In Spanien galoppiert vor allem die Armut
Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich wie sonst nirgendwo in Europa
Dass Spanien in die Rezession rutscht, ist seit langem klar. Das hat am Donnerstag auch die EU-Kommission bestätigt. Brüssel korrigierte die bisherige Prognose für 2012 deutlich nach unten. Statt zu wachsen, soll die gesamte Eurozone um 0,3% schrumpfen.
Für Arme in Spanien kommt es schlimm, schließlich hatten viele gehofft, die wirtschaftliche Lage könne sich 2012 verbessern. Brüssel hatte noch vor drei Monaten ein Wachstum 0,7% vorhergesagt. Nun soll die Wirtschaft dagegen um 1% schrumpfen. Doch damit bleibt die die EU-Prognose noch deutlich hinter anderen zurück. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert sogar ein Minus von 1,7%.
Im viertgrößten Euroland galoppiert vor allem die Armut wie in keinem anderen Land der Eurozone. Nach Angaben der Caritas wird die Armutsquote in Europa nur noch von Rumänien und Lettland übertroffen. Der kirchliche Wohlfahrtsverband hat dazu nun eine Studie vorgelegt. Der Generalsekretär der Caritas erklärte dazu, dass es heute "mehr Arme gibt, die zudem noch ärmer sind". Für Sebastián Mora bestätigt die Untersuchung, dass sich die "Armut ausbreitet, intensiver und chronischer ist".
Um 34% ist die Zahl der Haushalte von 2007 bis 2011 gestiegen, die über keine Einkünfte verfügen. Zum Jahresende waren in 3,3% oder 580.000 Haushalten alle Familienmitglieder arbeitslos, sie bekommen kein Arbeitslosengeld mehr, das höchstens zwei Jahre gezahlt wird, und erhalten auch kein Sozialgeld mehr, das es nur für sechs Monate gibt. Wie in keinem anderen EU-Land habe sich der Gegensatz zwischen Arm und Reich so stark verschoben wie in Spanien. Dafür sind vor allem die Rekordarbeitslosigkeit und das fehlende soziale Netz verantwortlich. Schon jetzt sind 23% der aktiven Bevölkerung ohne Job. Die Quote ist auch 2011 weiter deutlich gestiegen, obwohl erstmals wieder ein leichtes Wachstum verzeichnet wurde.
Zudem sei das durchschnittliche Jahreseinkommen seit 2007 von 19.300 Euro auf 18.500 gefallen, womit sich auch die Armutsgrenze auf 7800 Euro verringert habe. Wer 2010 Jahr mit einem Jahreseinkommen von 8000 Euro noch als arm galt, ist es bei gleichem Einkommen 2011 nicht mehr. Beziehe man die Teuerungsrate ein, mache der reale Kaufkraftverlust nicht nur 4%, sondern sogar schon 9% aus. Deshalb gibt ein Drittel aller Haushalte an, "ernsthafte Schwierigkeiten" zu haben, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele könnten oft sogar die Wohnungen nicht mehr heizen.
Risiko für eine Polarisierung der Gesellschaft steigt
Als sehr dramatisch stellt die Caritas heraus, dass sich seit 2007 die Zahl der Zwangsräumungen fast vervierfacht hat, weshalb immer mehr Menschen obdachlos werden. Zu Beginn der Krise wurden fast 26.000 Familien zwangsgeräumt, doch 2010 waren es schon fast 94.000. Für 2011 liegen noch keine Zahlen vor, doch sie dürften noch deutlich gestiegen sein. Man kann davon ausgehen, dass gut 350.000 Familien aus ihren Wohnungen geworfen wurden, weil sie wegen Arbeitslosigkeit die Hypotheken nicht mehr bedienen konnten.
Statt ihre Armut zu vermindern, wird sie damit aber noch deutlich verschärft. Denn anders als in den USA wird der Kredit nicht mit der Übergabe der Wohnung an die Bank beglichen. Meist sitzen die Familien weiter auf enormen Schuldenbergen, weil sie auch staatlich gestützten Banken nur zu 50% des einst geschätzten Werts in die Bücher nehmen. Da die Banken im Immobilienboom hohe Kredite für überteuerte Wohnungen gewährten, sitzen viele Menschen ohne Job und ohne Wohnung nicht selten auf Restschulden von über 100.000 Euro.
Die Caritas warnt davor, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet, womit das "Risiko für eine Polarisierung der Gesellschaft und ihres Zusammenhalts" steige. Mora erwartet das schon deshalb, weil der Mindestlohn von der neuen konservativen Regierung erstmals auf 641 Euro eingefroren und nicht einmal an die Inflationsrate angepasst wurde. Die Einkommensunterschiede, die in den ersten Krisenjahren stark gewachsen seien, könnten deshalb noch stärker zunehmen, warnt der Generalsekretär der Caritas.
In diesem Sinne kritisierte die kirchliche Organisation auch die gerade per Dekret verordnete Arbeitsmarktreform der Volkspartei (PP), die der katholischen Kirche sehr nahe steht. "Wir können uns nicht daran gewöhnen, dass die Schwächsten besonders stark unter den Konsequenzen der Krise zu leiden haben", forderte er zum Umdenken auf. Es müssten Alternativen gesucht werden, um Lösungen für diese dramatische Situation zu finden, appellierte Mora an die politischen Verantwortlichen.