JFK - blown away

Präsident Kennedy in der Main Street in Dallas, Minuten vor dem Attentat. Bild: Walt Cisco, Dallas Morning News / Public Domain

Einen Tag vor der Freigabe der JFK-Akten beweist die deutsche Presse erstaunliche Inkompetenz

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Während Telepolis immer wieder darauf hinwies, dass diesen Donnerstag die Geheimhaltungsfrist für ca. 3.000 noch gesperrte Akten zum Kennedy-Attentat ausläuft, scheinen die konventionellen deutschen Medien erst aus dem Tweet des amtierenden US-Präsidenten am Samstag von diesem vor 25 Jahren angekündigten Ereignis Notiz genommen zu haben. Das Attentat auf JFK ist seit 54 Jahren der Lackmus-Test für die Qualität und Unabhängigkeit politischer Berichterstattung.

Der deutsche Rudeljournalismus versagte jedoch bereits im Ansatz. Was man im Blätterwald und im teuersten Rundfunksystem der Welt zum Kennedy-Attentat vernehmen konnte, löst Fremdscham aus. Durchweg halten es deutsche Qualitätsjournalisten für eine ausgemachte Sache, Oswald habe Kennedy erschossen, und wer das bezweifelt, sei ein Verschwörungstheoretiker – ganz so, wie es unstreitig die CIA 1967 in einem inzwischen freigegebenen Memo bei Einflussjournalisten bestellt hatte (50 Jahre "Verschwörungstheoretiker").

Recherche: Deutschsprachige Wikipedia

Die größte deutsche Rundfunkanstalt, der WDR, hatte nichts Besseres zu tun, als über eine angebliche Verschwörungstheorie zu berichten, die Aliens hätten ihre Enthüllung durch Kennedy befürchtet und ihn daher gekillt. Auch die bei Geheimdienstthemen ohnehin mäßig zuverlässige Süddeutsche Zeitung stößt ins gleiche Bockshorn und gibt sich damit transatlantischer, als es die US-Medien tun. Auf der Atlantik-Brücke will man schließlich keinen unangenehmen Eindruck machen. Also hält man sich halt ans bewährte Narrativ.

Aus den Pressestimmen muss man schließen, dass der Elite der deutschen Journalisten zum Kennedy-Attentat nicht einmal der unstreitige Sachstand bekannt ist. Tatsächlich nämlich hatte bereits in den 1970er Jahren das House Select Committee on Assassinations (HSCA), das die Attentate auf die Kennedy-Brüder und Martin Luther King untersuchte, Schwächen des Warren-Report aufgezeigt und es als wahrscheinlich beurteilt, dass es beim Attentat in Dallas mehr als einen Schütze gegeben habe. Als man den CIA-Chefplaner für Mordanschläge, der ein geschworener Todfeind der Kennedys war, ausdrücklich auch zum Anschlag verhören wollte, lebte dieser überraschend ab (Der "amerikanische James Bond" liquidierte nicht nur ausländische Staatschefs).

Die deutschen Redaktionen scheinen nicht einmal zu wissen, dass infolge des Films "JFK" 28 Jahre nach dem Attentat die Skepsis wieder aufflammte und erst deshalb Anfang der 1990er Jahre ein Assassination Records Review Board (ARRB) eingerichtet wurde, dem wir den JFK-Act und einen Teil der nun freizugebenden Akten verdanken. Der Abschlussbericht des ARRB bestätigte einen Großteil der Schlussfolgerungen in Oliver Stones JFK, den deutsche Spitzenjournalisten für ein verschwörungstheoretisches Machwerk halten.

Vermutlich wissen die Edelfedern das deshalb nicht, weil ein Hamburger Lateinlehrer nahezu alle deutschen Wikipedia-Artikel zum Kennedy-Attentat zensiert.

Den Schuss nicht gehört

Wenn Experten von dem noch freizugebenden Material wenig neue Erkenntnisse erwarten, dürfte das damit zusammenhängen, dass der Sachstand ohnehin weitgehend klar ist, was hierzulande nur aufmerksamen Beobachtern bekannt ist. Soweit ersichtlich, hat nicht ein einziges deutschsprachiges Medium etwa die Geschichte des heute noch lebenden Insiders Antonio Veciana erzählt, der zum 50. Jahrestag des infamen Warren-Reports 2014 sein Gewissen gegenüber einem Pulitzer-Preisträger erleichterte.

Der einstige kubanische Bankbedienstete Veciana nahm einst an der Revolution gegen den US-freundlichen Diktator Batista teil, wandte sich jedoch später von Fidel Castro ab. Der nach Miami geflohene Exilkubaner wurde von der CIA für verdeckte Operationen rekrutiert und gründete auftragsgemäß die paramilitärische Frontorganisation Alpha 66, die Kuba destabilisieren sollte - nach heutigen Maßstäben eine Terrororganisation.

Als Mitte der 1970er Jahre der US-Kongress die Attentate erneut untersuchte, berichtete Veciana über einen CIA-Verbindungsmann "Maurice Bishop", den er zwei Monate vor dem Attentat in Dallas gesehen habe – gemeinsam mit Lee Harvey Oswald, einem ehemaligen Militärgeheimdienstler, der Verbindungen zu FBI und CIA hatte. Jener Oswald, der in eines der damals bestgehütetsten Staatsgeheimnisse, nämlich die Existenz des CIA-Spionageflugzeugs U2 eingeweiht war sowie in die Sowjetunion übersiedeln und anstandslos wieder einreisen durfte. Jener Oswald, der mit dem geheimdienstnahen George de Mohrenschildt Umgang hatte - der wie Oswald und JFK an einer Kugel starb.

Vecianas Personenbeschreibung veranlasste die Ermittler zu einer Konfrontation mit dem CIA-Mann David Atlee Phillips auf einem Veteranentreffen. Beide Männer bestritten, einander zu kennen, wobei Zeugen aus der Körpersprache bereits damals andere Schlüsse zogen. Monate später wurde auch Veciana von Unbekannten in den Kopf geschossen.

Doch Veciana überlebte den Anschlag erstaunlicherweise und ist mit seinen nunmehr 88 Jahren noch immer am Leben. Nachdem seine Frau gestorben und die Kinder erwachsen waren, gestand Veciana 2014, dass Phillips mit "Maurice Bishop" identisch sei. Akten zu Phillips gehören zum noch gesperrten Material.

COINTELPRO reloaded

Solche Details werden die deutschen Rudeljournalisten genauso wenig verunsichern wie die bereits vor zwei Jahren erschienene Biographie über CIA-Direktor Allen Dulles von David Talbot (Das Schachbrett des Teufels). Das erwünschte Narrativ ist der angeblich kommunistische Alleintäter, der im Gegensatz zu nahezu jedem Attentäter der Weltgeschichte den Königsmord ausdrücklich bestritt. Hätte Oswald einen Prozess bekommen, hätte er wegen der lächerlichen Beweislage den Gerichtssaal zweifellos als freier Mann verlassen.

Wenn kommenden Donnerstag die restlichen Akten nun wirklich freigegeben werden, wird jeder aus diesen das herauslesen, was ihm am besten ins Narrativ passt. Hätten die Medien die Absicht, ihr Narrativ zu verlassen, hätten sie dies redlicherweise schon längst tun müssen. Fast könnte man meinen, die in den 1970er Jahren entdeckte Gleichschaltung COINTELPRO der westlichen Medienlandschaft würde noch immer in diesem Ausmaß fortbestehen.

Die damaligen Missstände wurden übrigens nicht von eitlen Journalisten und Hofberichterstattern aufgedeckt, sondern von couragierten Bürgerrechtlern (Vier Jahrzehnte vor Snowden: "The Citizens Commission to Investigate the FBI"). Diesem Akt zivilen Ungehorsams ist es zu verdanken, dass in den 1970ern die Rolle der Geheimdienste politisch untersucht wurde. Es wäre zu wünschen, dass diese Sternstunde der Aufklärung auch bei deutschen Medienschaffenden mehr Früchte tragen würde.

UPDATE: In der Schweiz, wo sich Medien nicht der NATO verpflichtet sehen, wird über das Kennedy-Attentat traditionell zuverlässiger berichtet. So beweist Blick, dass es auch anders geht.

(Der Autor ist Fachanwalt für Medienrecht und vertritt investigative Journalisten, die ihren Job ernst nehmen. Er bearbeitet bei Telepolis mit Able Archer 83, JFK, Barschel und der Luxemburger Bombenleger-Affäre Themen, die deutsche Journalisten und Historiker nahezu auslassen. Als Telepolis-eBook ist von ihm erschienen: "Cold War Leaks.Geheimnisvolles und Geheimdienstliches aus dem Kalten Krieg")