Keine Kampfpause

Afghanistan: Druck auf Deutschland wächst

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139 Selbstmordanschläge im vergangenen Jahr. Im Jahr davor waren es 27. 1.677 Anschläge mit Straßenbomben gegenüber 783 im Jahr zuvor. Und 4.542 direkte Angriffe der Guerillas mit Granaten und anderen kleineren Feuerwaffen (die Vergleichszahl aus dem Jahr 2005: 1.558): Zum ersten Mal veröffentlichte das amerikanische Militär Zahlen aus der Jahresstatistik 2006 für Afghanistan.

In diesem Winter gebe es keine Kampfpause wie in den vergangenen Jahren und für das Frühjahr befürchtet man eine noch vehementere Offensive der Taliban, gab der Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan, Leutnant General Karl Eikenberry, Journalisten bekannt, die den neuen amerikanischen Verteidigungsminister bei seinem Besuch in der Krisenzone begleiteten. Robert Gates denkt nun laut über die Bitte seines Generals nach und „ist dazu geneigt“, die Bitte um mehr Soldaten an US-Präsident Bush weiterzuleiten.

Wie viele Soldaten die amerikanischen Truppen in Afghanistan verstärken sollen – ob 1000 oder 2000, wie Militärvertreter vorgeschlagen haben sollen -, ist noch nicht klar. Die Probleme sind bekannt: die Gegner der US-Truppen im Süden des Landes, die unter dem Begriff „Taliban“ subsumiert werden, sollen den strategischen Vorteil, den ihnen der Wasiristan-Deal des pakistianischen Präsidenten (vgl. Die unerhörten Bekenntnisse des Generals) gebracht hat, weidlich ausnutzen und den westlichen Verbündeten stark zusetzen. Die Verstärkung von eigenen Truppen gilt da als erstes probates Mittel. Der amerikanischen Seite dürften in diesem Zusammenhang die Verweise auf die Belastungsgrenzen der eigenen Armee, die in den Medien immer wieder auftauchen, nicht unlieb sein, da dadurch die NATO-Verbündeten stärker in die Verantwortung genommen werden.

Kein Wunder also, dass im Rahmen des Afghanistan-Besuches des neuen Pentagon-Chefs auch die Ermahnungen der NATO-Führung wieder laut wurden, die forderten, dass - nicht genau benannte - Mitglieder endlich ihre Versprechungen einlösen und die nötige Unterstützung liefern. Dass damit auch Deutschland gemeint ist, dürfte ein offenes Geheimnis sein. Der Druck wird verschärft und es ist vermutlich kein Zufall, dass sich gegenwärtig in der deutschen Diskussion um den Einsatz von Tornados ein Schwenk zur „Ausdehnung des Mandats“ angelegt wird.

Nachdem sich nun auch der Fraktionschef der SPD, der ehemalige Verteidigungsminister Struck, überzeugen ließ, dass ein neues Mandat für den deutschen Einsatz in Afghanistan für den Erfolg der Gesamtmission unerläßlich ist, dürfte die politische Absicherung der neuen Rolle keine großen Probleme bereiten. Dass Deutschland nun auch endgültig deutlich Kriegspartei in Afghanistan wird, trifft anscheinend auf einen größeren Konsens.

Zwar erlaubt schon das bisherige Mandat Einsätze von Tornados, die mit ihren Aufklärungsflügen auch Bombenziele markieren könnten und damit Teil von offensivem Einsätzen werden, aber der Schwerpunkt des Bundeswehr-Mandats im Rahmen der ISAF wurde bislang eher als „friedenssichernde Aufbauarbeit“ verstanden und wahrgenommen. Das könnte sich künftig ändern. Die ersten Weichen dazu würde ein neues Mandat stellen, das die Einsätze von anderer Qualität nachdrücklich politisch billigt. Die Botschaft würde in Afghanistan nicht nur von Freunden und Verbündeten verstanden werden.