Gamification - Keine Zeit für Spiele

Die Digitalen im Gespräch mit Ibo Mazari. Spiele zur Beschäftigung mit Produkten und Brands sind en vogue, aber sie führen nicht immer ans Ziel. Und sie erhalten auch wenig Unterstützung aus der Computerspieleindustrie

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In den letzten 20 Jahren haben sich drei Arten von Spielertypen herausgebildet. Coregamer, Casual Gamer mit den "kleinen Spielen Zwischendurch" und Nutzer von Apps wie Angry Birds. Aber am Bildschirm spielen nicht mehr nur Gamer. Eine Verspielung hat als Marketingtrend Einzug gehalten und soll die Beschäftigung mit dem Produkt und dem Brand verstärken.

Dabei sind Spiele nicht immer als solches zu erkennen. Auch zum Beispiel Frequent Flyer Miles mit ihren verschiedenen Levels wie Gold, Silver oder HON (bei Miles & More) lassen sich in diese Kategorie rechnen. Oder die Produktbewertungen bei Amazon, die mit ihren Rankings der Tester und Bewerter eine eigene Verspielung integrieren. Exzessives Shopping ist auch unter Gaming zu verstehen. Verschiedene Level (Karten) etablieren sich und belohnen, und Zalando arbeitet in seiner Werbung klar auf den spielerischen Aspekt zu, auch wenn es vielleicht nicht jedermanns Sache ist, einen Priester, Weihnachtsmann oder Postboten zum Schreien zu bringen.

Spielerische Elemente sind wie bei Serious Games oder auch Börsenspielen längst über den reinen Gamekontext hinaus gewachsen. Sie dienen vor allem außerhalb des Computers auch dazu, im Nebenbei sozialen Kontakt aufbauen. Gut gemachte Gamification wird das heute auch im werblichen Umfeld aufnehmen müssen, um wirklich gut zu funktionieren. Nach Huizinga ist ein Spiel eine Kulturleistung, die auch darin besteht, ein sich Messen zu ermöglichen. So wie es beim BMW xDrive CUP, einem winterlichen Skiwettlauf in den Alpen, gut funktioniert. Besser sein als andere ist auch eine Kulturleistung.

Allerdings werden Konzepte der als Allheilmittel in Agenturen gesehen, doch die meisten Verbindungen sind aber eher suboptimal.

Ich bin des Streitens um meine Aufmerksamkeit in Spielen leid. Ich will nicht mehr der Prinz von Omo sein.

Anatol Locker

Und wirklich gut gemachtes Gaming findet wohl eher "eine Ebene dahinter statt". Etwas, das ich nicht sofort als pures Spiel zu erkennen ist, kann auf jeden Fall nachhaltiger wirken. Zu platt soll der Spielanreiz nicht sein, so wie Space Invaders in einem Computerunternehmen dazu dienen sollte, die gegnerischen Sales Teams niederzuknüppeln. Zweifelhaft im Ansatz und wohl eher leer in der Wirkung.

"Sie kriegen es nicht gebacken"

Was allerdings auffällt ist die fehlende Präsenz der Spieleindustrie. Mag es sein, dass auch die eigenen Spielregeln in der Branche ein noch größeres Engagement sperren. Es gibt Vordefinitionen der Macher über das, was ein Computerspiel ausmacht. Es hat 40 Euro zu kosten und für 40 Stunden Spielspaß bei ausgereifter Grafik zu stehen, auch wenn Spiele wie Farmville das Gegenteil zeigen. Und aufgewärmte Egoshooter für Tütensuppen auf den Markt zu bringen, scheint auch nicht die Lösung zu sein. Davon abgesehen wäre da wohl ein Scribblespiel für Buchstabensuppen besser. Aber dafür gleich die Profis von der Computerspielabteilung zu holen, ist so, als würde man einen liebevollen Romantikfilm drehen wollen und die Pornofilmer anrufen.

Braucht jede Marke ein Spiel?

Ibo Mazari von Turtle Entertainment und ehemaliger Director Public Relations bei Electronic Sports League, sieht das ähnlich. Spielprinzipien werden heute schon recht erfolgreich auf Lern- und Arbeitsprozesse übertragen. Sie motivieren bei langweiligen oder schwierigen Prozessen. Ein gutes Beispiel für den Übertrag auf kommerzielle Anwendungen ist sicher der lokale Logindienst Foursquare, der nicht besonders funktionierte, bis Belohnungen die App geboostet haben.

Das Prinzip ist nicht neu, gute Pädagogen haben das schon immer ähnlich getan, also auch alter Wein in neuen Schläuchen, aber neu daran ist: Technik baut neue Qualität auf. Viel einfacher lassen sich heute Prozesse gamifizierbar machen. Auch wenn Kunden das nicht immer wollen. Gamifizierung muss aber Sinn machen. Was ich als Spieler bekomme, muss so wertvoll sein, dass ich Zeit und Mühe investiere. Und das macht bei vielen Produkten eben dann keinen Sinn, so Mazari.

Zudem habe die Spielebranche aber ein grundsätzliches Problem, genügend Personal zu finden, deshalb bleibe sie in ihrem Metier. Es gebe keinen wirtschaftlichen Druck, das zu ändern. Und Agenturen suchen deshalb auch händeringend nach Expertise. Computergames sind Hochtechnologie, auch gesellschaftliche Anerkennung könnte die Industrie in andere Bereichen dazu gewinnen, das wäre wichtig, gerade in Deutschland. Aber bisher bestehe kein Druck. Zudem sei Gamifizierung sehr teuer. Erfolgreiche Kampagnen sind Multimillionen-Projekte, wie bei der Bing-Einführung. Nur dann würden Aufwand und Ertrag auch sinnvoll nebeneinander stehen.

Die Digitalen

Drei Medienarbeiter (Michael A. Konitzer, Anatol Locker und Harald Taglinger), die sich schon seit Ende der 80er in digitalen Kanälen bewegen, haben den digitalen Wandel gelebt und begleitet. Sie unterhalten sich in einem Podcast einmal im Monat über die derzeitigen Hotspots und darüber wie in einer sich entwickelnden digitalen Welt die Konstante Mensch sich mit komplexeren medialen Möglichkeiten agiert. Das tun sie nicht alleine. Sie laden Gäste dazu ein. Sie plaudern mit ihm/ihr/ihnen über seine Sicht des Themas. Alle Folgen sind auch via iTunes als Podcast verfügbar.