Mach' Plus bei Google

Eingeweihten Jüngern des kalifornischen Suchriesen wurde vor einigen Tagen Google+ zum ersten Testen zur Verfügung gestellt: ein neues Soziales Netzwerk, Facebook nicht unähnlich

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Wer Facebook kennt, der wird sich über Google+ freuen. Denn das neue soziale Netzwerk der Google Gründer Sergey Brin und Larry Page kommt sehr aufgeräumt und übersichtlich daher. Die Googlianer haben eines verstanden: Das Internet besteht für den Otto Normalsurfer aus zwei Komponenten: Informationen über alles und Kommunikation mit fast jedem. Mit Freunden, Bekannten, Kollegen, Ex-Freunden, ehemaligen Klassenkameraden und vielen mehr. Bei Google+ werden sie in sogenannten Circles eingekreist.

Die Kategorisierung der Kontakte macht viel Sinn. Denn auf der anderen Seite lauern die Inhalte der Nutzer. Das sind verlinkte Videos und Artikel in Kurzfassung (wie bei Facebook), Meinungen, prosaische Erklärungen profaner Sachverhalte in epischem Ausmaß oder schlichter Unsinn. Sie werden in chronologischen Inhaltsströmen verwaltet. Die Ströme kann der Nutzer mit den Etiketten der Kontaktgruppen kanalisieren. So beobachtet jeder den Kollegenkreis von 9 bis 5 Uhr. Auch den Umkreis der Modellbaufreunde behält man auf diese Weise im Auge oder grast den selbsterstellten Dunstkreis der Partygänger nach dem nächsten Grund zum Ausgehen ab.

Wirklich gut gelöst ist die Idee, jeden einzelnen Eintrag im eigenen Profil direkt einer Nutzergruppe oder den ganzen Welt gegenüber sichtbar zu machen. Wer die Zeit hat, kann sogar für jeden Kontakt eine eigene Version des Profils erstellen. Das ist sehr sinnvoll, wenn Kunden die Privatadresse nicht wissen sollen oder der Chef besser keinen Hinweis auf die Ferienwohnung auf Mallorca erhalten soll. Auch die Beiträge, die man selber in den Äther schickt, kann man genau auf einzelne Circles beschränken.

Mit Sparks sortiert man zunächst die Inhalte von Google News in eigenen Kategorien. Einen Reader für eigens hinzugefügte Quellen aus dem Netz gibt es noch nicht. Diese Entführung in eine geschlossene Welt könnte so seine Tücken haben. Daher wird es nicht lange dauern, bis Verlage und Sender eigene Benutzertypen erstellen können, die dann im Google+-Kosmos senden werden. Das wäre nicht die schlechteste Lösung. Denn so erspart man sich mittelfristig die Kosten für teure Webpräsenzen, solange Google es erlaubt, inline – also im Text – eigene Werbung mitzusenden.

Auch eine Fotocommunity hat Google im Portfolio. Sie heißt Picasa, diese Plattform arbeitet im Hintergrund von Google+ zum Verwalten der Fotos. Diese kann man frei mit Etiketten (tags) belegen. Auch die vieldiskutierte Gesichtserkennung ist durch Picasa dort wiederzufinden.

Das mit Abstand beeindruckendste Werkzeug bei Google+ ist die Exportfunktion Takeout, mit der Nutzer einzelne Inhaltstypen oder den gesamten eigenen Inhalt auf den heimischen Rechner sichern können. So etwas hatten sich viele gewünscht bei Facebook, vor allem, wenn man irgendwann aus Zeitgründen oder Langeweile aufgibt mit dem sozialen Netzwerken.

Ein kleine, aber überraschende Funktion hat Google noch als Pfeil gegen Microsofts Milliardengrab Skype abgeschossen: Hangout ist ein virtueller Raum, in den jeder Nutzer Bekannte, Kunden oder Kollegen einladen kann und wo dann kostenfreie Videokonferenzen möglich sind. Noch ruckeln die Bilder ein bisschen bei mehr als drei Mitgliedern, aber das wird sich voraussichtlich schnell ändern.

Zum Datenschutz gibt es bisher wenig zu meckern. Google hat wohl aus dem Fiasko gelernt, das Facebook alle paar Monate heimsucht. Vorsichtshalber hat man sich aber abgesichert: "Wir erfassen möglicherweise auch Informationen von anderen Nutzern über Sie, z. B. wenn jemand Sie zu einem Kreis hinzufügt oder Sie in einem Foto taggt . Manche Nutzer veröffentlichen möglicherweise Informationen über Sie, z. B. Ihren Profilnamen und Ihr Profilfoto in ihrem Google-Profil in einer Liste von Personen, die sie zu ihren Kreisen hinzugefügt haben."

Der Facebook-Killer ist Google+ noch nicht. Aber die technische Plattform ist HTML5, also die Grundlage aller neuer Webseiten und Webanwendungen. Der Vorteil besteht darin, dass viele Funktionen, die sonst externe Technologien erfordern wie das ungeliebte Flash oder etliche Javascript-Dateien, nun einheitlich auf fast allen Browsertypen gleich gut und schnell funktionieren. Vom Start weg hat Google sogar ein wirklich erstaunlich komplettes mobiles Werkzeug für Smartphones auf Android-Basis mitgeliefert – auch iPhones sollen bald mit Google+ kommunizieren können.

Letztlich lebt so eine Plattform aber von den Menschen und dem Freiraum, den sie dort haben. Ich würde Google+ als erstes Soziales Netzwerk auch meiner Mutter empfehlen, die stramm auf die Siebzig zu geht. Facebook ist ihr zu verwirrend. Die neue Wunderwaffe von Google gefällt ihr: "Das ist viel besser als Facebook, weil ich meine Kreise selber sortieren kann. Aber wer von meinen Leuten wird sich da anmelden?" Und damit hat sie unbewusst den Richterspruch gefällt. Kommen viele Nutzer, wird es viele zusätzliche Apps und damit Funktionen externer Anbieter geben. Damit wachsen einerseits der Funktionsumfang und andererseits der Werbekuchen sowie die Einnahmen. Aber eines ist jetzt schon sicher: Das seltsame +1, das seit einiger Zeit durch das Netz geistert, wird nun endlich mit dem nötigen Überbau belohnt. Denn es ist der Like-Button der Google+Welt...