Polen: Straßenschlachten wegen ACTA
Bei Massenprotesten in allen größeren Städten demonstrierten angeblich mehrere zehntausend Menschen gegen das Internet-Zensur-Abkommen
Seit letzten Mittwoch kommt es in Polen trotz Temperaturen von teilweise minus 15 Grad Celsius zu Massenprotesten gegen das umstrittene ACTA-Abkommen zur Kontrolle des Internets. Auf YouTube kursieren Aufnahmen großer Menschenmengen aus Warschau, Danzig, Krakau, Breslau, Gdingen, Kattowitz, Landsberg, Sosnowitz, Bromberg, Köslin, Tschenstochau, Allenstein, Rzeszów, Stettin, Thorn, Bielitz-Biala, Grünberg und Lodsch.
In Posen gab es Straßenschlachten, bei denen sieben Personen festgenommen wurden, im südostpolnischen Kielce waren es 28. Teilnehmerberichte vergleichen die Proteste, an denen mehrere zehntausend Personen teilgenommen haben sollen, teilweise mit denen der Gewerkschaft Solidarność zu Anfang der 1980er. Der Versuch der Regierung, ACTA praktisch im Geheimen und ohne öffentliche Diskussion an der Bevölkerung vorbeizuschmuggeln, sorgte offenbar dafür, dass das Abkommen als Katalysator für generellen Unmut wirkte und die Jugend weit über besonders IT-Interessierte hinaus auf die Straße zieht.
Nachdem die Proteste gegen ACTA mittlerweile außerhalb des Internets stattfinden, rief Anonymous via Pastebin und Twitter dazu auf, keine weiteren DDoS-Attacken auf polnische Regierungs- und Behördenseiten durchzuführen. Gestern waren die laut F-Secure zeitweise betroffenen Websites der Agentur für Umstrukturierung und Modernisierung der Landwirtschaft, des Europäischen Sozialfonds, des Finanzministeriums, der Arbeitsagentur, der Kanzlei des Premierministers, des Statistischen Zentralamts und des Amts für öffentliche Beschaffung wieder erreichbar, lediglich die Homepage des Ministeriums für Gesundheit blieb blockiert. Als Begründung führte Anonymous an, dass das Ziel, Aufmerksamkeit in den Medien und der Bevölkerung zu erregen, erreicht sei und weitere Angriffe dem Anliegen schaden könnten.
Zusammen mit dem Vertreter Polens unterzeichnete am Donnerstag in Tokio auch ein Bevollmächtigter der EU das ACTA-Abkommen. Ebenso wie der Sejm verhandelt nun auch das Europaparlament über eine Ratifizierung des Vertragwerks. Kurz nach der Unterschrift trat Kader Arif, der Berichterstatter des für ACTA federführenden Handelsausschusses im Europaparlament, zurück, weil er nach eigenen Angaben "nicht weiter an dieser Maskerade teilnehmen" will. Das Abkommen soll seinem Eindruck nach ohne öffentliche Diskussion und Bürgerbeteiligung in die Ratifizierung geschleust werden und werde "massive Konsequenzen für das Leben der Bürger haben", auch wenn die Europäische Kommission das Gegenteil behauptet.