Autofahrer sollen alle Nebenkosten übernehmen

Umweltschäden und Unfallkosten müssen von Autofahrern bezahlt werden, fordert eine Studie der Grünen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Autofahren ist zu billig – diese Parole ist in verschiedenen Varianten mittlerweile zu einem grünen Wahlkampfklassiker geworden. In modernisierter Form wird sie nun mit einer neuen Studie zu den externen Kosten der Automobilität, die im Auftrag der Grünenfraktion im Europaparlament erstellt wurde, wieder aufgelegt. Der Grüne Verkehrsexperte Anton Hofreiter hat die Studie, die von einem Team um den Verkehrsökologen Udo Becker von der Technischen Universität Dresden erstellt wurde, in Berlin vorgestellt.

Autofahren ist alles andere als billig – trotzdem ist laut den Verfassern der Studie der Nutzen jeder Autofahrt aus Sicht des Fahrers höher als die Kosten. Andernfalls hätte er auf die Fahrt verzichtet. Doch aus der Sicht der gesamten Gesellschaft gehe diese Rechnung nicht auf, meint der Verkehrsökologe Becker. Denn viele Nebenkosten einer Autofahrt müssten die Fahrer gar nicht bezahlen. Dazu zählt die Studie ausdrücklich nicht die Kosten für Infrastruktur wie Straßen und Brücken, wohl aber die Kosten, die beispielsweise durch Unfälle, Lärm, Luftverschmutzung oder den Klimawandel entstehen. Müssten die Autofahrer diese Kosten selbst zahlen, würden sich den Verfassern zufolge weniger Fahrten rentieren – und deshalb nicht mehr stattfinden.

Mit der Studie verfolgen die Grünen daher zwei Ziele: Die Autofahrer sollen die tatsächlichen Kosten nach dem Verursacherprinzip selbst tragen. Der Nebeneffekt, dass sich dadurch mehr Menschen gegen das Auto als Transportmittel entscheiden werden, ist ebenfalls erwünscht.

Tatsächlich macht die Studie insbesondere in Deutschland äußerst hohe Nebenkosten des Autoverkehrs aus: Den höchsten Anteil haben dabei in Deutschland die Unfallkosten, die im Jahr 2008 für alle in Deutschland zugelassenen Autos laut der Studie bei knapp 38,4 Milliarden Euro lagen. Gemeint sind damit nur jene Kosten, die nicht bereits durch Versicherungen und den Autofahrer selbst bezahlt werden. Dazu werden die Kosten für Polizeieinsätze und Gerichte ebenso wie die Folgekosten für den Arbeitsausfall, langfristige körperliche und psychische Schäden sowie Kosten für eine eventuell notwendige neue Lebensplanung gezählt. Ebenso mit eingerechnet sind Werte, die sich streng genommen gar nicht ermitteln lassen. So wird beispielsweise der "Verlust des Lebens" und "Trauer und Schmerz" nicht nur beim Unfallopfer selbst, sondern auch bei Angehörigen und Freunden mit eingepreist.

Der zweitwichtigste Kostenfaktor ist der Studie zufolge der Klimawandel. Doch wie auch bei den sozialen Folgekosten aus der Rubrik "Trauer und Schmerz" ist auch hier nicht leicht zu sagen, wie hoch die Kosten tatsächlich sind. Im günstigsten Fall geht die Studie daher von gut 9,1 Milliarden Euro jährlicher Kosten aus, im schlimmsten Fall sind es fast 32 Milliarden. Die Kosten für die Folgeschäden von Lärm mit 621 Millionen und Luftverschmutzung mit gut 6,3 Milliarden fallen vergleichsweise gering aus.

Insgesamt gibt es der Studie zufolge in allen 27 EU-Ländern mehr als 373 Milliarden Euro an externen Kosten des Autoverkehrs, wovon gut 88 Milliarden auf Deutschland entfallen. Dabei ist die Höhe der externen Kosten insbesondere bei den Unfallkosten nur schwer miteinander vergleichbar. Aufgrund der unterschiedlichen Wertschöpfung pro Arbeitsstunde in den einzelnen Ländern ist die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Menschen aus ökonomischer Sicht in den ärmeren Ländern schlicht weniger wert.

Auf das Jahr gerechnet soll der Studie zufolge jedes in Deutschland angemeldete Auto über 2.000 Euro an externen Kosten verursachen, die die Autofahrer auf die Gesellschaft abwälzen. Damit gehört Deutschland zur Spitzengruppe, nur in Österreich (rund 2.300 Euro) und Luxemburg (rund 2.600 Euro) liegen die externen Kosten noch höher. Im europäischen Durchschnitt liegen die externen Kosten pro Fahrzeug bei 1.600 Euro.

Ziel ist die Zurückdrängung des Autoverkehrs

Obgleich auch die Autoren der Studie nicht genau sagen können, ob nicht ein Teil der externen Kosten bereits durch Gebühren und zweckgebundene Steuern beglichen wird, fordern sie dennoch, dass die EU künftig regelmäßig die externen Kosten schätzen solle, damit diese in den Autoverkehr eingepreist werden können. Das Ziel solle dabei nicht sein, ein Zusatzeinkommen zu schaffen, sondern derartige Preissignale zu setzen, dass "hoffentlich keiner diese Preise bezahlen" müsse. Gewollt wird dabei aber weniger ein Anreiz zur technischen Weiterentwicklung auch des Individualverkehrs, zumal die Studie sogar behauptet, dass Lärm und Luftverschmutzung auch bei Elektrofahrzeugen hoch blieben – was bei der Geräuschentwicklung wenig und in Bezug auf die Abgase je nach Herkunft des Stromes auch nur bedingt stimmt. Vielmehr soll das "Verkehrsmittelwahlverhalten" geändert, also das Auto möglichst zurückgedrängt werden.

Eine Schwierigkeit übergeht die Studie hingegen komplett: Während die Berechnung der externen Kosten des Autoverkehrs noch in Ansätzen möglich erscheint, jedoch spätestens beim Wert eines Menschenlebens an Grenzen stoßen muss, wird es ungleich schwerer, innerhalb der Gruppe der Autofahrer für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen. So hängen mögliche Personenschäden durch Autos von verschiedenen Faktoren wie der Fahrweise und der Wahl des Fahrzeugs ab. Ein schweres SUV verursacht in einer ähnlichen Situation wesentlich schwerere Verletzungen als ein Kleinwagen mit abgerundeter Frontpartie. Es dürfte schwer vermittelbar sein, warum trotzdem die Nebenkosten von Unfällen gleichmäßig auf alle Fahrzeughalter aufgeteilt werden sollten. Kann für dieses Problem jedoch keine Lösung gefunden werden, so droht eine Subventionierung schwerer und ökologisch bedenklicher Geländewagen zugunsten von vergleichsweise vorbildlichen Kompaktfahrzeugen. Dass insbesondere die deutsche Autoindustrie in Brüssel ein gutes Standbein hat, um Belastungen für sich abzuwenden, zeigt sich immer wieder – das Beispiel der nur laschen Grenzwerte für den CO2-Ausstoß sollte auch den Grünen noch in Erinnerung sein.