Katalonien macht sich auf den Weg in die Unabhängigkeit
Nach dem erfolglosen Treffen mit dem spanischen Ministerpräsident kündigt der katalanische Regierungschef "Entscheidungen von großer Tragweite" an
Spanien und Katalonien rasen wie zwei Züge aufeinander zu. Statt auf die Bremse zu treten, hat sich die Geschwindigkeit am Donnerstag nach dem Treffen des katalanischen Regierungschefs mit dem spanischen Ministerpräsidenten noch erhöht. Der konservative Nationalist Artur Mas hatte als zentrale Forderung an Mariano Rajoy einen "Fiskalpakt" im Gepäck, um der unterfinanzierten Region ein eigenes Finanzierungssystem zu geben. Er hörte von Rajoy aber erneut ein klares Nein, weil seine rechte Volkspartei (PP) angesichts leerer Kassen und einem Haushaltsdefizit von zuletzt 8,9% nicht auf Milliarden aus der wirtschaftlich starken Region verzichten will.
Mas kündigte als Reaktion an, in der kommenden Woche im Parlament von Barcelona "Entscheidungen von großer Tragweite" bekannt zu geben. Klar ist, dass vorgezogene Neuwahlen anstehen. Bisher wurde seine Partei Konvergenz und Einheit (CiU) von der PP gestützt. Deshalb war der Fiskalpakt der Kompromissvorschlag. Mas wollte damit der wachsenden Unabhängigkeitsbewegung begegnen. Am 11. September hatten mehr als 1,5 Millionen Menschen für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien demonstriert. Gut 20% der Bevölkerung stellten sich hinter das Motto: "Katalonien, ein neuer Staat in Europa". In Umfragen spricht sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung dafür aus.
Mas kündigte nun ein "neues Projekt" an, weil Rajoy eine "historische Chance" vertan habe, zu einer "Übereinkunft" zu kommen. Schon am Mittwoch hatte der Ministerpräsident klargemacht, dass er nicht daran denke, einen Fiskalpakt zu schließen. Den nannte Rajoy "verfassungswidrig", womit er Beobachter erstaunt. Als Vorbild dient den Katalanen das Baskenland. Dort ziehen seit dem Ende der Diktatur 1975 die Provinzen wieder die Steuern gemäß alter Selbstverwaltungsrechte ein. Die baskische Regionalregierung handelt mit Madrid aus, welche Quote an für Leistungen des Staates abgeführt wird. Die wirtschaftlich starken Basken sind gering verschuldet und weisen das kleinste Defizit aus.
Rajoy bot Mas nur an, Katalonien etwas stärker an Steuern beteiligen zu wollen. Dass die Region unterfinanziert ist, die mit über 20% überdurchschnittlich zur Wirtschaftsleistung Spaniens beiträgt, bestreitet auch er nicht. "Sie bieten uns, was sie immer anbieten und dieser Film läuft schon seit 30 Jahren", sagte Mas enttäuscht. Er hatte diese Formel mit den sozialdemokratischen Vorgängern vereinbart. Die haben sich mit Ausbruch der tiefen Wirtschaftskrise aber nicht an das Abkommen gehalten.
So ergibt sich die absurde Situation, dass die wirtschaftlich stärkste Region des Landes mit 42 Milliarden Euro am höchsten verschuldet ist. Obwohl sie besonders zur Finanzierung des Staatshaushalts beiträgt, bekommt sie pro Kopf weniger Geld zurück, als der Durchschnitt der Regionen. Um 2012 auslaufende Anleihen refinanzieren zu können, musste Mas gerade in Madrid fünf Milliarden Euro beantragen. Das sei Geld, das zu Unrecht an Spanien geflossen sei, sagte er. Er rechnete vor, Katalonien hätte kaum Schulden, wenn das Geld der Katalanen nicht nach Madrid ginge. Tatsächlich wären 2011 zusätzlich etwa 5,6 Milliarden Euro zusätzlich nach Katalonien geflossen, wenn sich Madrid an zuvor getroffene Abmachungen gehalten hätte.
Verfassung ists keine unüberwindbare Mauer
Mit Versprechungen kann Mas seine Bevölkerung nicht mehr beruhigen. Er hatte einen "nationalen Übergang" angekündigt. "Wenn es kein Abkommen gibt, ist der Weg zur Freiheit Kataloniens frei", sagte er nach der riesigen Demonstration. Die war von der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) organisiert worden. Der ANC hatte in einem Manifest von Mas gefordert, "die Sezession vom spanischen Staat einzuleiten". Rajoy erklärt stets, die spanische Verfassung lasse die Unabhängigkeit nicht zu. Dem entgegnet nun auch Mas, dass die "Verfassung keine unüberwindbare Mauer darstellen kann".
Einige Gemeinden in Katalonien haben schon erste Schritte eingeleitet. Die Stadt Vic (40.000 Einwohner) hat sich am Montag zum "freien und souveränen katalanischen Gebiet" erklärt. Der Stadtrat nahm mit großer Mehrheit die entsprechende Resolution an. Sie ähnelt der, die zuvor schon kleinere Gemeinden verabschiedet haben. Angestoßen hat es Sant Pere de Torelló (2000 Einwohner). Das Dorf hatte als erste Gemeinde das katalanische Parlament aufgefordert, ein Gesetz über nationale Souveränität Kataloniens zu erlassen und die Loslösung von Spanien zu betreiben.
Diese Entwicklungen hatten schließlich dazu geführt, dass sich auch der spanische König einmischte. Der Chef der Streitkräfte hat Katalanen und Basken, wo die Unabhängigkeitsbestrebungen auch immer stärker werden, in einem offenen Brief am Dienstag davor gewarnt, "Zwietracht" zu säen und "Hirngespinste" zu verfolgen. Klar ist, dass der aufwallende Konflikt mit Katalonien nun Spanien weiter destabilisiert. Entsprechend ging die Börse nach dem gescheiterten Treffen noch deutlicher in die Knie. Die psychologisch bedeutsame Marke von 8000 Punkten wurde durchbrochen.
Klar ist, dass auch Rajoys Planungen für den Rettungsantrag durcheinander kommen. Weil die EU massiv Druck macht, will er den Antrag über die Bankenrettung hinaus auf Ende Oktober zu verschieben, wenn im Baskenland und Galicien die vorgezogenen Neuwahlen vom Tisch sind. Damit soll der Weg freigemacht werden, dass die Europäische Zentralbank unbegrenzt Staatsanleihen kaufen kann, um die Zinsen zu senken. Doch nun taucht ein neuer und sogar noch wichtigerer Termin für vorgezogene Wahlen in Katalonien auf. Termine werden schon gehandelt: entweder der 25. November oder der 2. Dezember. So lange wird sich die EU aber nicht mehr hinhalten lassen.