Proteste in Spanien radikalisieren sich
In Madrid kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Bergarbeitern und Polizei, zu weiteren Protesten wird aufgerufen
Die neuen Sparpläne, mit denen die konservative Regierung in den nächsten zwei Jahren zusätzlich 65 Milliarden Euro einsparen will, machen die Stimmung in Spanien explosiv. Sehr deutlich wurde das zum Beispiel am Donnerstag, als Angestellte und Beamte auf die Straße gingen. Nachdem ihnen 2010 schon der Lohn gekürzt wurde, soll ihnen nun auch noch das Weihnachtsgeld gestrichen werden.
Das wollten auch Beschäftigte an höchsten spanischen Gerichten nicht ohne Protest hinnehmen. Auch viele Beschäftigte des Nationalen und des Obersten Gerichtshof verließen ihre Posten und zogen in der nahegelegene Genova-Straße vor den Sitz der regierenden Volkspartei (PP). Wie der zentrale Boulevard in der Innenstadt wurde auch diese Straße blockiert. "Das ist keine Krise, sondern ein Betrug" oder "Hände hoch, das ist ein Überfall", riefen sie dabei.
Letztlich stießen sie dabei sogar auf die Sympathie von Beamten der Guardia Civil, welche die Blockaden auflösen sollten. Sogar die Vereinigung der Guardia Civil (AUGC) - eine Gewerkschaft darf die Zivilgarde nicht gründen - hat die Mitglieder aufgerufen, sich an den Protesten zu beteiligen, die am Freitag von den Beschäftigten im öffentlichen Dienst im ganzen Land geplant sind. Auch Mehrheitsvereinigung der Zivilgarde spricht von "ungerechten Einschnitten" und kritisiert zudem die "Remilitarisierung" der Militäreinheit, was eine "Rückschritt" für die Demokratisierung und Modernisierung bedeute.
Die beiden großen spanischen Gewerkschaften rufen zu Protesten am Freitag auf. Sie mobilisieren auch ihre Mitglieder am 19. Juli zu landesweiten Großdemonstrationen. An diesem Tag, so wird allseits erwartet, werden die großen Arbeiterkommissionen (CCOO), Arbeiterunion (UGT) und kleinere Gewerkschaften zu einem neuen Generalstreiktag aufrufen. Der blüht nach dem Sommer. Er dürfte angesichts des enorm gestiegenen Unmuts im Land noch deutlich stärker werden, als der gegen die Arbeitsmarktreform im März, weil inzwischen auch vielen Beamten der Kragen platzt.
Weil die Regierung erst im November gewählt wurde, hatten im Frühjahr viele noch die Hoffnung darauf, dass die Reformen und Einschnitte die Lage verbessern könnten. Doch die Arbeitslosigkeit ist weiter gestiegen und erreicht immer neue Rekordwerte. Jetzt soll sogar das Arbeitslosengeld gekürzt werden, während der Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung sinken soll. Finanzieren will die Regierung diese Vergünstigungen für die Arbeitgeber, die schon erheblich billigere Kündigungen durchgesetzt haben, unter anderem mit der Anhebung der Mehrwertsteuer. Der Normalsatz soll um drei Punkte auf nun 21 Prozent und der verminderte Satz von 8 auf 10 Prozent steigen. Damit verteuern sich alle Waren weiter und das trifft niedrige Einkommen besonders hart.
Bürgerkriegsähnliche Szenen in Madrid
Insgesamt radikalisieren sich die Proteste. Das haben die Bergarbeiter am Mittwoch in der Hauptstadt deutlich gemacht. Fast drei Wochen waren Hunderte in mehreren Zügen aus Kohlebezirken auf Madrid marschiert. Die kämpferischen "Mineros", die sich vor allem in Asturien und León seit Wochen zum Teil heftige Schlachten mit Polizei und Guardia Civil liefern, wurden in der Hauptstadt überwältigend empfangen. Sie sind zum Wahrzeichen des Protests geworden, weshalb sich ihnen Zehntausende anschlossen.
Während im Parlament der Chef der Vereinten Linken (IU) davon sprach, dass Ministerpräsident Mariano Rajoy "Benzin auf die Straßen" gieße, kam es am Nachmittag auf der Castellana zu bürgerkriegsähnlichen Szenen. Sie verdeutlichten die explosive Stimmung, von der Cayo Lara im Parlament sprach. Als Absperrungen am Ministerium für Energie, Industrie und Tourismus eingerissen und Feuerwerkskörper geworfen wurden, ging die Polizei mit Gummigeschossen und Knüppeln gegen die Kohle-Kumpel vor. Steine und Flaschen flogen zurück und bis in die Nacht kam es im Zentrum zu Auseinandersetzungen bei denen etwa 80 Menschen verletzt und 18 festgenommen wurden.
Die Regierung hatte schon im ersten Sparpaket Subventionen für den Sektor um 190 Millionen Euro (63 Prozent) gekürzt und damit den Kohlepakt aufgekündigt, bekräftigt Javier Caballé. "Wir fordern nichts, was nicht ausgehandelt wurde", sagt er. Die 8000 Mineros wollen Rajoy zu Verhandlungen und zum Einlenken bringen, weil die Kürzungen viele der 47 Kohleminen und ganze Regionen in den Abgrund stürzten, denn Alternativen gäbe es keine. "Wir verteidigen hier unser Jobs und die Zukunft unserer Kinder", fügte Caballé an.
Geschätzt wird, dass 30.000 Stellen verloren gehen. Die Chancen, einen neuen Job zu finden, sind bei einer Arbeitslosigkeit von fast 25 Prozent gering. "Mal sehen was weiter passiert, denn die Leute sind heiß", meint Caballé. Er kann nicht einsehen, dass Banken mit bis zu 100 Milliarden Euro gerettet werden sollen und dafür die einfache Bevölkerung bluten soll. Das war einhellig die Meinung am Mittwoch in den Straßen Madrids.