Rede und Antwort für alle: Kann man, muss man nicht machen

Microsoft dämmt via Exchange Online "Reply All" ein. Wurde auch Zeit, erinnert mich an eine Anekdote von 1997

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Vermutlich hat das alles mit zwei internen Vorfällen bei Microsoft zu tun, die im Januar 2019 und im März 2020 die interne Kommunikation heruntergefahren haben. Da hat ein E-Mail-Sturm 52.000 Angestellte ein wenig an den Rand des Wahnsinns gebracht. Nur weil alle allen antworten mussten, gingen die Mailserver so in die Knie, dass nichts mehr ging im Unternehmen. Also, es ging schon noch was, die genannten Angestellten gingen nach Hause, weil nichts mehr in der Inbox landete. Eine Firma wie MIcrosoft lebt und atmet trotz Yammer durch Mails. Wenn sie da an Verstopfungen leidet, kann sie das Licht abdrehen.

Nun ändert nichts so schön wie ein am eigenen Leib gespürter Schlag auf den Hinterkopf. Microsoft implementiert jetzt eine neue Regel in Exchange Online, die alle Mailthreads mit mehr als 5000 Usern und zehn Antworten innerhalb von 60 Minuten blockiert. Also ein Tipp an wertvolle Mitarbeiter, die mit einem "das ist fantastisch, Greg, das wird die Firma enorm voranbringen" auf Rundschreiben des CEOs antworten wollen: Wartet eine Stunde mit Eurem Gesülze, sonst schaltet der Server den Thread ab, und niemand kann Euren wervollen Beitrag lesen, der die Firma wieder enorm vorangebracht hat. Fantastisch.

Das erinnert mich alles an eine kleine Begebenheit bei Microsoft, die sich 1997 zutrug und Kennern immer noch als "Bedlam3" bekannt sein könnte. Es soll sogar T-Shirts mit "I survived Bedlam3" in Redmond gegeben haben. Was war geschehen?

Nun, in der Euphorie jetzt Mailinggroups aufsetzen zu können, hatte ein Admin freudig erregt alle Mitarbeiter in eine Testliste genommen und ein Testmail geschickt. Womit der junge Mann nicht gerechnet hatte, waren äußerst responsive Angestellte, die mit einem "take me off the list, please" sofort in den sozialen Austausch einstiegen. Ohne übrigens zu begreifen, dass ihr Wunsch nach Verlassen einer Liste leider nicht direkt an die Liste geschickt werden sollte. Denn das ging ja wieder an alle und...

Als ich an einem schönen Oktobermorgen des Jahres 1997 in mein Büro kam, hatte ich 18.000 Mails in meiner Inbox. And counting. Gut, eine kleine Regel, die die Mails gleich in den Papierkorb wandern ließ, wenn sie an "Bedlam3" geschickt wurde, half doch nach anfänglichem Entsetzen über den Berg. Aber es roch nach verbranntem Server in den Gängen.

Und weil man sich ja an nichts so schön weiden kann wie an dem Unglück anderer, sollte man selbst einigermaßen vom Eis sein, nahmen wir uns ein wenig Popcorn und setzten uns vor den Schirm. Menschliche Dramen spielten sich da ab. Wären die meisten Angestellten in Redmond damals nicht ebenerdig in den Wabengebäuden 1 - 6 gesessen, hätten sie sich vermutlich zu Dutzenden aus den Fenstern gestürzt. Einzelne wertvolle Mitarbeiter tippten noch 2 Wochen nach dem ersten Mail scheinbar schluchzend und mit letzter Kraft, man solle doch jetzt endlich aufhören, diese Mails an alle zu schicken, es ließe sich seit Tagen nicht mehr arbeiten und man könne seine Inbox nicht mehr bewältigen. Diese Mails gingen natürlich: an alle.

Ich habe keine Ahnung, was aus genau diesen Zeitgenossen wurde und ob sie heute schon aus den Sanatorien entlassen werden konnten, aber der Spaß ebbte um Weihnachten herum sichtlich ab, und an der Architektur der Bedlam3 Listen wurden diverse Modifikationen ausgeführt. Inzwischen galt es ja auch nicht mehr als chic, an alle zu schreiben. So wie der Mitarbeiter, der etwas früher in diesem Jahrzehnt in einem Mail an alle den herrlichen Sonnenuntergang in Redmond verlauten ließ. Gerüchteweise wurde der junge Mann deshalb auch vor die Türe gesetzt.

Nun, scheinbar hat er aber das Unternehmen gewechselt und ist heute noch gerne in Firmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern unterwegs. Aber das hat ja jetzt ein Ende. Gekündigt wird man wegen Mails an alle nicht mehr, nur die Mails werden blockiert. Keine Ahnung, ob diejenigen, die die Blockade ausgelöst haben, per Makro gleich an Human Resources weitergeleitet werden. So intelligent und durchtrieben wird Exchange Online nun auch wieder nicht sein.