Das unentdeckte Land (1996 -1998)

Von Links und rechtsfreien Räumen - Folge 1/5

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Anfang der 90er Jahre boten die Universitäten ihren Studierenden ein neues elektronisches, vorwiegend textbasiertes Kommunikationsmedium an, das schon länger unter Eingeweihten als "Internet" bekannt war. Der Browser des neuen Formats Hypertext Markup Language (HTML), das neben Texten auch Bilder und sensitive Hyperlinks zuließ, hieß damals noch "Mosaic". Zum täglichen Leeren des E-Mail-Postfachs radelte man gerne an die plötzlich erstaunlich attraktiv gewordene Universität, deren Computerräume zuvor ansonsten für Computerspiele genutzt wurden. Ende 1994 befand sich der Autor dieser Zeilen im Raum des "Juristischen Internetprojekts Saarbrücken", als jemand aufgeregt meldete, DER SPIEGEL sei nun im Internet. Nach etlichen Minuten Ladezeit baute sich tatsächlich schemenhaft die archaische Version von "SPIEGEL ONLINE" auf - das Internet war nun im richtigen Leben angekommen - und umgekehrt.

"Für den Bau von Autobahnen sind neben dem Bund hauptsächlich die Länder zuständig!" hatte der ewige Kanzler Helmuth Kohl noch 1994 wissen lassen, als man ihn auf die "Datenautobahn" ansprach. Die konventionellen Medien bekamen im Laufe des Jahres 1995 so langsam mit, dass hier ein neues Medium geboren worden war, das mehr zu sein versprach, als das verpeilte BTX oder eine Art drahtgebundener "CB-Funk" nachtaktiver Nerds. Im Jahre 1996 schließlich war die Existenz des sich rasant entwickelnden Internets DAS beherrschenden Medienthema. Nichts ging mehr ohne. Für die Verbreitung des Internets im Privatbereich sorgte vor allem die stabile Nachfrage nach Informationen über die Kunst der menschlichen Fortpflanzung.

Gedenkstein zur Erinnerung an den Mosaic-Webbrowser am National Center for Supercomputing Applications der University of Illinois in Urbana-Champaign. Foto: Ragib Hasan. Lizenz: CC-BY-SA.

Zu den Visionären, welche Chancen das Internet und die Kommunikation von jedem zu jedem bieten würde, gesellten sich rasch auch die Bedenkenträger, die sich von unkontrolliertem Informationsfluss bedroht sahen. Juristen waren aufgerufen, die sich abzeichnenden Probleme in Szenarien auszumalen, die sich durch die Konvergenz der bisher getrennten Medien Print und Rundfunk ergaben. Ist Internet "Rundfunk", der einer hoheitlichen Erlaubnis bedurfte? Oder ist Internet Presse? Musste sich dann jeder Websitebetreiber mit einem Impressum ausweisen, damit Rechtsanwälte und Staatsanwälte ihn leichter aufspüren konnten? Wer ist überhaupt für die Kontrolle eines Mediums zuständig, das gleichzeitig in allen Rechtsordnungen der Welt präsent ist? Wer haftet? Welche Gültigkeit wird Urheberrecht künftig beanspruchen, wenn jede digitale Information weltweit zeitgleich vorhanden sein kann? Juristen, die sich schon für Datenbanken aus der Zeit von Lochkarten hatte begeistern können, sprach enthusiastisch vom "Cyberlaw".

"Rechtsfreier Raum"

Politiker witterten früh Handlungsbedarf, etwa gegen den Import von Medikamenten, die sich über das Internet komfortabler bestellen ließen als mittels Papier. Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers war es vorbehalten, offenbar erstmals das eigenartige Credo populistischer Politiker zu prägen, das Internet dürfe "kein rechtsfreier Raum" sein, das bis heute sinnfrei nachgebetet wird. Diese Forderung war zwar schon damals eine hohle Phrase, denn rechtsfrei war das Internet von Anfang an nicht. Ähnlich realitätsfremd geriet wenige Jahre später Rüttgers Kampagne Kinder statt Inder. Ohne Feindbild scheinen sich Politiker nun einmal nur schwer profilieren zu können.

Überall und Nirgends

Das Problem, wer eigentlich für das Internet zuständig sei, löste man in den USA mit typisch amerikanischem Pragmatismus: Minnesota. Bereits Mitte 1995 ließ der Justizminister des US-Bundesstaats Minnesota wissen, alle Personen, die Informationen ins Internet einspeisen, mit dem Wissen, dass diese Informationen von Personen in Minnesota abgerufen werden könnten, unterstünden sowohl der zivil- als auch der strafrechtlichen Zuständigkeit von Minnesota. Als einen der ersten traf es einen Anbieter eines in Minnesota unerlaubten Wettdienstes im karibischen Staat Belize.

Amerikanische Hersteller von Spirituosen wiederum erhielten Post von arabischen Staaten, die ihnen mit der Scharia drohten, falls diese weiterhin Inhalte über alkoholische Getränke über das Internet in diese Länder sendeten. Malta fürchtete sich davor, die Bevölkerung könne durch weibliche Brüste erschreckt werden. Ein in Frankreich verbotenes Buch über den Gesundheitszustand des ehemaligen französischen Ministerpräsidenten Mitterand schwappte via Internet wieder über die Staatsgrenzen herein, ohne dass es der Zoll abfangen konnte. Überhaupt sah die Grande Nation ihre geliebte Sprache gefährdet, sodass man forderte, jede in Frankreich gehostete Website müsse per Gesetz mindestens auch in einer französischen Fassung angeboten werden.

Haftung der Zugangsprovider

Der Schuldige an unerwünschten Informationen war schnell ausgemacht: Der Überbringer der schlechten Nachricht, der traditionell zu köpfen ist. In Singapur etwa sah die Regierung Onlinedienstprovider als verantwortlich für die transportierten Inhalte an. Texas ließ Compuserve wiss en, texanische Kunden müssten sich zum Klagen nicht nach Ohio zur Firmenzentrale begeben, das Internet befände sich vor Ort.

Der Zugang zu konventioneller Pornographie wurde als Gefahr für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen angesehen (was von Fachleuten bezweifelt wird). Gegen die deutsche Mannschaft des Zugangsproviders Compuserve ermittelten Staatsanwaltschaften in München und Mannheim wegen der Verbreitung der geächteten Inhalte Nazipropaganda und Kinderpornographie, die über das Netz an die Gehirne der Nutzer drangen. (Eine ursächlicher Zusammenhang zwischen Internet und der Entwicklung des Neonazismus ist jedoch bislang nicht aufgefallen; das unter Pädophilen kursierende Material stammt auch 15 Jahre nach Durchbruch des Internets offenbar ganz überwiegend aus der analogen Zeit.) Auch "Bombenbauanleitungen" waren geeignet, um das Internet in Verruf zu bringen. (Warum im folgenden Jahrzehnt die Anzahl der Bastelbomben nicht explosionsartig anstieg, ist ähnlich rätselhaft wie das Phänomen der zahlreichen noch immer nicht hochgegangenen Tankstellen, obwohl dort trotz Verbots immer wieder mit Handy telefoniert wird ...)

Die Staatsanwaltschaft durchsuchte die Deutschland-Zentrale von Compuserve, wohl in der Hoffnung, dass sich dort das Internet verstecke, und veranlasste die Sperrung von unerwünschten Newsgroups, was dem Münchener Amtsgericht zeitweise internationale Aufmerksamkeit bescherte. Insbesondere in den USA, wo man ein traditionell liberales Verständnis von kommunikativen Freiheiten pflegte, stieß diese Zensur auf Unverständnis. Der deutsche Zugangsprovider Telekom klemmte in vorauseilendem Gehorsam Seiten mit Nazi-Propaganda ab - und etliche andere gleich mit, was Internetaktivisten auf die Barrikaden trieb. Das Hase und Igel-Spiel mit gemirrorten Seiten ließ nicht lange auf sich warten.

Die Filter, mit denen man damals international experimentierte, erwiesen sich schnell als untauglich und störend. Das böse Wort "sex" etwa wurde auch in grundseriösen Diskussionsforen von Ärzten blockiert. Eine Diskussionsgruppe zum "Rüstungsexport" wurde geblockt, weil der Begriff die Buchstabenfolge "sex" enthielt. Homosexuellen wurde ihr digitaler Lebensraum streitig gemacht, weil noch immer nicht alle Entscheidungsträger realisiert hatten, dass die Nation mittlerweile kulturell in den 90er Jahren angekommen war.

AOL Deutschland beschäftigte nunmehr ein Heer an "Lotsen", die das Internet zu überwachen hatten. Da jedoch die Internetgemeinde auch E-Mails versandte, die nun einmal vom Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) verfassungsrechtlich geschützt waren, und da nun einmal jeder das Recht hatte, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren (Art. 5 GG), stellte sich die Frage, ob und wie ein Privatunternehmen eine Überwachung und Eingriffe leisten dürfe, und ob es sich insoweit nicht um Zensur handele, die Art. 5 GG ausdrücklich ausschloss.

Am Amtsgericht München bahnte sich die größtanzunehmendste Posse an: Ein Richter spielte sich zum Volkstribun auf, der in Sachen Kinderpornographie usw. zu keinen Kompromissen bereit war, und ließ eine Anklage gegen den Deutschland-Chef von Compuserve, Felix Somm zu, weil dieser den Transport entsprechender Informationen "toleriere". Obwohl das Schlussplädoyer von Somms Verteidiger, Prof. Ulrich Sieber, dem Amtsrichter alle relevanten Zusammenhänge aufzeigte, ließ sich der Richter nicht in seiner Mission beirren. Wer Zugang zu einem solchen Netz des Bösen vermittle, der sei dafür auch strafrechtlich verantwortlich.

Dass etwa auch die Bahn ein Netz anbot, an das u.a. die Niederlande mit ihrer liberalen Drogenpolitik angeschlossen waren, dass die Post ein Verteilungsnetz betrieb, welches in Briefumschlägen die Verbreitung von jugendgefährdenden Schriften zuließ und die Telekom ein Telefonnetz mit der Möglichkeit zur Verbrechensverabredung bereit hielt, irritierte den Richter in seiner Zuordnung der Verantwortung nicht. Es war damals jene schwere Zeit, in der man sich beim Kauf eines Handys mit Ausweis registrieren lassen musste, weil sich ein solches Gerät als nützlich zum Banküberfall erweise - während CB-Funk oder konventionelle Telefone nach wie vor frei erhältlich waren.

Ende 1999 hob das Landgericht München I die für den Internetstandort Deutschland wenig hilfreiche Verurteilung wieder auf, da sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass der technische und personelle Aufwand zur Filterung der Inhalte unverhältnismäßig wäre.

Die mit Zensur und Index erfahrenen Moralisten grollten und mussten zudem ertragen, dass die StA München auch nicht gegen den im Netz befindlichen Starr-Report vorgehen wollte, der quasi pornographisch die Erlebnisse mit einer Praktikantin schilderte, die dem Bericht des US-Staatsoberhaupts zufolge talentiert sei, einen Tennisball durch einen Gartenschlauch zu saugen.

Am Landgericht Mannheim setzte sich die Rechtsauffassung durch, strafrelevante Äußerungen aus dem Ausland seien ebendort im Ausland zu bestrafen, nicht aber am Empfangsort. Der BGH sah es im Jahr 2000 jedoch anders und bat in Deutschland vor den Kadi.

Fliegender Gerichtsstand

Auch die zivilrechtliche Zuständigkeit des Mediums wollte geklärt sein, insbesondere die örtliche. Das Landgericht München I entschied bereits 1996, dass aufgrund der Verbreitung einer Nachricht im Internet die Zuständigkeit an jedem Gerichtsort gegeben sei, an dem die Nachricht abgerufen werden könne. Begründet wurde die örtliche Zuständigkeit mit § 14 Abs. 2 UWG (vormals § 24 UWG), da sich beide Parteien gewerblich in einem Wettbewerbsverhältnis befanden. Die Klägerin hatte in Lizenz Computer gefertigt und auch einen bundesweit vertriebenen Bausatz angeboten, den der Beklagte, auch ein Händler, in der Weise geschmäht hatte, dieser würde in einem handlichen Karton geliefert, der aufgefüllt sei mit einer Anzahl von Müllstücken bestehend aus Styroporresten und so weiter. Das Produkt selbst bezeichnete er als hoffnungslos überteuerten Schrotthaufen.

Der Beklagte konnte jedoch nach Ansicht des Gerichts keinen hinreichenden Tatsachenkern schildern, der eine erlaubte Meinungsäußerung hätte tragen können, so dass man auf unzulässige Schmähkritik erkannte. Die Münchner Richter mahnten, es sei abschließend darauf hinzuweisen, dass die angeblich vorhandene Verwilderung der Sitten in der Computerbranche es nicht rechtfertige, gesetzeswidriges Verhalten hinzunehmen und zuzulassen. (Mit den Sitten in der Computerbranche nahm es allerdings ausgerechnet der Anwalt, der dieses Urteil durchgesetzt hatte, nicht allzu genau, was ihm ein Jahrzehnt später unter anderem eine Haftstrafe einbrachte.)

Später entdeckten die Gerichte auch § 32 ZPO als Begründung dafür, dass eine Persönlichkeitsrechtsverletzung etc. stets dort anhängig gemacht werden könne, wo sie im Internet abrufbar sei - also überall. Denn am Ort des Abrufs werde man beleidigt etc. Die Vorschrift des "Gerichtsstandes der unerlaubten Handlung", war eigentlich für Fälle gedacht, in denen am Ort einer Schädigung womöglich Zeugen ansässig wären und daher ein Prozess dort wirtschaftlicher zu führen sei. Überall, wo eine gedruckte Publikation erschien oder ein Rundfunksender zu empfangen war, konnte man am örtlichen Gericht auf Unterlassung und Schadensersatz klagen. Fortan nun sollte das Bereithalten zum Abruf einer unerwünschten Information ausreichen, um deutschland- oder gar weltweit die Zuständigkeit eines beliebigen Gerichtsorts zu begründen. Besonders gerne riefen fortan die Menschen am Gerichtsort Hamburg bestimmungsgemäß Internetinhalte auf.

Der Gesetzgeber hat die von Anwälten aufgegriffene Möglichkeit, sich willkürlich einen genehmen Richter aussuchen zu können (Forum Shopping), noch immer nicht reguliert. In letzter Zeit lehnen allerdings immer mehr Gerichte die Anwendung von § 32 ZPO ab, wenn sich für die Wahl des Gerichtsorts kein sachlicher Grund erkennen lässt. Der Haltung etwa des Amtsgericht Charlottenburg Ende 2010 folgte Anfang 2011 das Amtsgericht Hamburg. Beim im gleichen Gebäudekomplex untergebrachten Landgericht Hamburg, mit dem man sich die Kantine teilt, ist jedoch bislang kein Sinneswandel erkennbar.

Domains

Da Google noch darauf wartete, erfunden zu werden, waren findige Köpfe auf die Idee gekommen, statt kryptischer IP-Adressen in der Adresszeile einfach Kombinationen aus Buchstaben zu verwenden, die Begriffe und Namen bildeten, die dann zur IP-Adresse umleiteten - im Volksmund Domains genannt. Anfangs regten sich in der Rechtsprechung Zweifel, ob diesen URLs tatsächlich Namensfunktion zukam, oder ob es sich nicht eher um rein technische Adressen handelte. Eine Stadt in der Kurpfalz konnte das Landgericht Mannheim schließlich davon überzeugen, vorzugswürdigerer Inhaber der Domain heidelberg.de zu sein, und nicht etwa ein gleichnamiger Druckmaschinenhersteller.

Auch das Landgericht Hamburg erkannte Internetdomains als individuelle Namenskennzeichen, die dem Schutz des Namensrechts aus § 12 BGB unterlägen, wenn sie im Rechtsverkehr Namensfunktion hätten. Gleichwohl könne ein Internetprovider jedoch ein Zurückbehaltungsrecht hieran geltend machen, wenn ein Kunde vorzeitig kündige. Der Kunde könne ja die Domain bei dem Unternehmen nutzen und wieder seine Rechnung zahlen.

Inzwischen hatte sich Domaingrabbing zum Volkssport entwickelt und ernährte fortan etliche Anwälte. Juristen mit dem Orchideen-Fachgebiet Markenrecht waren plötzlich gefragte Leute. Während sich vorher nur reiche Unternehmen Markenstreitigkeiten leisteten, entdeckten Tausende bislang friedfertiger Menschen ihre Missgunst und stritten sich um die Herrschaft über Buchstabenfolgen.

Die Vergabe von Domains hatte zunächst freiwillig das Rechenzentrum der Universität Karlsruhe organisiert, das als Deutsches Network Information Center (DENIC) fungierte. Die Aufgaben wurden 1996 einer eingetragenen Genossenschaft DENIC eg in Frankfurt übertragen. Da es in Sachen Domains insoweit auch internationalen Absprache- bzw. Regulierungsbedarf gab, nämlich bei den Top-Level-Domains, gründete sich Ende 1998 das nichtstaatliche Gremium "Internet Corporation for Assigned Names and Numbers" (ICANN), das vorerst am US-Handelsministerium angegliedert blieb.

Browserkrieg

Ausgerechnet Softwaregigant Microsoft, dessen mit enormem PR-Hype vertriebenes Betriebssystem "Windows95" Besitz von den meisten Festplatten ergriff, hatte den Durchbruch des Internets verschlafen und pumpte nun eilig einen dreistelligen Millionenbetrag in die Entwicklung des eigenen Browsers "Internet Explorer", der dem Mosaic-Nachfolger "Netscape" Paroli bieten sollte. Da seinerzeit die Vision vorherrschte, die PCs würden absehbar durch Terminals ersetzt, die dann vor Ort kein Betriebssystem mehr benötigten, befürchtete man den Netscape-Browser als ernstzunehmende Konkurrenz.

Der Netscape-Browser, der von einer Hand voll Leute programmiert worden war, wurde vor allem auch deshalb verdrängt, weil Microsoft seine dominante Marktmacht konsequent ausspielte und über 90% der neugekauften Computer mit seinem Explorer auslieferte - gratis. Diese Aggressivität kostete den Softwareriesen nicht nur Sympathien, vielmehr folgten langwierige u.a. kartellrechtliche Gerichtsverfahren, bei denen Microsoft schließlich dreistellige Millionenbeträge an ausgebremste Mitbewerber zahlte. Die Prozesse, auch als "Browserkriege" bekannt, hatten auch einen gewissen Unterhaltungswert: Als die Microsoft-Anwälte behaupteten, eine bestimmte Anwendung könne nicht aus dem Programm entfernt werden, demonstrierte ihnen der Richter, der seine Hausaufgaben gemacht hatte, persönlich im Gerichtssaal das Gegenteil.

Neue Gesetze

Mit heißer Nadel strickten diverse Ministerien an Gesetzen, um den angeblich "rechtsfreien Raum" einzudämmen. Auch hier stellte sich die Frage, wer für das kulturell wie wirtschaftlich relevante Internet denn eigentlich zuständig sei, wobei auch die Rundfunk- und Kulturhoheit der Länder sowie die Reviere der Ministerien zu beachten waren. Irgendwie jeder wollte gefragt sein. Das "Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste" (IuKDG) kam dennoch verhältnismäßig schnell zustande: 1997 erblickten der Mediendienste-Staatsvertrag und das Teledienstgesetz als weltweit einige der ersten Regulierungen in diesem Bereich das Licht der Öffentlichkeit, welches sie 2007 wieder zugunsten des Telemediengesetzes verlassen sollten. Für gewisse Verwirrung sorgten die diversen Gesetze, die den Datenschutz regeln sollten, da sich die Anwendungsbereiche überschnitten. Auch ein Gesetz zur digitalen Signatur wurde verabschiedet, das die Authentizität des elektronischen Rechtsverkehrs erleichtern sollte.

U.a. die nun festgeschriebene Impressumspflicht für Websites eröffnete gewissen Anwälten ungeahnte Möglichkeiten, das Ansehen ihres ehrwürdigen Berufsstandes durch exzessive Abmahnungen in der Internetgemeinde irreparabel zu ruinieren.

Linkhaftung

Doch eine für die Internetnutzer höchst wesentliche Frage hatte der Gesetzgeber offen gelassen: Was gilt, wenn das Setzen eines Links jemand anderes erzürnt?

Das Landgericht Frankfurt hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem ein Unternehmer auf eine Website verlinkte, die einem Wettbewerber nicht gefiel. Die Frankfurter sahen eine Verantwortlichkeit des Linksetzenden sogar dann, wenn man noch weitere Links anklicken musste. Das gemäßigtere AG Berlin-Tiergarten übte bzgl. Linkhaftung Schadensbegrenzung, in dem es eine Überwachungspflicht für zwischenzeitliche Änderungen der verlinkten Angebote ablehnte.

Unter den Dächern der Hansestadt Hamburg braute sich derweil eine furchtbare Entscheidung in Sachen Linkhaftung zusammen. Ein sich in vielfacher Hinsicht in der Öffentlichkeit exponierender Hamburger Rechtsanwalt, der mit bewusst forschem Auftreten zu polarisieren verstand, war in juristische Gefechte im Bezug auf eine seinerzeit populäre Adresssoftware verwickelt gewesen. Ein Kontrahent hielt auf seiner Website Links auf eine andere Website vor, auf welcher der ehrbewusste Advokat geschmäht wurde. Standesgemäß mahnte der Beleidigte dieses unhanseatische Verhalten ab und forderte hierfür seine Kosten, die es schließlich am Landgericht Hamburg einzuklagen galt. Der Beklagte berief sich auf eine "Haftungsfreizeichnungsklausel", der zufolge er nicht für Inhalte anderer Websites hafte, auf die er ja keinen Einfluss hätte. Auch habe er nur einen "Markt der Meinungen" bieten wollen. Und schließlich solle sich der Kläger mal nicht so haben, denn er exponiere sich ja selber in der Öffentlichkeit. Außerdem gäbe es ja wohl auch Meinungsfreiheit.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit hat jedoch am Landgericht Hamburg generell einen schlechten Stand. Erst recht ließ das Gericht die pauschale und wohl auch leicht geheuchelte Distanzierung von den Links links liegen. Den etwas hoch gegriffenen Streitwert von 100.000,- DM kürzte es auf noch immer stattliche 40.000,- DM herunter. Jene legendäre Hamburger Entscheidung vom 12.05.1998 wurde fortan wie ein Mantra auf etlichen Homepages nachgebetet, prangte etwa jahrelang auf der Homepage von SPIEGEL ONLINE. Viele glaubten offensichtlich, der Hinweis auf die Entscheidung sei ein Disclaimer für eben jene Haftung für Links, der wie ein Zauberspruch die Anwälte und Richter fernhalten würde - obwohl das Urteil das genaue Gegenteil aussagte.

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