Zirkus um Ernennung von Mario Draghi zum EZB-Chef

Erwartungsgemäß wird der Italiener zum EZB-Chef, womit die PIGS-Staaten nun in der Notenbank den Ton angeben

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Nach dem Debakel um den designierten deutschen Vorsitzenden der Europäischen Zentralbank (EZB) Axel Weber ist auf dem EU-Gipfel heute der Italiener Mario Draghi gewählt worden. Das hat der ständige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy heute getwittert. Draghi soll erwartungsgemäß ab November den Franzosen Jean-Claude an der EZB-Spitze der Notenbank ablösen und sie für acht Jahre führen, die immer mehr zu einer Art Bad-Bank für Staatsanleihen von Pleite-Staaten verkommt.

Ohne den üblichen EU-Zirkus ging auch diese einfache Ernennung nicht über die Bühne und wurde zur Polit-Posse. So stand die Personalfrage schon gestern auf der Gipfel-Tagesordnung. Doch Frankreich hatte eine Entscheidung blockiert, schließlich wäre das Land im künftigen Direktorium nicht mehr vertreten gewesen, während der europäische Schuldenmeister gleich zwei Vertreter gestellt hätte. Deshalb musste der Punkt von der Tagesordnung genommen werden. Zuerst musste Lorenzo Bini Smaghi dazu gedrängt werden, seinen Posten "freiwillig" zu räumen. Doch im gewohnten EU-Geschacher wollte Smaghi nur weggelobt werden. Seinen Stuhl in Frankfurt wollte er nur räumen, auf dem er bis Mai 2013 sitzen wollte, wenn er einen ihm genehmen anderen Posten erhält.

Mit Draghi an der Spitze ist die Zentralbank noch deutlicher in die Hände von Schuldenländern gewandert. Italien, beim Schuldenmachen in absoluten Zahlen unübertroffen und im Verhältnis der Wirtschaftsleistung nur von Griechenland geschlagen, steht bald der Zentralbank vor. Vizepräsident ist mit Vitor Constantio ein Vertreter des schon abgestürzten Portugals. Zudem hat gerade der Vertreter des verdampfenden Belgiens, Peter Praet, die Österreicherin Gertrude Tumpel-Gugerell im Direktorium abgelöst. Damit ist das wieder ein reiner Männerclub. Das solider wirtschaftende Österreich wird vom Vertreter eines Landes abgelöst, das auf der Schuldnerliste direkt hinter Italien auf dem dritten Platz steht.

Das zerfallende Belgien hält zudem den Weltrekord einer politischen Krise, denn es hat seit mehr als einem Jahr keine Regierung mehr, während die Zeitbombe Italien sich ohnehin in der berlusconischen Dauerkrise befindet. Dass im sechsköpfigen Rat zudem noch ein Vertreter des abstürzenden Spanien sitzt, macht deutlich, dass die PIGS-Staaten (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien) nun in Frankfurt den Ton angeben. Konsequent hätte man einen Griechen oder Iren statt einen Franzosen in den erlauchten Club wählen müssen. Schließlich sitzt dort mit Deutschland, das eigentlich den Club nun hätte leiten müssen, ein weiterer Schuldensünder. Denn Deutschland steht auf der Schuldenliste direkt hinter Portugal.

Zudem wird mit Draghi ein gestandener Neoliberaler das Amt übernehmen. Dass der Wirtschaftsprofessor ausgerechnet in seiner Zeit bei der US-Investmentbank Goldman Sachs Griechenland dabei geholfen haben soll, einen Teil seiner Staatsschulden zu verschleiern, weist ihn ebenfalls nicht als geeigneten Kapitän eines Schiff aus, dass sich leckgeschlagen in der stürmischen See befindet.

Auf ähnlichem Niveau sind auch die Beschlüsse vom Gipfel zu Griechenland, für das Draghi demnächst in der Troika erneut zentral an der Weichenstellung beteiligt sein wird. Dem zweiten Nothilfeantrag des Landes hat der Gipfel in Brüssel am späten Donnerstag zugestimmt. Es zeichnet sich schon ab, dass die EU auch das Soforthilfepaket von 12 Milliarden Euro aufbringen wird, um die sofortige Pleite zu vermeiden, wenn sich der Internationale Währungsfonds (IWF) wie angekündigt weigern sollte, die nächste Tranche aus dem ersten Rettungspakets über 110 Milliarden Euro auszuzahlen.

Der Weg für die nächsten 120 Milliarden wurde dann ebenfalls grundsätzlich frei gemacht. Damit wird Zeit teuer erkauft, damit sich Banken, Rentenfonds und Versicherungen aus dem Land weiter zurückziehen können, bevor die unabwendbare Umschuldung mit Schuldenschnitt dann wohl 2013 oder 2014 erfolgt. Bis dahin hat man die Lasten fast vollständig auf die Steuerzahler über die beiden Nothilfepakete und die umstrittenen Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB auf die Steuerzahler abgewälzt. Die Auflage, dass Griechenland dafür ein weiteres hartes Sparpaket umsetzen muss, ist eine leere Drohung. Gefordert wird, dass das griechische Parlament das umstrittene Spar- und Privatisierungsprogramm der Regierung mit einem Gesamtvolumen von 78 Milliarden Euro beschließen muss.

Dabei werden die Milliarden auch fließen, falls die Opposition, wie angekündigt, die Zustimmung verweigert und die Sozialisten wie in Portugal über das Sparpaket stürzen. Die rechte Opposition wendet sich vor allem gegen die weiteren Steuererhöhungen und die Kreativität der Regierung, neue Steuern zu erfinden. Die werden das Land, das ohnehin tief in der Rezession hängt, wohl für lange Zeit versenken.

Die EU muss ohnehin zahlen, denn sonst wird es noch viel teurer. Auch Spanien würde sehr schnell unter den Rettungsschirm getrieben und für das noch größere Italien würde es eng und damit auch für den Euro als Projekt. Denn die EU hat sich in der Griechenland-Krise unter der Führung Berlin-Paris derart in die Sackgasse manövriert, dass sie mit allen Mitteln eine "ungeordnete Staatsinsolvenz" verhindern muss, vor der sogar Finanzminister Wolfgang Schäuble schon gewarnt hatte.

Deshalb wurde sogar die Forderung Schäubles nach einer mickrigen Beteiligung privater Gläubiger beerdigt, weil die Ratingagenturen gedroht hatten, das Land mit D für "default" (Ausfall) zu bewerten wollten. Das hätte zu Folge, dass die sogenannten Kreditausfallversicherungen (CDS) ausgezahlt werden müssten. Es würde sich zeigen, dass es sich dabei mehr um ein Spekulationsvehikel handelt, weil viele Anbieter nicht in der Lage wären, die versicherten Summen zu zahlen. Befürchtet wird, dass es deshalb - wie nach der Lehman-Pleite 2008 – zu unvorhersehbaren Turbulenzen an den weltweiten Finanzmärkten kommen könne.

Es zeigt sich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel das gesamte Debakel ihrer schlingernden Amtsführung auf die Füße fällt, weil sie offenbar von Ökonomie nichts versteht, wie Ex-Finanzminister Oskar Lafontaine unkt. So hatte sie keinen Kandidaten mehr für den EZB-Chefposten, weil sie Axel Weber mit ihrer Politik vergrault hat. Sie kann sich vom IWF in der Griechenland-Frage mit der nächsten Tranche erpressen lassen, weil sie die Washingtoner Finanzorganisation einst gegen alle Widerstände in die Nothilfe einbinden musste. "Billig wird teuer", lautet eine Redewendung in Spanien und so müssen nun mindestens 120 Milliarden Euro nachgeschoben werden, weil der Crash-Kurs das Land sogar noch weiter in die Schuldenfalle getrieben hat. Sie kann sich von Ratingagenturen mit einem unsicheren Finanzmarkt erpressen lassen, weil sie ihre Vormachtstellung in der EU nutzt, um eine zweifelhafte Griechenland-Politik durchzudrücken anstatt sie zu nutzen, um die Macht der Ratingagenturen zu beschneiden.

Deshalb ist die EU auch bei der Regulierung der Finanzmärkte nicht weitergekommen. Sogar der IWF hält das System für vielleicht noch anfälliger als vor der Krise. Deshalb brauchen sich die Griechen in ihrem Theater mit Laien-Schauspielern eigentlich keine Sorgen zu machen. Wer Angst vor den Turbulenzen wegen Fälligkeit von CDS hat, hat Panik vor den Folgen einer Staatspleite im Euroraum und wird alles tun, um sie abzuwenden. Letztlich würde es, wenn das Sparpaket in Athen scheitert, zwar etwas rumpeln, doch dann müsste wohl die reale Umschuldung auf die Tagesordnung gesetzt werden. Damit würde es insgesamt für alle (besonders für Steuerzahler) billiger werden. Denn beim derzeitigen Kurs ist nicht absehbar, wie teuer das noch wird, weil wohl auch Portugal und Irland demnächst die Nothilfe 2.0 beantragen müssen.