Oktoberfest Attentat: "Der blinde Fleck"

Der Polit-Thriller geht den Zweifel an der offiziellen Version der Ereignisse nach und zeigt die dunkle Seite des Staates

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Die Aussage eines Mannes, dessen Kinder am 26. September 1980 auf dem Münchner Oktoberfest in den Tod gerissen wurden (aus einem Dokumentarfilm, ab Minute 39):

"Er hat geblutet, aber ich habe keine Wunde gesehen. Er hat gesagt: Papa, mir ist kalt. Dann hat jemand den Jungen mitgenommen. Dann habe ich weitergesucht und kam an diese Stelle. Hier war ein Bratwurststand. Und da lehnte meine Tochter. Bei ihr war alles offen und herausgerissen. Dann hat sie gesagt: Papa, hilf mir, es tut so weh. Dann hat sie ihre Augen zugemacht und sie war tot."

Neben diesen beiden Kindern starben noch 11 weitere Menschen, 211 wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Über 30 Jahre sind seit dem Attentat vergangen, das ist eine lange Zeit. Laut dem staatsoffiziellen Narrativ war für den Anschlag ein Einzeltäter verantwortlich: Gundolf Köhler, ein Student mit Verbindungen zur rechten Wehrsportgruppe Hoffmann (ein ausführliches Interview mit Hoffmann findet sich hier), soll die Bombe alleine gebaut und gezündet haben - zu diesem Ergebnis kamen damals die Behörden.

Zweifel an der offiziellen Version

Zweifel tauchten schon früh auf. Ulrich Chaussy, ein Reporter beim Bayerischen Rundfunk (BR), recherchierte in dem Fall vor Ort, sprach mit Zeugen, schließlich wurden ihm auch die Ermittlungsakten zugespielt. Bereits 1985 verwies Chaussy in seinem Buch "Oktoberfest. Ein Attentat" auf die Widersprüche in den Ermittlungen.

Wie schwer sich Teile des Staates tun, wenn es darum geht, einen Fall neu zu überdenken, bestätigt sich auch beim Oktoberfestattentat: Es sollten weitere 28 Jahre vergehen, bis 2013 endlich Bewegung in den Fall kam - nicht zuletzt auch durch den unermüdlichen Einsatz von Chaussy. Seine Recherchen, seine Arbeit, die er als Journalist in dem Fall geleistet hat, verdienen alle Anerkennung. Seine Rolle im Fall wurde verfilmt, der Film kommt diese Woche in die deutschen Kinos, er heißt: "Der blinde Fleck“.

Szenenbild
(Bild: Foto: Ascot Elite)

Die Zeit ist günstig, um sich dem komplexen Stoff anzunehmen. Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September hat sich ein Wissen in der Gesellschaft verbreitet, das notwendig ist, um die Zusammenhänge und Vermutungen, die die Hintergründe des Oktoberfestattentats umgeben, besser zu verstehen.

Untergrundarmeen und das Wissen über verdeckte Kriegsführung

Man muss heute nicht lange lesen, um in den Foren der großen Medien bei entsprechenden Artikeln auf Begriffe wie Strategie der Spannung, Stay-Behind-Organisationen, Tiefenpolitik, Tiefer Staat, oder "Operationen unter falscher Flagge" zu stoßen. Hinter ihnen verbirgt sich ein ganzer Komplex an Wissen, das sich, bei richtiger Anwendung, wie eine Art Schablone um bestimmte Fälle und Anschläge legen lässt.

Während sich heute bereits Arbeitsgemeinschaften von Schülern an Gymnasien mit den Hintergründen der "verdeckten Kriegsführung" im Unterricht auseinandersetzen und ganz im Sinne einer gesellschaftspolitisch-kritischen Schule im Rahmen einer Schulexkursion bis in den Gerichtssaal vordringen, in dem der Prozess gegen die ehemalige RAF-Terroristin abläuft, bleibt so manchem hochgestandenen Staatsanwalt, der beim Oktoberfestattentat ermittelt hat, wie Klaus Pflieger, dem ehemaligen Generalstaatsanwalt, nur noch zu sagen:

"Das Einzige was mir in den ersten drei Monaten in denen ich selber unmittelbar vor Ort an den Ermittlungen hier in München beteiligt war…aus heutiger Sicht gefehlt hat, das war der Hinweis auf Gladio, der erst später aufkam. Das hätte man damals schon miteinbinden können, aber das ging der ganzen Welt so, das Gladio damals noch kein Begriff war."

Es mag sein, dass den Ermittlern damals die Untergrundarmeen der Nato nicht bekannt waren, schließlich erfuhr auch die Öffentlichkeit erst 1990 von deren Existenz, als der italienische Premierminister Giulio Andreotti Gladio erwähnte. Aber: Hätten die eklatanten Widersprüche, die das Attentat umgeben, nicht auch unabhängig von dem Wissen der Stay-behind-Strukturen der Nato den Ermittlern auffallen müssen?

Ungereimtheiten

Wie groß die Ungereimtheiten im Fall des Anschlags auf das Oktoberfest sind, davon kann sich der Kinozuschauer die Tage dann selbst ein Bild machen.

"Er bekommt den Auftrag, über das Oktoberfest-Attentat, bei dem am 26. September 1980, 13 Menschen starben und mehr als 200 verletzt wurden, zu berichten. Zunächst plant er nur einen kleinen Beitrag, doch dann stößt er auf Widersprüche und Ungereimtheiten. So erfährt er beispielsweise im Gespräch mit Zeugen, dass diese mehrere Personen am Tatort gesehen haben.

Von offizieller Seite scheinen bestimmte Hinweise aber nicht weiter verfolgt zu werden und später verschwinden Beweismittel aus der Asservatenkammer. Fortan verwendet Chaussy all seine Energie darauf, den Geschehnissen auf den Grund zu gehen und die Wahrheit ans Licht zu bringen und macht dies zu seiner Lebensaufgabe. Unterstützt wird er dabei von Werner Dietrich (Jörg Hartmann), dem Anwalt der Opfer. Auch er glaubt nicht, dass ein Einzeltäter für den Anschlag verantwortlich gewesen sein soll."

Erste Reaktionen auf den Film

Die ist der Pressemitteilung zum Film zu entnehmen; bei qwertz.net ist eine Zusammenfassung darüber zu lesen, was der Film, wie auch der Einsatz von Opferanwälten und Recherchen weiterer Journalisten in der jüngsten Zeit bereits bewegt haben - und das ist gar nicht so wenig:

"Am 11. Juni 2013 lädt Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) die Landtagsabgeordneten und Medienvertreter zu einer Vorführung von DER BLINDE FLECK- Täter. Attentäter. Einzeltäter in den Plenarsaal des Bayerischen Landtags.

Auf der anschließenden Podiumsdiskussion mit BR-Journalist Ulrich Chaussy, Innenminister Joachim Herrmann, Hauptdarsteller Heiner Lauterbach und Regisseur Daniel Harrich, fordert Chaussy Innenminister Hermann auf, die Spurenakten des Verfahrens, deren Existenz jahrelang geleugnet wurde, endlich ungeschwärzt für den Anwalt der Attentatsopfer zur Einsicht freizugeben. Joachim Herrmann, der zuvor unter dem Eindruck des Films eingestanden hatte, dass es bei den Ermittlungen 1980 erhebliche Fehler gab, sagte daraufhin zu, die Akteneinsicht zu ermöglichen.

Herbst 2013: Das Bayerische Landeskriminalamt bereitet die Spurenakten zum Oktoberfestattentat auf.

Dezember 2013: Der Opferanwalt Werner Dietrich bekommt erstmals die versprochene Einsicht in die Spurenakten – mehr als 8.000 Seiten Papier.

Januar 2014: Einer der Hauptverdächtigen der Ermittlungen von 1980, Karl Heinz Hoffmann, Gründer der nach ihm benannten Wehrsportgruppe, stellt bei der Kriminalpolizei Bamberg Anzeige gegen Walter B., einen ehemaligen V-Mann des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz in seiner Gruppe. Hoffmann ist offenkundig von der durch den Film “Der blinde Fleck” entstandenen Diskussion um die Hintergründe des Attentats beunruhigt.

Januar 2014: BND Akten zum Oktoberfestattentat werden von der Redaktion Kontrovers erstmals veröffentlicht. Darin deuten sich Kontakte der Wehrsportgruppe Hoffmann zu rechtsradikalen Gruppierungen in Italien an."

Wenn man bedenkt, dass die Öffentlichkeit derzeit auch die vielen "Pannen" und Merkwürdigkeiten im Hinblick auf die Ermittlungen rund um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) diskutiert und sich so ihre Fragen stellt, dürfte der Film auf ein sensibilisiertes Publikum treffen.

Mit "Der blinde Fleck" ist ein deutscher Polit-Thriller zu erwarten, der den Spot auf die dunkle Seite des Staates richtet. Mit dem Film setzt der Regisseur und Produzent Daniel Harrich ein Zeichen: Das Oktoberfestattentat, auch wenn es schon über 30 Jahre her ist, ist nicht vergessen. Die Frage nach den möglichen Hintermännern steht noch immer im Raum.