Schmuddel-Sex und Rassismus im Internet lassen sich kaum verbieten

Immer wieder kommt nach den grauenvollen Kindermorden der jüngsten Zeit die Forderung auf, man müsse im Internet die Angebote mit pornographischen oder auch mit rassistischen Inhalten sperren. Doch technisch und auch juristisch ist das kaum oder nur in eng umrissenen Grenzen möglich. Und die im voreilenden Gehorsam ausgeführte Zensur unterhöhlt das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Briefgeheimnis.

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Als im letzten Jahr die Mannheimer Staatsanwaltschaft die Sperrung der Internet-Schriften des Neonazis Ernst Zündel verlangte, reagierte die Deutsche Telekom sofort und brach in ihrem Netz T-Online alle Verbindungen zum Rechner der Firma Webcom ab, über die Zündels Nazi-Thesen verbreitet wurden. Doch nach zwei, drei Tagen waren die Hetzparolen wieder im Netz und konnten auch von T-Online-Nutzern abgerufen werden, und zwar gleich mehrfach: Amerikanische Studenten hatten das Internet-Angebot auf verschiedene Universitätsrechner überspielt und machten es unter mehreren anderen Adressen erneut zugänglich. Dagegen ist die Telekom ebenso wie jeder andere Online-Dienst machtlos.

So erging es im letzten Jahr dem Generalbundesanwalt: Auf der Homepage des linksradikalen, pubertär-naiven Blättchens "radikal", die im World Wide Web unter xs4all zu finden ist, entdeckte er Werbung für eine terroristische Vereinigung und die Anleitung zu Straftaten. Da der Webserver jedoch in den Niederlanden steht und ihm mit einer Beschlagnahme daher nicht beizukommen war, forderte die Generalbundesanwaltschaft die der "Internet Content Task Fürce (ICTF)" angeschlossenen Internet-Provider auf, den Zugang deutscher User zum holländischen Webverschmutzer zu sperren - mit Erfolg.

Doch der Schuß ging nach hinten los. Innerhalb kürzester Zeit entstanden weltweit zahlreiche "Mirror Sites" des radikalen Blättchens, das fortan gewissermaßen an jeder Straßenecke der Datenautobahn zu bekommen war. Die Folge: Eine wundersame Vermehrung eines Objekts, von dem es ohne die Generalbundesanwaltschaft nur ein einziges Exemplar gäbe.

Es ist auch ganz leicht, geltende Verbote im Internet trickreich zu umgehen. Ein Student, der im Internet einmal ein Archiv mit verbotenem Material bereitstellte, machte sich juristisch geradezu unangreifbar, indem er auf seiner Homepage den Satz stehen ließ: "Ich distanziere mich von diesem Material." Wer dann mit der Maus das Wort "Material" anklickte, kam über dieses Link in eine andere Internet-Adresse, unter der das alte Angebot in voller Länge zu lesen war.

Fachleute wissen: Das Sperren von Internet-Angeboten ist objektiv unmöglich. Man kann zwar eine einzelne Adresse wirksam sperren. Aber dann gibt sich der Anbieter eine neue Adresse oder der Inhaber einer anderen Adresse verbreitet dieselben Inhalte. Ein Spiel ohne Ende, bei dem der Anbieter stets die Nase vorn hat und den Strafverfolgern durchs Netz schlüpft. Im Vergleich zu der Vielzahl von Möglichkeiten, die sich einem Straftäter im Internet bieten, wirkt der märchenhafte Wettlauf zwischen dem Swinegel und dem Has' geradezu wie ein vorsteinzeitlicher Einbahnstraßen-Kalauer.

So ähnlich sieht das der Würzburger Strafrechtslehrer Ulrich Sieber, der meint, alle Bemühungen, mit nationalen Gesetzen pornographische oder rassistische Inhalte im weltweiten Internet zu verbieten, liefen auf den Versuch hinaus, "eine Lawine mit der Hand aufzuhalten". Sieber in einem "Spiegel"-Interview: "Wir müssen akzeptieren, daß Informationen heute frei über die Grenzen fließen. Wenn wir keinen Überwachungsstaat wollen, müssen wir mit der Möglichkeit des internationalen Mißbrauchs leben."

Das Internet ist nun einmal ein loser Verbund von einigen Millionen Rechnern, die über "Links" (Verbindungen) miteinander verknüpft sind. Die Gesamtheit der Links bildet ein amorphes Netz, in dem sich Datenpakete ihren Weg gewissermaßen selbständig bahnen können. Wird ein Weg gesperrt, so finden sich Tausende von anderen Wegen.

Die Stunde der selbsternannten Moralapostel?

Der Entwurf des neuen Multimedia-Gesetzes, über das der Bundestag frühestens im August beraten wird, verlangt von allen Online-Anbietern, gegen kriminelle Inhalte im Internet vorzugehen. Allerdings sollen sie nicht selbst als gewissermaßen Übergeordnete Zensurbehörde aktiv werden. Sie sollen nur dann tätig werden, wenn ihnen kriminelle Inhalte "bekannt gemacht werden und es technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern". Praktisch bedeutet das: Die Internet-Nutzer müssen den Online-Anbieter, über den sie ins Internet gelangen, auf die kriminellen Inhalte aufmerksam machen. Erst dann kann der Anbieter eventuell tätig werden. Doch wie die Kontrolle in der Praxis aussehen soll, bleibt ein Geheimnis.

Eher unwahrscheinlich ist, daß diejenigen, die sich gerade erst an kriminellen pornographischen Inhalten delektiert haben, anschließend zur Staatsanwaltschaft laufen und sich über den Unrat beschweren. Aus dieser Quelle dürften also nur wenige Hinweise für staatsanwaltschaftliche Aktivitäten kommen. Bleiben nur die selbsternannten Moralapostel und Sittenwächter - eine Vorstellung, bei der einem Angst und Bange werden könnte.

In wohl keinem zweiten Bereich sind die Gefahren des Populismus und der Doppelmoral so gegenwärtig wie beim Thema Pornographie und Rassismus im Internet. Niemand mag sich öffentlich für Kinderpornographie oder Rassismus aussprechen - auch wenn er sie anschaut. Und wer argumentiert, es sei nicht zu verantworten, Zugänge zum Internet zu sperren, setzt sich gleich dem Verdacht aus, er sei insgeheim ja ein Kinderpornograph oder Rassist.

Nach einer repräsentativen Emnid-Umfrage von Anfang 1996 befürworten 54 Prozent aller Deutschen - egal ob alt oder jung und weitgehend unabhängig von ihrer Parteipräferenz - eine generelle "Kontrolle oder Zensur in den Datennetzen". Über 80 Prozent lehnen die Verbreitung extremistischer Propaganda, harter Pornographie und gewaltverherrlichender Spiele in Online-Diensten ab. Einzige Ausnahme sind die Anhänger der Republikaner, aus durchsichtigen Gründen: 63 Prozent sind sogar bereit, "linksextremistische Propaganda" zu tolerieren. Am stärksten verlangen die Bündnisgrünen nach moralischer Aufsicht (64 Prozent), während sich bei den FDP-Anhängern Pro und Kontra (47 bzw. 46 Prozent) fast die Waage halten.

Schon jetzt ist das Internet eine Art ein weltweiter Rotlichtbezirk im Cyberspace. Der größte Teil des Angebots, an dem weltweit rund 50 Millionen Menschen teilnehmen, läßt sich der Kategorie "Schmuddelkram" zuordnen. Und in der Schmuddelkiste am Rande der Legalität finden sich unzählige, hierzulande strafbare Angebote mit Kinderpornographie, Sodomie, Gewaltverherrlichung, Werbung für Prostitution und Verharmlosung des Nationalsozialismus.

Ganz allgemein drehen sich die meistgenutzten Angebote im Internet um Sex und Pornographie. Wer zum Beispiel in der Internet-Suchmaschine Alta Vista das Stichwort "Sex" eingibt, erhält die Meldung, hierzu gäbe es "über 400 000 Angebote". Und gleich das erste, das genannt wird, heißt "Feuchte Träume (Pornographie und Sex)". Gibt man das Stichwort "Pornographie" ein, so vermeldet dieselbe Suchmaschine immer noch "über 10000 Angebote". Darunter allerdings auch eine größere Anzahl von Diskussionsgruppen, die sich kritisch mit Pornographie auseinandersetzen. Mehr als die Hälfte der Suchbegriffe, die deutsche Internet-Nutzer in die Suchmaschine Focus Netguide eingeben, kreisen um das Thema Sex.

Sucht man hingegen im Deutschen Internet-Verzeichnis Web.de unter dem Stichwort "Sex", so meldet das "nur" 125 Angebote, bei "Porno" sogar nur 11 Einträge. Das zeigt zugleich die internationale Dimension: Die überwiegende Mehrheit der Schmuddelangebote kommt aus dem Ausland und entzieht sich dem Zugriff deutscher Staatsanwälte.

Zensurversuche

Die kommerziellen Online-Dienste wie T-Online, CompuServe oder America Online (AOL) verstehen ihre eigene Aufgabe mit Fug und Recht als die technischer Dienstleister. Neben ihren eigenen Angeboten, für die sie selbstverständlich die volle Verantwortung tragen, stellen sie lediglich die Infrastruktur für den Zugang ins Internet zur Verfügung. Sie sehen es nicht als ihre Aufgabe an, von sich aus strafbare Inhalte im Internet zu sperren. Das ist auch gut so; denn wenn es Aufgabe der Online-Dienste wäre, eigeninitiativ nach strafbaren Inhalten im Internet zu suchen, so käme ihnen die Rolle einer internationalen Super-Zensurbehörde zu. Doch das Recht, Inhalte von Schriften außerhalb wie innerhalb von elektronischen Diensten zu zensieren, räumt die Verfassung selbst staatlichen Behörden nicht ein. Um so unerträglicher wäre der Gedanke, daß ein Wirtschaftsunternehmen wie ein kommerzieller Online-Dienst das Recht haben könnte, den Diskurs freier Bürger in einer von ihnen frei gewählten Kommunikationsstruktur durch Zensur zu beschränken.

Tatsächlich hat es in Deutschland einen solchen Fall ja schon gegeben. Als Ende des vorletzten Jahres in einigen Füren des Internets Kinderpornographie auftauchte und die Staatsanwaltschaft München gegen den Online-Dienst CompuServe ermittelte, schloß der nach einer Durchsuchung seiner deutschen Zentrale wegen des bloßen "Anfangsverdachts", über CompuServe könnte Material mit verbotener Kinderpornographie abgerufen sein worden, in Panik den Zugang zu 200 anrüchigen Internet-Adressen.

Überstaatsanwalt Wolfgang Heimpel damals: "Wir wissen noch gar nicht, wer der echte Anbieter ist." Darüber hinaus räumte der Strafverfolger ein, daß die deutschen Bestimmungen für die unkontrollierte Verbreitung von Daten über internationale Netze gar nicht geschaffen seien. Trotzdem betraf die Sperrung nicht etwa nur die damals 220 000 CompuServe-Nutzer in Deutschland, sie betraf ebensosehr die vier Millionen CompuServe-Kunden in aller Welt.

Dabei war man sich bei CompuServe schon damals darüber im klaren, daß der Einsatz der juristischen Keule nicht gerechtfertigt war. In einer Mitteilung zur Durchsuchung hieß es: "Allein durch die Verschaffung des Zugangs zum Internet kann ein Online-Dienst ebensowenig die Verantwortung für den Inhalt des Datentransfers übernehmen, wie die Post für den Inhalt von Briefen und Paketen, oder die Telekom für den Inhalt von Telefongesprächen."

Beschneidung des Rechts auf freie Meinungsäußerung?

Die Diskussion berührt einen zentralen Aspekt des Rechts auf freie Meinungsäußerung, der bislang in der öffentlichen Diskussion noch überhaupt nicht erörtert wurde: Der entscheidende erste Absatz von Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention lautet: "Jeder hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein."

Der durch die Europäische Menschenrechtskonvention und das Grundgesetz garantierte Rechtsschutz umfaßt nicht nur den Informationsinhalt, sondern erstreckt sich nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs auch auf die Übertragungs- und Empfangsvorrichtungen, die dafür verwendet werden. Aus diesem Grunde sind alle Beschränkungen als Eingriffe in das Recht zum ungehinderten Zugang und damit als Menschenrechtsverletzung anzusehen. Geschützt ist die Information aus allgemein zugänglichen Quellen. Und der ungehinderte Zugang hat den Rang eines Menschenrechts, das durch allgemeine Gesetze nicht beliebig einschränkbar und aushöhlbar ist.

Auf den ersten Blick mag die Vorstellung, daß der unbeschränkte Zugang zum Internet ein verfassungsrechtlich geschütztes Menschenrecht sei, vielen Menschen absurd erscheinen. Doch man sollte sich nicht täuschen. Es ist nur ein paar Jahre her, da galten überall in Europa und in Deutschland alle möglichen Beschränkungen für die Nutzer von Satellitenschüsseln: Die Post verlangte Gebühren, die Baubehörden sprachen Beschränkungen, die Denkmalsbehörde gar Verbote aus, und Vermieter konnten Satellitenschüsseln einfach verbieten. Das änderte sich radikal, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sein Urteil vom 22. Mai 1990 gefällt hatte.

Wie der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung der Informationsfreiheit betonte, liegt es nicht im unbeschränkten Ermessen von Behörden oder gar privaten Wirtschaftsunternehmen, ob sie einen Eingriff in die Informationsfreiheit für erforderlich halten dürfen oder nicht.

Wildgewordene Staatsanwälte und voreilender Gehorsam

Betroffen von der Sperrung über CompuServe waren damals auch die allerharmlosesten Veranstaltungen wie zum Beispiel Diskussionsgruppen von Homosexuellen, gegen deren ungehinderte Verbreitung kein vernünftiger Mensch irgend etwas einzuwenden haben kann - und gegen deren Verbreitung darüber hinaus selbstverständlich keinerlei rechtliche Handhabe besteht. Eine absolut aberwitzige Vorstellung, daß ein wildgewordener Staatsanwalt aus München es fertigbringen kann, durch nichts als bloße Drohung etwa amerikanischen Homosexuellen in San Francisco die Diskussion von Selbstfindungsproblemen im Internet zu verbieten.

Auch eine Newsgroup, die das Thema "Rüstungsexporte" kritisch diskutierte, wurde damals übrigens gesperrt. Der Computer hatte zwischen den Buchstaben "g" und "p" in dem Wort "Rüstungsexport" treffsicher die Buchstabenkombination "sex" erkannt und Unrat gewittert.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die pauschale Sperrung von 200 weltweiten Internet-Adressen, unter denen überdies noch vielfach unbescholtene Bürger absolut unbescheltbare Dinge erörtert haben, als ein gravierender Eingriff in das Menschenrecht auf freie Information und Meinungsäußerung zu bewerten war - und nicht bloß als eine nicht weiter tragisch zu nehmende Überreaktion der verstörten CompuServe-Geschäftsleitung.

Diese Erkenntnis scheint inzwischen auch zu den verfolgungswütigen Staatsanwälten des Münchener Landgerichts I durchgesickert zu sein, auf deren Initiative die Sperrung der Internet-Zugänge zurückging. In einem Schreiben an den CompuServe-Geschäftsführer Felix Somm erklärte die Staatsanwaltschaft jetzt, der Online-Dienst sei für die Verbreitung von Kinderpornographie im Internet strafrechtlich nicht verantwortlich. Deshalb sei "hinsichtlich sämtlicher Straftaten, die im Zusammenhang mit der Verbreitung von Schriften aus dem Internet stehen", von einer Verfolgung abzusehen.

Allerdings scheint bei den wildgewordenen Münchner Staatsanwälten die linke Hand nicht recht zu wissen, was die rechte will; denn im April klagte die Münchner Staatsanwaltschaft den Geschäftsführer von CompuServe Deutschland, Felix Somm, an, weil er die Verbreitung von kinder-, gewalt- und tierpornographischen Bilddateien aus Newsgroups des Internets "wissentlich zugelassen" habe, obwohl er sie durch "technische und organisatorische Maßnahmen [hätte] verhindern können".

Es kann ja nur mit Unbehagen erfüllen, daß Online-Dienste in vorausschauendem Gehorsam vor möglicherweise wild werdenden Staatsanwälten ganze Angebotspakete aus dem Internet herauszensieren. Wie kommen Wirtschaftsunternehmen dazu, eine Vorzensur auszuüben, die nach geltendem Verfassungsrecht staatlichen Behörden nachdrücklich untersagt ist? Seit neuestem praktiziert das der seit September vergangenen Jahres am Markt befindliche Siegburger Online-Dienst Metronet des Kaufhauskonzerns Metro: Er bietet seinen Nutzern gegen eine monatliche Gebühr von 9,99 Mark den Gratiszugang zum Internet, hat dafür über ganz freiwillig und ohne jeden Druck von Seiten der Behörden einen Firewall gegen unliebsame Inhalte aufgezogen.

Man könnte sogar Verständnis für den vorauseilenden Gehorsam des Online-Dienstes aufüringen; denn Staatsanwälte und Polizei langen zur Zeit gehörig zu. So bekam der Internet-Anbieter Eunet - mit mehr als 9000 Kunden Marktführer im weltweiten Rechnerverbund - kürzlich unliebsamen Besuch von der Polizei. Ein Internet-Nutzer hatte der Kripo anonym eine Diskette voller Pornos zugespielt und Anzeige wegen der Verbreitung pornographischer Schriften erstattet.

Stundenlang durchforsteten Fahnder in der Eunet-Zentrale in Dortmund die Kundendateien und zogen Kopien von verdächtigen Angeboten. Staatsanwalt Günter Rüter: "Die Auswertung wird zeigen, ob wir strafrechtlich relevantes Material beschlagnahmt haben." Noch während der Razzia warnte der Eunet-Anwalt Michael Schneider alle anderen Anbieter über das Internet: "Prophylaktisch alle Newsgroups, über die pornographische Inhalte verbreitet werden könnten, sperren!"

Ganz ähnlich verhält es sich bei einem Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen den Online-Dienst America Online (AOL) Bertelsmann wegen Verbreitung verbotener pornographischer Schriften eingeleitet hat. Dabei geht es nicht etwa um harmlose Softpornos, sondern um harte Kinderpornographie und Sex mit Tieren. Staatsanwalt Rüdiger Bagger: "Es muß geprüft werden, inwieweit America Online von der Verbreitung der pornographischen Schriften weiß und welche Einflußmöglichkeiten bestehen, um dieses Handeln zu unterbinden."

Dabei ist sich der Online-Dienst keiner Schuld bewußt, weil sich der Handel mit verbotener Pornographie in Bereichen des Dienstes abspielt, die als privat gelten und überhaupt nur über ein Passwort zugänglich sind." Die private Kommunikation der AOL-Mitglieder erfolgt über E-Mail oder in privaten Räumen", meint der Unternehmenssprecher Ingo Reese. "Eine Kontrolle oder Zensur der privaten Kommunikation durch AOL darf es aus rechtlichen Gründen nicht geben." Das ist zweifellos richtig; denn der E-Mail-Verkehr ist in Deutschland durch das Fernmeldegeheimnis geschützt. Und in das Fernmeldegeheimnis dürfen etwa Verfassungsschutz oder Staatsanwaltschaft ebenso wie in das Briefgeheimnis nur unter gesetzlich streng definierten Umständen eingreifen.

Dabei bewegen sich schon jetzt die sog. "Lotsen" der Online Dienste in einer rechtlichen Grauzone. Von den Inhalten der elektronischen Post erfahren die Betreiber von Online-Diensten nur, wenn ein Mitglied ihres Dienstes ihnen einen Brief oder das Protokoll eines Gesprächs zuschickt. Ansprechpartner für die Mitglieder von Online-Diensten sind in diesen Fällen Mitarbeiter des Dienstes, eben "Lotsen". Allein AOL beschäftigt rund einhundert solcher Lotsen. Sobald ein Lotse von illegalen Handlungen eines Nutzers hört, kündigt er die Mitgliedschaft. Tauchen also in einem Forum kriminelle Inhalte auf, können die Lotsen auch einem einzelnen AOL-Kunden den Zugang zum Netz sperren. Eine zweifelhafte Praxis; denn selbst wenn der Lotse in der Lage sein sollte, auf juristisch unanfechtbare Weise die Rechtswidrigkeit des Verhaltens eines einzelnen AOL-Nutzers zu beurteilen: Wieso leitet sich daraus ein Recht ab, diesem Nutzer den Zugang zu allen Internet-Angeboten zu verwehren?

Niemand käme auf die Idee, die Post dafür haftbar zu machen, daß jemand in den von ihr ausgetragenen Briefen auch strafbares Material verbreitet. Niemand hat die Telekom je auf die Anklagebank gebracht, weil Ganoven über ihre Telefone ein Verbrechen verabreden. Und niemand hat je einen Hotelbesitzer angeklagt, weil ein paar Leute in einem Hotelzimmer Bilder mit Kinderpornographie herumgereicht haben. Das Briefgeheimnis muß Briefgeheimnis bleiben, auch wenn die Briefe der Zukunft elektronische Briefe sind.