenten und vor allem mit dem Nötigsten an Lebensmitteln, besonders Wasser, das teilweise von Helikoptern aus abgeworfen wird. Die Verzweiflung der Überlebenden, die nicht ausreichend versorgt werden, wachse in einem beängstigenden Ausmaß; berichtet wird von Plünderungen, von herumstreifenden Banden, von der Angst vor Anarchie. Auch das Hauptgefängnis von Port-au-Prince ist nach Medienberichten völlig zerstört worden, viele Insassen sollen überlebt haben und geflüchtet sein. Bis Montag sollen laut Angaben von Mike Mullen, Chef des Joint Chiefs of Staff, 9 000 bis 10 000 Mann starke US-Streitkräfte in Haiti ankommen, die meisten sollen allerdings auf ihren Schiffen in der Nähe des Hafens von Port-au-Prince bleiben, nur ein Teil soll auf der Insel eingesetzt werden.
Während Hilfsorganisationen unter großem Zeitdruck daran arbeiten, alternative Versorgungswege zu eröffnen, was auf erhebliche Hindernisse stößt, da auch die Straßen von der benachbarten Dominikanischen Republik durch das Erdbeben zum größten Teil unpassierbar geworden sind, setzt die US-Air Force seit Donnerstag eine Global Hawks-Aufklärungsdrohne ein, die eigentlich in Afghanistan zum Einsatz kommen sollte. Bilder der Drohne sollen helfen, mögliche Landebahnen, Hafenzugänge und intakte Brücken ausfindig zu machen.
Fehlende Landemöglichkeiten verhindern auch bislang, dass wichtige Kommunikationsnetze, wie etwa das Mobilfunknetz wieder hergestellt wird. Laut Angaben der New York Times konnten beispielsweise Techniker von Digicel, dem größten Mobilfunk-Betreiber Haitis, bislang nicht landen.