Where They May Roam
Die Metal-Megaseller Metallica und das Merchandise-Wunder Guitar Hero
Ach Metallica. Was ist nur aus dir geworden? Einstmals die Stimme der Zurückgelassenen, der Außenseiter, der Unverstandenen, der Pubertierenden. Die Stimme der pickeligen, blasshäutigen und fetthaarigen Jungs, die keiner haben wollte und die selbst nicht wussten, wo sie hingehören. Metallica waren ihre Helden, sie waren ihr Sprachrohr: Vier dürre, langhaarige Rocker aus den Staaten, die es nicht nur schafften, die eigene Teenage Angst in markige, leicht memorisierbare Einzeiler zu kleiden („I was me, but know he’s gone“), sondern die auch vom konservativen Bürgertum als die Antichristen, als Moralzerstörer der Jugend gebrandmarkt wurden. Ein Qualitätsmerkmal, dass heute keine Gültigkeit mehr hat und in einem weiteren Teil der Guitar-Hero-Saga kulminiert: Guitar Hero - Metallica vereint die Ambivalenz von Band und Spielserie gleichermaßen.
Guitar Hero ist ein geeigneter Ort für die alternden Metal-Repräsentanten von Metallica. Die Reihe bietet einen idealen Tummelplatz für alle jene Formationen, die schon längst ihren Zenith überschritten haben und die einfach immer weiter machen müssen – weil nichts schlimmer als das Aufhören ist. In Guitar Hero werden Metallica virtualisiert, erstarrt im Gestus der ewigen Jugendrebellen, die in den 80ern und 90ern aus Kassettenrekordern krakelten und von Postern in unaufgeräumten, miefigen Jugendhöllen grimmig blickend eine ganze Subkultur überstrahlten. Dann kam Mitte der 90er der Fall und Metallica wurden zum Inbegriff des Sell-Out, des Verrats an der Sache an sich. Inzwischen sind Metallica die Rolling Stones des Metal: Sie konservieren lieb gewonnene Erinnerungen an die eigene Adoleszenz und dürfen für die Spielzeit eines Albums oder eines Konzertes noch einmal als Jungbrunnen fungieren, während das Publikum den vergangenen Zeiten nachsinniert. Erinnerungen sind ein lukratives Geschäft.
Spätestens seit der Seelenstriptease-Show Some Kind of Monster war klar, was aus den Übervätern des Heavy Metal geworden ist: Eine Geldmaschine, die gesteuert wird von einem Triumvirat aus Mega-Egoisten und welche den Plattenfirmen sowie Merchandise-Händlern nach dem Ablegen der ruppigen Garagen-Riffs der Anfagstage die Kassen flutet. Metallica heute, das sind gut situierte Väter und Freizeit-Highway-Rowdies, die eine Armada an Betreuern und Helfern brauchen, um überhaupt ein paar halbgare Songs zusammenzubasteln. Resistent gegen jede Änderung ihres Geschäftsmodells, haben es die drei übrig gebliebenen Metal-Veteranen durch ihr Gerichtsverfahren gegen Napster auf die Spitze getrieben und damit sich selbst als weltfremd und nicht sonderlich jugendaffin ausgeknockt. Doch sie stehen immer wieder auf.
Diesmal wiederholen sie nicht noch einmal denselben Fehler. Die Jugend daddelt Musik auf den Konsolen? Damit kann man Geld verdienen? So steht nun Guitar Hero - Metallica in den Läden und jeder Hobby-Subversive, der schon immer mal auf das Rock-am-Ring-Festival wollte darf nun Hatfield, Hemett oder Ulrich sein. Am Mikro, an der Gitarre, hinter dem Schlagzeug. Die Gassenhauer sitzen. Kaum beginnt der erste Ton werden die alten Synapsen reaktiviert und die Worte strömen aus dem Kopf. Metallica haben der Jugend für fast drei Dekaden aus der Seele gesprochen und ihre einfachen Lebensweisheiten in die Köpfe eingebrannt: „I’m inside, open your eyes“, „Life it seems to fade away, drifting further every day“. Das kennt man noch alles, weil es damals, vor langer Zeit, irgendwie Bedeutung hatte.
Mit diesem Erfolg, der Metallica ab Mitte der 90er in die Stadien der Welt beförderte, hatte kaum einer gerechnet. Das gilt gleichfalls für Guitar Hero. Einzig ein paar hartgesottene Nerds aus der Konsolenecke waren begeistert, als ein Spiel mit einem Gitarrenkontroller angekündigt wurde – die restliche Welt nahm keine Notiz. Doch dann kam der Erfolg, der Zusammenschluss von Chart-Pop und Karaoke zu SingStar hatte die Bühne für Guitar Hero vorbereitet und die Programmierer von Harmonix trafen einen Nerv mit ihrem pompösen Peripheriegerät voller phalischer Energie. Denn wer nicht auf Schlager, R’n’B oder Charts steht, der MUSS Gitarren mögen. Harte Gitarren. Oder eben Plastikgitarren. So wurde aus einem anfänglichen Nerd-Kult schnell ein Massenprodukt. Wurden in dem ersten Guitar Hero für die PlayStation 2 lediglich Cover integriert, da die Plattenfirmen ihre wertvollen Archive für so einen Unfug nicht öffnen wollten, reißen sich heute die Labels um eine Teilnahme. Da werden auch gerne einmal Songs zum Runterladen für 1,99 Euro verkauft – mehr als ein Drittel des Preises eines legalen MP3-Downloads. Zudem ist das Stück außerhalb des Spiels nicht zu verwenden – Pirateriebekämpfung ohne Image-Schädigung, das ist ganz nach dem Geschmack der Plattenfirmen. Die Musikindustrie hat endlich ihr Eldorado gefunden.
Die unterschiedlichen Karrieren von Videospielen, die einstmals als ein abwegiges Hobby von unsozialen Computerfreaks angesehen wurden und Metallica, den früheren Antipoden der christlich geprägten Konsumwelt haben durchaus Ähnlichkeiten. Auf dem Weg aus den Niederungen des Untergrunds ins grelle Licht der Verkaufsschlager haben sich die beiden getroffen und bilden eine perfekte Symbiose, ein lautes und nachhallendes Crescendo des Kommerzes, ein Monument für den Triumph der Subkultur über den Mainstream – oder vielleicht doch für die Assimilation und Nivellierung der Subkultur durch den Mainstream. Guitar Hero - Metallica ist ein ambivalentes Symbol für den Status Quo zwei so unterschiedlicher Bewegungen wie Metal und Videospiele. Und während in moderater Lautstärke „For Whom the Bell Tolls“ aus den Boxen wabbert und die Tasten auf einem bizarren Plastikgerät gedrückt werden dämmert der thirty-something-Generation die Erkenntnis: Eigentlich ist man zu alt für den Scheiß. The old man here is me. Sad but true.