Ist Programmieren eine Kulturtechnik wie Lesen und Schreiben, die auch Politiker können sollten?

Ein US-Blogger, selbst Software-Entwickler, hält wenig von der Idee des New Yorker Bürgermeisters, ein Jahr lang an Programmierkursen teilzunehmen

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Ist Programmieren eine Kulturtechnik wie Lesen und Schreiben, die jeder können sollte? In den USA haben zwei Programmierer aus der Vorstellung, die man ab und an auch von Eltern von Kindergartenkindern hört, eine Geschäftsidee gemacht und die Codeacademy gegründet. Dort kann man sich für das Projet Code Year einschreiben und jede Woche eine Lektion abarbeiten.

Die Lektionen sind unentgeltlich. Der Zeitaufwand für eine Person mit durchschnittlichen technischen Fähigkeiten betrage pro Lektion etwa fünf Stunden, als eine Stunde pro Werktag. Letztlich, so werden die Initiatoren des Projekts zitiert, gehe es dabei nicht nur um den Lernerfolg Einzelner, sondern darum, dass die ganze Gesellschaft, die doch soviel mit Technik zu tun hat, von einem solchen neu entflammten Interesse am Programmieren profitieren könnte.

New Yorks Bürgermeister Mike Bloomberg fand diese Ansicht so gut, dass er seine Beteiligung am Programmierkurs Code Year als Vorsatz für das neue Jahr via Twitter bekannt gab.

Viereinhalb Monate später stößt dies beim amerikanischen Blogger Jeff Atwood - Coding Horror ("programming and human factors") - auf kritische Einwände. Unter der Überschrift "Bitte lass das Programmieren" hält der Software-Entwickler Atwood dem Bürgermeister zugute, dass er mit dieser Ankündigung möglicherweise ein paar neue Stimmen aus der New Yorker "Tech Community" hinzugewinnen könne, dass er aber etwas grundsätzlich falsch laufe in der Politik des Staates New York, wenn der Bürgermeister es nötig habe, Programmieren zu lernen. Warum sollte er dadurch auf seinem Posten besser sein?, fragt sich Atwood.

Atwood lehnt die Gleichsetzung von Kenntnissen in Lesen, Schreiben und Mathematik mit Programmierfähigkeiten für falsch. Politiker sollten, wie Personen in anderen Berufen auch, Kompetenzen in Wort und Schrift und "Mathematikfähigkeiten auf einem High-School-Niveau" haben, aber deren Verständnis für "Variablen und Funktionen, Zeiger und Rekursion" hält er nicht für nötig. Projekte, die Programmieren als neue Basiskompetentenz den anderen gleichsetzen, würden falsche Versprechungen machen wie etwa, dass mehr Programme bessere Lösungen implizieren.

Als Programmierer, so Atwood, würde ihn die Erfahrung allerdings lehren, so wenig Programme wie möglich zu schreiben: "You should be learning to write as little code as possible. Ideally none." Das Ziel sei doch nicht neue Programmzeilen hinzuzufügen, sondern Lösungen für Probleme zu finden:

"Don't celebrate the creation of code, celebrate the creation of solutions. We have way too many coders addicted to doing just one more line of code already."

Bevor man Programmieren lerne, solle man sich die Frage stellen, worin die Fragestellung, das Problem genau liege, ob man das tatsächlich am besten durch ein Programm lösen könne. Würde man so nicht die Methode der Auseinandersetzung mit der Fragestellung voranstellen? "Have you researched the problem, and its possible solutions, deeply? Does coding solve that problem?"

Das andere irreführende Versprechen, das in solchen Projekten liege, sei auch, dass man damit auf dem Arbeitsmarkt mehr Chancen habe und der Übergang vom Lernen zum Geldverdienen leicht. Nach Atwoods Ansicht gibt es es schon genug schlechte Programmierer und es sind über zehntausend Stunden Erfahrung nötig, um ein guter zu sein, der mit Programmieren gutes Geld verdienen kann.

Doch spricht dies dagegen, dass ein Politiker, der ja schon einen Beruf hat, Programmieren lernt, statt Golf zu spielen?