Ist der Höhepunkt der Einkommensungleichheit in Deutschland überschritten worden?
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung konstatiert einen leichten Rückgang der Ungleichheit und des Armutsrisikos
Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hat sich seit 2005 die Einkommensungleichheit nicht mehr erhöht, sondern ist bis 2010 leicht zurückgegangen. Ausgewertet wurden dafür Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).
Der DIW-Ökonom Markus Grabka, einer der Autoren der Studie, warnt allerdings davor, dass der Trend sich auch wieder umkehren könnte, weil durch die Euro-Krise die Konjunktur einbrechen und die Zahl der Arbeitslosen auch wieder ansteigen könnte. Trotzdem wird im Titel, wenn auch mit einem Fragezeichen, suggeriert, dass "der Höhepunkt der Einkommensungleichheit in Deutschland überschritten" sein könnte. Zudem schmeichelt man der Politik, dass es gelungen sei, "die sozialen und ökonomischen Risiken der Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2009 so einzugrenzen, dass die Armutsgefährdung nicht größer wurde".
In den 1990er Jahren lebten zwischen 10 und 12 Prozent der Deutschen unter der Armutsrisikoschwelle, die derzeit bei 990 Euro liegt. Seit 1999 stieg der Anteil der vom Armutsrisiko Betroffenen steil an und schwankt seitdem zwischen 14 und 15 Prozent. Derzeit ist er leicht auf 14 Prozent zurückgegangen, weil das jährliche Markteinkommen (Erwerbs- + Kapitaleinkommen) von 2005 bis 2010 deutlich angestiegen ist: in den alten Bundesländern um 4 Prozent, in den neuen sogar um 20 Prozent. Das sagt freilich noch nichts über die Verteilung aus. Es stieg jedenfalls auch das verfügbare Einkommen in derselben Zeit in den alten Bundesländern um 3 Prozent (600 Euro) und in den neuen um 7 Prozent (1.100 Euro) an, wobei die Einkommen der Ostdeutschen nur vier Fünftel der Einkommenshöhe im Westen erreichen.
Nach Berechnungen von Grabka sind 2009 und 2010 die verfügbaren Einkommen der der ärmsten 40 Prozent um 2 Prozent angestiegen, während die mittleren und oberen stagniert haben. Grabka erklärt dies damit, dass mehr Menschen Arbeit gefunden haben und die Löhne gestiegen sind, während die Gewinne aus Vermögen leicht gesunken seien. Die Ungleichheit der Verteilung bei den verfügbaren Einkommen nach dem Gini-Koeffizienten ist in den alten Bundesländern um 4 Prozent gesunken, in den neuen jedoch gleich geblieben, bei Markteinkommen ist er hingegen in den neuen um 9 Prozent, in den alten um 3 Prozent gesunken.
Auch wenn sich so eine Verminderung der Einkommensungleichheit ergeben hat, wirkt sich das noch kaum auf das Armutsrisiko aus, das 2009 15 Prozent der Bevölkerung und 2010 14 Prozent betroffen hat. Gesunken ist es allerdings nur in den alten Bundesländern, in den neuen Bundesländern liegt die Quote bei knapp über 20 Prozent. Von Armutsrisiko betroffen sind vor allem Alleinerziehende. Mit einem Kind ist es hier ein Drittel, mit zwei Kindern schon die Hälfte. Und auch Jugendliche und junge Erwachsene bis 24 Jahre sind von Armut betroffen. Nach der Studie deswegen, weil mehr junge Menschen studieren und später zu arbeiten beginnen, aber auch, weil sie oft nur prekär beschäftigt sind. Mehr als die Hälfte arbeitet im "Niedriglohnsektor", wie es so schön heißt. Zwar ist das Armutsriko in dieser Gruppe von 24 Prozent 2005 auf 19 Prozent gefallen, aber weiterhin überdurchschnittlich hoch. Das geringste Armutsrisiko haben die 35-55-Jährigen (10 Prozent), bei den 25-34-Jährigen ist es deutlich höher (16 Prozent), mit Beginn der Rente steigt es erst einmal nur leicht an, ab einem Alter von 75 Jahren haben 16 Prozent ein Einkommen unter der Armutsrisikoschwelle.