Verfahren wegen Bombenangriff in Kundus 2009 soll weitergehen

Anwalt kündigt Verfassungsbeschwerde an. BGH sieht keine Verantwortung beim damaligen Bundeswehr-Oberst Georg Klein

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Rechtsstreit um Entschädigungen für einen Bombenangriff mit etwa 100 Toten im nordafghanischen Kundus geht auch nach der Ablehnung (Az.: III ZR 140/15) der Forderungen durch den Bundesgerichtshof (BGH) weiter.

Hintergrund des Verfahrens ist das Bombardement von zwei Tanklastwagen im September 2009 in Kundus, das der damalige deutsche Oberst Georg Klein befohlen hatte. Zwei Angehörige wollen den inzwischen zum General beförderten Militär wegen Verletzung seiner Amtspflicht haftbar machen. Klein hätte erkennen müssen, dass bei dem von ihm angeordneten Angriff Zivilisten zu Schaden kommen können. Zwei Hinterbliebene aus Afghanistan fordern daher insgesamt 90.000 Euro Schadenersatz. Der Opferanwalt Karim Popal kündigte nach dem Urteil in dritter Instanz von Donnerstag Verfassungsbeschwerde an. Zuvor hatte das Landgericht Bonn (11. Dezember 2013 – 1 O 460/11) die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht Köln (30. April 2015 – 7 U 4/14) lehnte eine Revision ab.

Die Opferanwälte – anhängig ist neben dem Verfahren in Deutschland eine weitere Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – argumentieren, Klein hätte den Schaden von Zivilisten fahrlässig oder gar mutwillig in Kauf genommen. Sie führen unter anderem Protokolle von Funksprüchen an, die belegen, dass die US-Kampfpiloten einen Angriff hinterfragten und abwenden wollten. Auch hätten Klein Infrarotbilder vorgelegen, die auf die Präsenz einer großen Menschenmenge hätten schließen lassen müssen.

Der BGH lehnte die Klage jedoch aus grundsätzlicheren Erwägungen ab: Das deutsche Amtshaftungsrecht sei nicht auf Auslandseinsätze der Bundeswehr anwendbar. Der Vorsitzende Richter Ulrich Hermann führte aus: "Das Handeln eines Beamten kann nicht mit dem eines Soldaten in einer Gefechtssituation gleichgesetzt werden."

Der Anwalt des in Deutschland anhängigen Verfahrens, Popal, will den Prozess weiter betreiben – "bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte". Die Frage der grob fahrlässigen Handlungsweise des damaligen Befehlsgebers Oberst Klein sei in den vorherigen Instanzen verneint worden. Der Vorschlag der US-Piloten, die Menge im Tiefflug auseinander zu treiben, sowie widersprüchliche Berichte über die Personen vor Ort seien nicht beachtet worden. "Die Hinterbliebenen sind sich sicher, dass mittlerweile dieses Verhalten der Bundesrepublik Deutschland, sich nicht für die Toten zu entschuldigen und auch keinen Schadenersatz zu leisten, in Afghanistan den Hass auf Deutsche fördert" so Popal.

Zweierlei Maß

Der Fall Kundus zeigt zugleich die Widersprüche in der Wahrnehmung von Kriegen und Kriegsverbrechen auf. Denn während die Bundesregierung eine Entschuldigung ablehnt und juristische Instanzen Forderungen nach Entschädigung abweisen, sprachen Vertreter der Regierungskoalition im Fall des jüngsten Angriffs auf einen Hilfskonvoi in Syrien unmittelbar von einem Kriegsverbrechen – weil eben Zivilisten ins Visier genommen wurden.

Diese Position machte sich am Donnerstag auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu eigen. Sie bekräftigte, der Angriff von Kundus sei "kein Kriegsverbrechen, keine Verletzung des Völkerrechts" gewesen. Eine Pflicht zur Entschädigung der Opfer sei "mit Recht verneint" worden: "Denn die Amtshaftung ist ersichtlich nicht für den Krieg geschaffen worden, ganz abgesehen davon, dass Deutschland mit einer solchen Entschädigungsregel weltweit einzigartig dagestanden hätte. Im Übrigen hat die Bundesregierung den Familien der Opfer freiwillig eine Art finanzieller Genugtuung geleistet."

Die Weigerung, eigene Kriegsverbrechen anzuerkennen, betrifft im Übrigen nicht nur die jüngsten Militärgeschichte, sondern vor allem auch Taten im Zweiten Weltkrieg. 1995 antwortete die deutsche Botschaft in Athen einem Überlebenden des Massakers von Distomo, dessen Familie 1944 von Wehrmachtssoldaten ermordet wurde, das Massaker sei eine "Maßnahme im Rahmen der Kriegsführung" gewesen, ein Anspruch auf Entschädigung bestehe daher nicht.