Schweizer sagen Nein zu mehr Urlaub

Die Rentner scheinen sich hier gegen die Erwarbstätigen durchgesetzt zu haben. Auch die Buchpreisbindung wird von der Mehrheit der Schweizer abgelehnt

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Die Schweizer haben am Sonntag über eine ganze Reihe von Initiativen abgestimmt. Im Ausland war am ehesten der Ausgang des Volksentscheids über den Mindesturlaub ( "6 Wochen Ferien für alle") erwartet worden. Ob der Bau von Zweitwohnungen eingeschränkt wird, wofür sich die Schweizer mit knapper Mehrheit von 50,6 Prozent entschieden haben, ist eher für diejenigen interessant, die sich derartiges leisten können oder wollen, dass die Schweizer Landschaft nicht noch weiter zersiedelt wird. Künftig darf der Anteil von Zweitwohnungen den Anteil von 20 Prozent nicht übersteigen. Allerdings ist noch nicht genau definiert, was unter einer Zweitwohnung verstanden werden soll. Es gibt also trotz Entscheid noch Spielraum für die unterschiedlichen Interessen.

Klar gegen die Buchpreisbindung haben die Schweizer votiert. In der Westschweiz war die Preisbindung schon vor 20 Jahren gefallen. Viele Buchhändler mussten deswegen aufgeben. In der Deutschschweiz wurde die Buchpreisbindung 2007 aufgegeben. Die Regierung setzte dagegen und wollte die Festsetzung der Preise wieder für die ganze Schweiz einführen, was natürlich den Interessen des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands entsprach. Dagegen bildete sich eine bunte Initiative aus Teilen der SVP, FDP, Grünliberalen und der Piratenpartei, unterstützt durch den Großhändler Ex Libris.

Die Piraten etwa sprachen von einem "Preisdiktat", das nicht zur Informationsgesellschaft passen würde, und freuen sich über den Erfolg: "Die Buchpreisbindung hätte alte Strukturen zementiert und die Umsetzung von neuen Konzepten be- oder gar verhindert. Die Piratenpartei ist der Meinung, dass man den Herausforderungen der Informationsgesellschaft mit Offenheit begegnen muss, nicht mit strukturerhaltenden Regulierungen. "Der Buchmarkt wird sich zunehmend ins Internet und hin zu E-Books entwickeln. Eine Buchpreisbindung hätte den Einkaufstourismus vor allem online weiter verstärkt und damit die Situation für den Schweizer Kleinhandel weiter erschwert. Frische Ideen, wie beispielsweise ein Buch-Café, um Kunden ins Ladengeschäft zu locken, können ohne eine Preisbindung leichter umgesetzt werden - dies kommt schlussendlich auch dem Kunden zugute." Allerdings wird der Fall der Preisbindung eher die großen Verlagen und Händler stärken, den Trend zum E-Book aber nicht bremsen. Gerade dort könnte ein Unterbietungswettbewerb stattfinden. Aber man wird sehen.

Ja und dann die Initiative der Schweizer Gewerkschaften, den gesetzlichen Mindesturlaub von derzeit 4 auf 6 Wochen zu erhöhen ( Volksentscheid in der Schweiz über mindestens sechs Wochen Urlaub). Damit sollten die Angestellten stärker am Wirtschaftswachstum partizipieren und für die ausgebliebenen Lohnzuwächse entschädigt werden. Zudem hatten die Gewerkschaften argumentiert, dass die Arbeit immer stressiger werden, weswegen ein längerer Urlaub auch gesundheitlich notwendig wäre. Die Arbeitgeber warnten mit bekannten Argumenten, also mit der Gefährdung und Schwächung des Standorts und dem drohenden Arbeitsplatzabbau, Parlament und Bundesrat lehnten die Initiative ebenfalls ab.

Am Anfang konnten die Gewerkschaften und die linken Parteien bei Umfragen noch eine Mehrheit für die Verlängerung der Urlaubszeit hinter sich bringen. Dann ging wohl den Schweizern der Mut aus. Je näher der Termin rückte, desto schwächer wurden die Umfragewerte und desto größer wohl die Angst, den vorhandenen Wohlstand zu gefährden. Nach einer Umfrage sind vor allem die Rentner gegen einen längeren Urlaub gewesen, sie haben wohl befürchtet, dass ihre Renten darunter leiden können. Wenn jetzt zwei Drittel gegen die Initiative stimmten, dann handelt es sich wahrscheinlich auch um einen Generationenkonflikt, den auch die Älteren gegen die Jüngeren, die Rentner gegen die erwerbstätigen gewonnen haben. Wirtschaftsverbände und die konservativen Parteien begrüßen den Erfolg, doch die Verschiebung der Politik durch die wachsende Macht der älteren Menschen sollte bedenklich stimmen, da sich so kaum mehr etwas bewegen und der Erhalt des Bestehenden immer stärker ins Zentrum rücken wird - zu Lasten der Innovation und der nachfolgenden Generationen.

Telepolis erhielt von kundiger Seite einen Einwand, der vermutlich richtiger ist als die Deutung, dass ein Grund für die Älteren die Furcht vor Renteinbußen sein könne. Eric Breitinger schrieb uns: "Die Rentner haben gewiss nicht aus Angst um ihre Rente gegen mehr Urlaub gestimmt. Das scheint mir ein etwas germanotypischer Blickwinkel zu sein, die Schweizer Renten sind nämlich weitgehend sicher, da sie auf drei Säulen ruhen, nur eine davon, die AHV, eine Grundsicherung, basiert auf dem Generationen-Vertrag. Viel eher ist das Votum Ausdruck einer calvinistischen Arbeitsethik und eines wirtschaftsliberalen Primats des Ökonomischen vor anderen Erwägungen."