Indien und China: Die schlimmsten Spannungen seit langem
Die beiden asiatischen Giganten streiten um einige karge, aber strategisch wichtige Felsbrocken und Geröllhalden im Himalaya
Seit Mitte Juni stehen sich im chinesisches und indisches Militär in Dreiländereck Bhutan, Indien und China gegenüber. Bisher ist kein Soldat zu Schaden gekommen, aber Jeff M. Smith, ein langjähriger Beobachter der Grenzkonflikte im Himalaya, spricht von der ärgsten Konfrontation seit 1967, dem letzten ähnlichen Vorfall, bei dem es ganz in der Nähe des aktuellen Schauplatzes mehrere Tote auf beiden Seiten gegeben hatte. (In Smiths Beitrag findet sich auch eine Karte der betroffenen Region.)
Der jetzige Streit hat sich daran entzündet, dass chinesische Soldaten mit dem Bau einer auf das Doklam-Plateau führenden Straße begonnen haben. Nach chinesischer Lesart handelt es sich dabei um Territorium der Volksrepublik, nach der Lesart Bhutans gehört es zum Königreich.
Indien verteidigt formell die Position Bhutans und beruft sich auf einen Beistandspakt, der ihm mehr oder weniger ein Veto-Recht über die Verteidigung seines kleinen Nachbarns einräumt. Ansonsten stehen die indischen Truppen in Sikkim, einem winzigen indischen Bundesstaat und ehemals selbständigen Königreich, das Anfang der 1970er zunächst von indischen Truppen besetzt wurde und dann nach einer positiven Volksabstimmung der Union beitrat.
Hintergrund der Konfrontation ist zum einen viel nationalistisches Ressentiments auf beiden Seiten, das aus dem kurzen Krieg 1962 herrührt, den Indien gegen China verlor. Grenzstreitigkeiten sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten Indiens, die ihn seinerzeit auslösten, konnten auch 55 Jahre später noch nicht geklärt werden.
Zum anderen geht es um recht konkrete militärische Fragen. Die Konfliktregion liegt unmittelbar nördlich des sogenannten Hühnerhalses, der Indiens Nordosten mit dem Rest des Landes verbindet. Im Falle eine größeren Konfliktes bräuchten chinesische Truppen nur knappe 200 Kilometer nach Süden vorstoßen, um das Land zu teilen.
Das von China und Bhutan beanspruchte Doklam-Plateau ist bisher mehr oder weniger Niemandsland und unzugänglich. Chinesisches Militär liegt weiter im Norden in einem Tal, in dem es sich in Reichweite der indischen Artillerie befindet. Das scheint den chinesischen Militärs zu unkomfortabel, eine Position auf dem Plateau wäre militärisch wesentlich günstiger. Die indische Seite sorgt sich hingegen, dass der potenzielle Gegner noch weiter nach Süden vorrückt, den "Hühnerhals" also weiter einengt.
Wie geht es nun weiter? Indien hat erst vor einer Woche 2500 Soldaten zur Verstärkung geschickt. Ein Kommentator der Times of India bemerkt etwas sorgenvoll, dass die indische Regierung, anders als in vorherigen Krisen, nicht nach einer diplomatischen Lösung suche. Beide Regierungen bräuchten dringend einen Ausweg, bei dem sie ihr Gesicht wahren könnten. Eine Möglichkeit wäre, so der Autor, dass China, ohne weiteres Aufhebens davon zu machen, die Arbeiten an der Straße einstellt. Indien müsse dann ebenso kommentarlos seine Truppen wieder zurückziehen.