Wenn Journalisten eine terroristische Zelle werden
Die türkische Regierung geht mit Festnahmen und Schikanen gegen kritische Journalisten vor
Vor der Präsidentenwahl war der damalige islamistische Kandidat Erdogan mit wüsten Drohungen gegen die Opposition hervorgetreten, die er als Verschwörer aus dem Ausland diffamierte. Viele Oppositionelle überlegten gar, auszuwandern, weil sie die Drohungen ernstnahmen. Nach Erdogans Wahlsieg schien sich die Situation etwas zu beruhigen.
Selbst der Publizist Deniz Yücel, der einer der in den letzten Monaten profiliertesten Verteidiger der türkischen Opposition war, gab in seiner Bilanz der 100tägigen Amtszeit von Erdogan leichte Entwarnung. Der heutige Präsident ist ihm keineswegs sympathischer geworden. Doch in dem Text war auch das Bemühen zu erkennen, Erdogan nun nicht zu "dämonisieren":
Nun, dass Erdogan bloß den Grüßaugust abgeben würde, war nicht zu erwarten. „Auch diejenigen, die mich nicht gewählt haben, haben heute gewonnen“, sagte er bei seiner Balkonrede am Wahlabend Mitte August und kündigte an, er werde künftig mit seinen Gegnern zusammenarbeiten. Eigentlich sind das bloß die bei solchen Anlässen üblichen Phrasen, die aber nur deshalb aufhorchen ließen, weil man von ihm ganz anderes kannte.
Doch nun scheint es so aus, als setze Erdogan und die AKP-Regierung die Drohungen gegen die Opposition um. Bei einer landesweiten Razzia am Wochenende wurden in 13 türkischen Städten zunächst 32 Menschen festgenommen. 14 bleiben auch weiterhin in Haft. Neben Polizeioffizieren handelt es sich dabei vor allem um Journalisten, denen die Regierung und Staatsanwaltschaft vorwirft, eine terroristische Zelle zum Sturz der Regierung gegründet zu haben.
Gegen linke Opposition wurden solche Vorwürfe schon lange erhoben
Nun mag der Vorwurf, Journalisten würden eine terroristische Vereinigung bilden, wenn sie kritisch über die Regierung berichten und über Korruptionsfälle informieren, als besonderer Ausbund von Willkür gelten. Doch dabei wird vergessen, dass seit Jahrzehnten gegen Zeitungen der linken und kurdischen Opposition mit diesem Konstrukt vorgegangen wird.
Zahlreiche Journalisten haben teilweise jahrelang im Gefängnis gesessen, weil ihnen vorgeworfen wurde, mit ihren Artikeln als terroristisch erklärte linke oder kurdische Organisationen unterstützt zu haben. Dabei haben sie in ihren Artikeln die inkriminierten Organisationen oft nicht einmal genannt. Sie haben vielmehr über die Repression, die Situation in den Gefängnissen, über soziale Missstände und Proteste berichtet.
Weil sie damit die gleichen Themen wie die inkriminierten Organisationen angesprochen haben, wurden die Journalisten ebenfalls zu Terroristen erklärt und verurteilt. Kaum jemand aus den Organisationen, die das aktuelle Vorgehen gegen Journalisten in der Türkei kritisieren, hat damals protestiert. Zudem könnte es nicht nur in der Türkei passieren, dass jemand nur wegen eines Artikels in die terroristische Ecke gesteckt wird.
In Brüssel und auch in Deutschland wurden Aktivisten der türkischen Menschenrechtsorganisationen nach Anti-Terrorparagraphen wie den 129b verurteilt, denen nur nachgewiesen wurde, dass sie über politische Repression in der Türkei und den Widerstand dagegen berichtet haben.
Abrechnung unter Islamisten
Am Sonntag wurde allerdings mit vermeintlichen Anhängern der islamistischen Gülen-Bewegung abgerechnet. Lange Jahre kooperierte diese ultrakonservative, prokapitalistische Bewegung mit der AKP gegen die kemalistischen Reste in den türkischen Staatsapparaten. Schließich ist es noch nicht so lange her, dass sowohl das türkische Militär als auch die Justiz der islamistischen Regierung mit einem Sturz drohte.
Nachdem der Elitentausch vollzogen war, begann der Streit innerhalb der islamistischen Bewegung. Neben dem Zwist um die Aufteilung der Pfründe gibt es vor allem in außenpolitischen Fragen Differenzen zwischen der AKP und der Gülenbewegung Während letztere eng mit den USA kooperiert, versucht sich Erdogan mit antiwestlicher Rhetorik in der arabischen Welt beliebt zu machen.
Da es lange Zeit eine enge Kooperation zwischen der Gülenbewegung und der AKP gab, wurden nach dem Bruch viele Dinge öffentlich, die der türkischen Regierung sicher nicht angenehm sind. Da ging es um Korruption bis hinein in die Erdogan-Familie, aber auch um die Methoden, mit denen beide lange Jahre gegen die kemalistischen Kreise im Staatsapparat vorgegangen sind.
Die der Gülenbewegung nahestehenden Medien, wie die in der Türkei vielgelesene Zeitung Zaman, waren in den letzten Monaten gefüllt mit solchen Details aus dem islamistischen Staatsapparat. Mit der Razzia vom Sonntag will die AKP-Regierung diese Enthüllungen stoppen und rückt sie in die Nähe des Staatsverrats. In der Türkei protestierten die Betroffenen, aber auch Politiker der kemalistischen Opposition gegen die Repression.
Doch von der außerparlamentarischen Bewegung, die im letzten Jahr die Gezi-Park-Proteste initiiert hatten und sich dann auf das ganze Land ausbreiteten, ist wenig zu hören. Einerseits wird die Gülen-Bewegung kaum als Kooperationspartner gesehen. Zudem ist die Bewegung zurzeit geschwächt, was die geringen Reaktionen auf die Räumung des populären Stadtteilzentrums Caferağa in Istanbul vor einigen Tagen zeigte.
Selektive EU-Kritik
Kritik an dem Vorgehen gegen die Gülenbewegung kam aus den USA. Auch die EU monierte, dass die Freiheit der Medien verletzt würde. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn mahnten die Achtung der Unschuldsvermutung und anderer Verfahrensrechte an.
Doch die Kritik wäre überzeugender, wenn sie auch laut würde, wenn linke oder kurdische Journalisten nach Terroristenparagraphen in der Türkei und in anderen europäischen Ländern verurteilt werden und wenn auch die von der spanischen Regierung geplante massive Einschränkung demokratischer Rechte Gegenstand der Kritik würde. Der Spanienkorrespondent der Taz Reiner Wandler schildert, wie ein geplantes Gesetz auch Veröffentlichungen im Internet erschwert.
Videos und Fotos zeigten, dass die Gewalt von eingeschleusten Provokateuren ausging. Von einem, der von seinen uniformierten Kollegen verprügelt wurde, zirkulierte ein Video, in dem dieser laut ruft: "Hört auf, verdammt, ich bin ein Kollege!"
Künftig aber wird es wesentlich schwieriger, Videos, Filme oder Fotos in Umlauf zu bringen, die die Polizei bei der Arbeit zeigen und sich etwa despektierlich äußern. Auch dafür drohen Bußgelder bis zu 600.000 Euro. "Ein neues Gesetz in Spanien soll die sozialen Proteste unterbinden. Es scheint, als wolle sich die EU eine Demokratie nicht mehr leisten“, kommentierte Wandler.