Im Windschatten Schottlands und Kataloniens zur Unabhängigkeit

Mit dem Ende der Untergrundorganisation ETA bricht auch die Zeit einer Massenbewegung für die Unabhängigkeit im Baskenland an

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Es fehlt nur noch, dass die Untergrundorganisation ETA ihre Waffen vernichtet. Dann ist definitiv der Weg demnächst frei, damit sich wie Schotten und Katalanen auch die Basken gemeinsam auf den in die Weg Unabhängigkeit machen können. Schotten und Katalanen lassen schon im Herbst ihre Bevölkerungen über die Loslösung von Großbritannien und Spanien abstimmen. Deshalb erwartet der baskische Regierungschef Iñigo Urkullu, dass die Separatistenorganisation "in den nächsten sechs Monaten" die Waffen abgibt. Ein "Plan für den Frieden und das Zusammenleben" hat seine Regierung kürzlich verabschiedet, der als "ersten Schritt" ihre Entwaffnung und Auflösung vorsieht. "Hinter den Kulissen" werde längst daran gearbeitet, dass es zu neuen Schritten kommt, betonte er.

Während sich die linke Unabhängigkeitsbewegung vorwärts bewege, macht der Chef der großen Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) in der konservativen spanischen Regierung "besorgniserregende Rückschritte" aus. Der Christdemokrat bezieht sich dabei auch auf die Festnahmen von Anwälten und die Durchsuchung ihrer Kanzleien in den letzten Tagen. Sie werden erst am Montag einem Haftrichter vorgeführt und befinden sich in der berüchtigten Kontaktsperre der Guardia Civil, in der es immer wieder zu Folter und Misshandlungen kommt. Innenminister Jorge Fernández Díaz hatte behauptet, die Anwälte hätten für die ETA die Gefangenen "kontrolliert, ihrer Tyrannei unterworfen".

"Der Innenminister tut so, als habe sich nichts verändert", meint dagegen Urkullu im Interview mit Radio Euskadi am Freitag (Er erwartet, dass auch bei dieser Aktion wie bei anderen nichts herauskommen werde. Es handele sich um ein Medienspektakel, das er als zudem als "Stümperei" bezeichnete. Denn die Guardia Civil hatte die Razzien schon vor ihrem Beginn per Presseerklärung angekündigt.

Unerklärlich ist für ihn auch, warum die jährliche Januar-Demonstration am Samstag in Bilbao verboten werden soll, obwohl auch in Jahren härtester Konfrontation und Anschlägen der ETA stets Zehntausende friedlich für die Freiheit und die Rechte der Gefangenen demonstrieren konnten. Nach dem Interview hatte zunächst ein Richter am Nationalen Gerichtshof den Verbotsantrag der Regierung abgelehnt. Allerdings dauerte die Erleichterung bei Urkullu nur kurz. Wenig später bestätigte ein zweiter Richter des Sondergerichts das Verbot doch noch.

So soll nun der Marsch von mehr als 100.000 Menschen verhindert werden, die aber demonstrieren durften, als die ETA noch tödliche Anschläge durchführte. Es scheint, in Spanien fürchtet man sich mehr vor friedlichen Massen als vor bewaffneten Kämpfern. Denn die ETA hat im Oktober 2011 nach über 50 Jahren das "definitive Ende der bewaffneter Aktivitäten" ohne Vorbedingungen verkündet. Das hatten alle baskische Parteien und Gewerkschaften unter Vermittlung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan und Friedensnobelpreisträgern auf einer Friedenskonferenz kurz zuvor von ihr gefordert. Trotz der Veränderungen wende Spanien aber weiter seine "Ausnahmegesetzgebung" an. Das hat auch der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Die Linke) kürzlich bei einem Besuch kritisiert.

Dass auch die ETA- Gefangenen zum Jahreswechsel für die Militanten im Untergrund den Weg zur Entwaffnung freigemacht haben, ist ein "wichtiger Schritt" für Urkullu. Die 600 Gefangenen stellten sich mit einer Erklärung ohne Abstriche hinter den von der baskischen Linken vorangetriebenen Friedensprozess. Bedeutend ist für Urkullu auch, dass am vergangenen Samstag etwa 100 Ex-Gefangene diese Erklärung unterstützten, die nach einem Urteil des europäischen Menschenrechtsgerichtshof kürzlich freigelassen werden mussten. Das zeige, dass der "Friedensprozess unumkehrbar ist". Sie übernahmen zudem die "volle Verantwortung" für die Gewalt und bedauerten "mit aller Aufrichtigkeit das hervorgerufene Leiden". Die spanische Regierung hatte die Strafen derer, die sie als "Hardliner" bezeichnet, nachträglich verlängert, um eine Entlassung nach Strafverbüßung zu verhindern.

Urkullu weiß auch, dass die internationale Vermittlungsgruppe längst eine Kommission gebildet hat. Sie überprüft die vollständige Inaktivität der ETA und kann auch die Entwaffnung überprüfen. Ihr steht Ram Manikkalingam aus Sri Lanka vor und zu ihr gehört auch Jonathan Powell. Der ehemalige Chefunterhändler von Tony Blair hat in Nordirland Erfahrungen mit Friedenslösungen und Entwaffnungen gesammelt. Die fordert Spanien zwar stets von der ETA. Gleichzeitig weigert sich Madrid aber, anders als die Briten einst mit der IRA, mit der ETA darüber zu sprechen, wie es die Roadmap der Friedenskonferenz ebenfalls vorsieht.

Spanien versucht mit neuen Verboten und Verhaftungen offensichtlich den Friedensprozess zu verzögern oder zu verhindern. Deshalb dürfte nun auch dieser Dialog übersprungen werden, um die Entwaffnung nicht weiter zu verzögern, welche auch die ETA schon auf die Agenda gesetzt hat. Spanien würde damit argumentativ weiter in die Ecke gedrängt. Urkullu warf dazu auch in den Raum, auch die baskische Polizei Ertzaintza könnte daran teilnehmen, wenn sich Spanien weiter verweigert. Die baskische Linke, die längst wieder legal auftreten kann, nachdem Spaniens Verfassungsrichter Parteiverbote aufgehoben haben, fordert von der ETA neue einseitige Schritte, um weitere Kräfte bündeln zu können. Sie ist inzwischen bei Wahlen zweitstärkste Kraft und regiert erstmals eine baskische Provinz und die baskische Großstadt Donostia-San Sebastian. Lange hatten die Anschläge der ETA verhindert, dass es zu breiten Bündnissen kommt.

Katalonien steht dafür Pate. Dort bildeten am vergangenen 11. September ein Drittel der etwa 7,5 Millionen Bewohner eine Menschenkette quer durchs Land, um wie einst die baltischen Staaten die Unabhängigkeit zu fordern. Der Druck der Bevölkerung auf die Schwesterpartei von Urkullus PNV hat in Katalonien längst dazu geführt, dass die CIU unter Artur Mas vor gut einem Jahr auf den Zug aufsprang, nachdem Spanien Verhandlungen über eine bessere Finanzierung der unterfinanzierten Region verweigert hatte. Mas will nun den Schwung des Referendums in Schottland nutzen. Da sich Briten und Schotten auf das Referendum geeinigt haben, sieht Spanien schlecht aus, das eine demokratische Abstimmung der Katalanen mit allen Mitteln verhindern will. Die Basken wollen wiederum in deren Windschatten neuen Schwung für die Durchsetzung ihrer Forderungen holen, weshalb die Zeit nun drängt.