Ungarn fordert Überprüfung der Zensurvorschriften aller EU-Länder
Ministerpräsident Viktor Orban will im Falle einer Beanstandung seines neuen Mediengesetzes keine Ungleichbehandlung hinnehmen
Am 1. Januar trat in Ungarn ein neues Mediengesetz in Kraft, das von Politikern aus anderen Ländern kritisiert wurde und nun auf seine Vereinbarkeit mit europäischen Regeln überprüft werden soll. Ministerpräsident Viktor Orban meinte nun, dass er solch eine Überprüfung (die er nur durch einen Austritt seines Landes aus der EU verhindern könnte) durchaus zulassen wolle, forderte aber für diesen Fall eine Kontrolle der Mediengesetze aller europäischen Länder. Änderungen, so Orban, wolle er nur dann vornehmen, wenn dies von anderen Mitgliedsstaaten mit ähnlichen Verboten ebenfalls gefordert wird.
Bereits in den vergangenen Wochen hatte der Ministerpräsident immer wieder darauf verwiesen, dass keine einzige Regelung in seinem neuen Gesetz existiere, die es nicht in mindestens einem anderen EU-Land ebenfalls gebe. Diese Behauptung ist durchaus nicht ohne Grundlagen. Bei einer objektiven Betrachtung der Rechtslagen müssten sich unter anderem Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien Gedanken darüber machen, ob Teile ihrer Jugendschutz-, Abmahn-, Internet- und Pressegesetze nicht ähnlich negative Auswirkungen auf die Redefreiheit haben wie ihre Entsprechungen im neuen ungarischen Regelwerk.
Dass es in diesen Ländern zu Änderungsaufforderungen kommt, ist allerdings unwahrscheinlich: Denn die Überprüfung wird wohl keine unabhängige Institution vornehmen, sondern die EU-Kommission. Und die bewies in den letzten Tagen, welch kognitive Dissonanzen sie auszuhalten vermag: Durch eine Anfrage der Europaparlamentsabgeordneten Abgeordneten Sophia in't Veld, Alexander Alvaro und Marietje Schaake wurde nämlich bekannt, dass das supranationale Exekutivorgan nach einer "fundierten juristischen Analyse" zu dem Ergebnis kam, die von der türkischen Regierung eingesetzten Websperren würden wahrscheinlich gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, während Innenkommissarin Cecilia Malmström das gleiche Instrument allen EU-Staaten per Direktive vorschreiben will.