Uploadfilter, Terrorfilter und ungefiltert abgeladener Error

Deutschland wird auf dem Acker verteidigt - Ein Kommentar

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Als man Helmut Kohl 1994 auf die Datenautobahn ansprach, ließ der CDU-Chef wissen, für den für Bau von Autobahnen seien neben dem Bund hauptsächlich die Länder zuständig. Wenn ein Vierteljahrhundert später, nämlich kommenden Montag, der Rat der Europäischen Union die Urheberrechtsreform finalisieren wird, geschieht dies kurioserweise durch die Landwirtschaftsminister. Deutschland wird insoweit durch Julia Klöckner vertreten, eine studierte Theologin.

Ähnliche Profession in Informationstechnologie und Urheberrecht boten auch die beiden deutschen Grünen, die im EU-Parlament für die von der Fachwelt einhellig abgelehnte Urheberrechtsrichtlinie stimmten: Helga Trüpel wird als Religionspädagogin selig; Maria Heubuch ist "Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft" und versteht sich insbesondere aufs Melken – die Verwerterindustrie ist entzückt.

Doch auch ein Jurastudium, wie es Axel Voss nachgesagt wird, ist keine Garantie für methodisches Arbeiten wie etwa das Befragen von Experten, wenn man selbst das Internet nur aus Papierausdrucken kennt. Bei den fachlichen Blößen etwa, die sich der für die Urheberrechtslinie federführende CDU-Politiker in aller Öffentlichkeit leistete, konnte selbst Helga Trüpel nicht mithalten.

Wo die CDU/CSU und Grüne dilettieren, darf auch die ehemalige Volkspartei SPD nicht fehlen: Theoretisch hätte Bundesjustizministerin Katarina Barley die Reform noch sabotieren können, da die Stimme der deutschen Bundesregierung ausschlaggebend sein wird. Doch die SPD arbeitet hart daran, auch den letzten Wählenden ihre Illusion von Glaubwürdigkeit zu nehmen. Die widersprüchlich agierende Barley wird demnächst im Europaparlament neben Voss brillieren.

Ein Faktor für die unfassbare Inkompetenz deutscher Politiker in IT-Fragen dürfte die Tatsache sein, dass insbesondere die betagten Volksvertretenden das Internet überwiegend aus dem Fernsehen kennen. Während etwa die öffentlich-rechtlichen Redaktionen in ihrem Programm reichlich Platz für Religion usw. bieten, gab es im TV offenbar nicht eine einzige Dokumentation, die den alten Menschen im Parlament rechtzeitig erklärt hätte, woran sie denn eigentlich hantierten. Zwar kamen die Medien angesichts des auf die Straße getragenen Protests und der offensichtlichen Widersprüche der Regierungsparteien nicht völlig am Thema vorbei, befragten vor der Kamera jedoch weniger Experten als vielmehr Politiker, die ihre sprichwörtlichen Sprechblasen entleerten. Zwar wurde auf den letzten Metern noch Beachtliches geleistet, doch für einen Meinungsumschwung in den Fraktionen kam das alles viel zu spät.

Man darf die EU-Abgeordneten nicht zu hart kritisieren, denn eine Stimme gegen die vorgegebene Parteilinie stört die Harmonie etwa im bevorstehenden EU-Wahlkampf. Bei über 300,- € Abgeordneten-Entschädigung pro Tag wäre ein Mandatsverlust ärgerlich, zumal die meisten Profipolitiker keinen Rückkehrperspektive haben, weil sie nun einmal nichts wirklich können. Wer möchte schon von so einem Job zurück auf den Acker?

Terror-Filter

Kurz nach dem Tabu-Bruch, der Plattformen faktisch einen Uploadfilter aufzwingt, ließ man dann die von Mahnern stets befürchtete Katze aus dem Sack: Künftig sollen nun auch "terroristische" Inhalte weggefiltert werden, und zwar binnen einer Stunde. Durchsetzen will man das im Hau-Ruck-Verfahren, allerdings erst nach der EU-Wahl. Schließlich will man sich im EU-Wahlkampf in der Fußgängerzone nicht auch noch mit Terroristen streiten.

Was aber "Terrorismus" denn so genau ist, liegt allerdings stets im Auge des Betrachters. Auf der Terrorliste der USA stand einst Nelson Mandela, auch WikiLeaks wurde als terroristische Organisation eingestuft, für drohnenbasierte Hellfire-Exekutionen reicht es bereits aus, dass die NSA Kontakte zu anderen Terrorverdächtigen unterstellt. Kein Terror hingegen ist das Abballern von Reuters-Journalisten vom Hubschrauber aus, das Bombardieren erdölfördernder Länder oder die ökologische Exekution des Planeten durch Austritt aus internationalen Umweltabkommen.

Das Ausmaß der Terrorlöschpflichten ist derzeit noch nicht absehbar. Konsequenterweise nämlich müssten dann auch Forenbetreiber usw. terroristische Inhalten nerhalb von 60 Minuten beseitigen. Blogger etwa, die sich keine unfehlbaren Terror-Filter leisten können, müssten ihre Foren manuell freischalten oder 24 Stunden am Tag überwachen. Alternativ müsste man entsprechende Dienstleistungen einkaufen. Meinungsfreiheit ist nun einmal ein teures Gut, demnächst dann wohl noch teurer. Wahrscheinlicher aber ist, dass Google einen solchen Dienst kostenlos anbietet - und sich damit dann weiter dem Monopol über unser Wissen annähert.

Möglicherweise helfen die Terrorfilter ja dabei, lästige Influencer aus YouTube klein zu halten, welche das Oligopol traditioneller Gatekeeper mit unerwünschtem Gebrauch der Meinungsfreiheit gefährden. Letzte Woche etwa hielten die angeblich staatsfernen öffentlich-rechtlichen Sender zum 70jährigen Bestehen der Nato Elogen auf das angebliche Verteidigungsbündnis und propagierten vorauseilend übereifrig Feindbilder. Kritik an dem Militärbündnis überließ man alternativen Medien (Siebzig Jahre NATO: Kein Grund zum Feiern) und dem russischen Feindsender, dessen Tage auf YouTube dank Uploadfilter oder Landesmedienanstalt gezählt sein könnten (Medien: Wir brauchen mehr Fremdkritik). Die kleine Ironie dabei ist, dass das Internet dann hierzulande so kontrolliert ist wie derzeit im dämonisierten Russland, wo es Zensursula-Internetsperren gibt.

Vielleicht sind wir bald wieder im Jahr 1994 (oder 1984?), als weise Männer die Gefahren des Internets erkannten und frühzeitig bannen wollten (Von Links und rechtsfreien Räumen). Internetrechtsexperte Prof. Thomas Hoeren erzählt gelegentlich am Lagerfeuer von einem obskuren Termin beim vormaligen "CDU-Zukunftsminister" und damaligen NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. So sei er zu einer Besprechung eingeladen worden, die Rüttgers unter peinlicher Beachtung der Geheimschutzmaßnahmen abhalten ließ. In dieser Sitzung habe Rüttgers seine Pläne vorgestellt, wie man das wilde Internet staatlich kontrollieren könne. Derselbe Rüttgers übrigens, der dann seinen NRW-Wahlkampf mit der Parole Kinder statt Inder führte. Ein Jahrzehnt später hatte dann Zensursula vorübergehend tatsächlich eine politische Mehrheit für ihre Internetsperren gewonnen.

Apropos Prof. Hoeren: Diese Woche gab Hoeren bekannt, dass es seit Verabschiedung der EU-Urheberrechtsrichtlinie keine Vorlesungen zum Urheberrecht an der Uni Münster mehr gäbe. Die vormalige Vorlesung "Urheberrecht" heiße künftig "Urheberrechtliche Bezüge des gewerblichen Rechtsschutzes", da es bedingt durch die Richtlinie nicht mehr im Urheberrechtsgesetz um Urheber, sondern um die mächtigen Verwerter gehe.