Keine staatliche Vorsorge, aber Strafen für Bürger?
Ein CDU-Politiker würde so gerne vermeintlichen Impfschwänzern Bußgelder aufbrummen. Ein Kommentar
Wir wissen zwar nicht so genau, wie viele Menschen in Deutschland geimpft werden, weil das Robert-Koch-Institut Schwierigkeiten mit der Erfassung hat und auch nicht so klar ist, ob und wie alle Ärzte und Impfzentren melden und melden können. Wir wissen auch nicht so genau, wie es sich mit einem Impfzentrum kommunizieren lässt.
Aus Bayern berichtet jedenfalls eine Journalistin, dass das online nicht möglich ist, wobei es dort nach einem anderen Bericht telefonisch zu gehen scheint. Zumindest, wenn man sich auch telefonisch und nicht online angemeldet hatte. Auch aus Schleswig-Holstein ist dem Autor dieser Zeilen anekdotisch zu Ohren gekommen, dass eine Absage im Impfzentrum nicht so ganz einfach ist.
Aber eines scheinen autoritätsverliebte Politiker und storyhungrige Journalistinnen und Journalisten ganz genau zu wissen: Es habe sich eine Impfmüdigkeit eingeschlichen. So war es am Dienstag in einem Beitrag der Berliner Zeitung zu lesen, mit dem im Wesentlichen die Forderung eines CDU-Politikers nach einem "Bußgeld für Impfschwänzer" auf die Titelseite gehoben werden sollte.
Die verfügbaren, offensichtlich nicht ganz vollständigen Daten lassen diesen Schluss allerdings nicht zu. Sie weisen aus, dass inzwischen knapp 34 Millionen Menschen zwei- und weitere nicht ganz 14 Millionen Menschen einmal geimpft sind.
Bitte keine Fakten
Die Zahl der täglichen Impfungen ist leicht rückläufig, was aber bei näherem Hinsehen nicht unerwartet kommen kann. Zwischen Ende März und Anfang Mai hatte es nämlich besonders viele, später wieder abnehmende Erstimpfungen gegeben.
Entsprechend gab es etwa sechs Wochen versetzt auch besonders viele Zweitimpfungen. Dieser erste Ansturm der besonders Impfwilligen ist nun durch. Also nimmt die Zahl der Gesamtimpfungen etwas ab. Es werden allerdings immer noch an die fünf Millionen Menschen pro Woche geimpft.
Aber so genau will es Mario Czaja, der schon im Wahlkampfmodus zu sein scheint und deshalb markige Ansagen verteilen muss, nicht zu nehmen. Dem CDU-Bundestagskandidaten, der für seine Auslassungen sein Amt als Berliner Präsident des Deutschen Roten Kreuzes nutzt, wurmt, dass "bis zu zehn Prozent" der Termine in den Impfzentren nicht wahrgenommen würden. Wie viele davon tatsächlich ohne Absage, bleibt offen.
Nun könnte man dort einfach ein wenig Flexibilität zeigen, und die Berlinerinnen und Berliner aufrufen, auch ohne Termin vorbeizuschauen. Als Lückenbüßer sozusagen. Aber damit kommt man natürlich nicht auf die Titelseiten der Zeitungen. Also fordert man lieber eine "Geldstrafe in Höhe von 25 bis 30 Euro", um "eine höhere Impfdisziplin" durchzusetzen.
Gründe unbekannt
Doch natürlich gibt es Absagen. Hausärzte berichteten schon Ende Juni von einer Zunahme. Die Gründe dafür können vielfältig sein und werden nicht erfasst. Zum Beispiel haben in Berlin und sicherlich auch in anderen Städten im Frühjahr viele Impfwillige jede sich bietende Gelegenheit wahrgenommen, um an eine Impfung zu kommen.
Der Autor dieser Zeilen hat sich etwa am anderen Ende der Stadt AstraZeneca spritzen lassen und dort auch einen Termin für die Zweitimpfung bekommen. Als dann jedoch in der Nachbarschaft Biontech angeboten wurde, hat er die Chance dieser inzwischen empfohlenen Kreuzimpfung wahrgenommen und den anderen Termin abgesagt.
Wir halten fest: In anderen Ländern diskutiert man über Impfanreize, in Deutschland lieber über Strafen. Und besonders beliebt sind diese bei Politikern, deren Parteifreunde in der Bundesregierung jede Vorsorge unterlassen und alle Warnungen der Weltgesundheitsorganisationen in den Wind geschlagen sowie Mahnungen missachtet haben, sich mit Katastrophenschutzplänen und Vorratshaltung von Sicherheitskleidung, Masken und ähnlichem auf kommende Pandemien einzustellen.
Das gewollte Chaos
Übrigens: Mario Czaja war bis 2016 Gesundheitssenator in Berlin und als solcher dafür verantwortlich, dass das Bundesland keine Vorkehrungen für Pandemien traf. Auch auf den sich einige Jahre vorher abzeichnenden Andrang von Flüchtlingen hatte man sich 2015 nicht vorbereitet.
Das Czaja unterstehende Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales zeigte sich über viele Monate unfähig, die Erstaufnahme von Flüchtlingen in menschenwürdiger Weise zu organisieren. Monatelang mussten die Menschen ohne jede Versorgung in langen Schlangen bei Hitze und Kälte auf der Straße ausharren, manche bekamen nicht einmal rechtzeitig eine Unterkunft.
Zeitweise wurde die Aufnahme auch für mehrere Tage ganz geschlossen. Ohne den Einsatz zahlreicher Freiwilliger und Spenden aus der Bevölkerung hätten die Menschen ohne Essen und Wasser tagelang auf der Straße kampieren müssen.
Irgendwie ergibt sich das gleiche Muster wie in der Pandemie. Wurde bei den Flüchtlingen der katastrophale behördliche Schlendrian, der zu menschenunwürdigen Zuständen führte, für die gewollten Bilder genutzt, mit denen Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht werden konnte, so wird nun die eher suboptimale Organisation der Impfzentren mit ihrem mitunter übergriffigen und gelegentlich auch rechtsradikalem Bundeswehrpersonal genutzt, um gegen Bürgerinnen und Bürger die autoritäre Keule zu schwingen.
Aber wen interessieren schon solche Tendenzen? Unterhalten wir uns doch lieber über den Chip, den Bill Gates uns per Impfung verpassen will, oder auch ob die Grüne Kanzlerkandidatin bei anderen abgeschrieben hat.