Länger leben dank der Knockout-Maus

An "Fettpölsterchen" ist Fett häufig unschuldig

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"Gut essen und dennoch nicht fett werden," freut sich die FIRKO Maus und betrachtet mitleidig ihre "gesunden" Mitmäuse. Während die natürlichen Kontrolltiere nach durchschnittlich 2,5 Jahren sterben, genießt sie mit gutem Appetit fast fünf Monate mehr. Das Geheimnis ist allerdings geklont und angeboren. FIRKO meint "fat-specific insulin-receptor knockout" und weist darauf hin, dass der Insulinrezeptor für die Fettzellen fehlt.

FIRKO Mäuse haben einen schlanken Körperbau mit wenig Fettgewebe. Damit werden sie nicht fett, sei es durch reichliches Fressen oder aus Altersgründen," so C.R.Kahn, Leiter vom Joslin Diabetes Center der Harvard Medical School, in Ergänzung zur Publikation seiner Arbeitsgruppe in Science

Die schlanke, lang lebende FIRKO Maus mit ihrer normalen Schwester Bild: Science

Wir werden immer älter, die Japaner etwa fünf Jahre älter als die Deutschen, und niemand weiß so recht, an welcher Stellschraube gedreht werden kann, um den Effekt zu verbessern. Seit mehr als 60 Jahren bemühen die Forscher tierexperimentelle Untersuchungen. Heute kommt der Stimulus aus der Diabetesforschung, die ihr Augenmerk auf das Phänomen der Insulinresistenz richtet: Trotz ausreichender Insulinproduktion verliert das Hormon an Wirkung. Der Effekt ist bequem erklärt und wird bereits diagnostisch ausgenutzt: Weil die Kohlenhydrate (Zucker) länger als notwendig im Blutkreislauf zirkulieren, entsteht ein Überschuss "ätzender" Stoffwechselprodukte. Den Langzeiteinfluss erkennt der Arzt am Hämoglobin HbA1, einem Spaltprodukt des roten Blutfarbstoffs.

Dass Zuckerkrankheit und Essstörungen, die mit Übergewicht einhergehen, lebensverkürzend sind, steht außer Frage. "Liegt es an den Kalorien, oder ist es angeboren und schicksalhaft?" Diese Frage bewegt Millionen von Fettsüchtigen. Die FIRKO Maus bringt keine Entwarnung für die Anhänger der Erbtheorie und deren Meinung, dagegen sei kein Kraut gewachsen. Sollte die Ermüdung des Insulins zur Drehscheibe werden, geht es unverändert um das Essen und die Eßgewohnheiten. Dann allerdings unter der neuen Losung: "Vermeide, was Insulin resistent macht." Viele Empfehlungen, die immer noch verbreitet sind, gehören über Bord geworfen.

Die Untersuchungen an der FIRKO Maus bieten nicht nur eine Erklärung zur Langlebigkeit. Für die Wissenschaftler ist der Beweis, dass Fettgewebe nicht minderwertig ist, sondern, was bisher unbekannt war, aus zwei unterschiedlich aktiven Typen von Fettzellen besteht. Ohne Insulinrezeptor überwiegen kleine Zellen, die sich von den größeren in der Bildung der Fettsäurensynthetase und weiterer Transkriptionsfaktoren unterscheiden. Auch ohne Waage sind die Auswirkungen sichtbar: Die Menge an Körperfett beträgt weniger als die Hälfte der normalen Tiere. Zur großen Überraschung besteht im Fressverhalten kein Unterschied. Folglich genießen FIRKO Mäuse in Bezug auf ihr Körpergewicht doppelt soviel Nahrung wie die gesunden Kontrollen. Gibt es demnach doch die guten und die schlechten Futterverwerter?

Die Antwort verlangt nach weiteren Untersuchungen. Allerdings ist bereits jetzt klar: "Fettgewebe ist kein statisches Depot, sondern ein endokrin aktives Gewebe, das eine kritische Rolle in der Glukose-Homöostase und im Energiestoffwechsel spielt," erklärt C.R.Kahn und verweist auf nahezu 20 verschiedene Knockout-Maustypen, die das bisherige Bild der Mediziner für den Zuckerstoffwechsel wesentlich verändert haben.

Die gegenwärtigen Diätempfehlungen verdammen Fett und beschränken das Essen auf Kohlenhydrate, die vom Insulin "verwaltet" werden. Insulinrezeptoren gibt es jedoch nicht nur in den Fett-, sondern auch in den Muskelzellen. Die Wirkung ist allerdings unterschiedlich, weil der Muskel nur soviel Zucker aufnimmt wie er aktuell braucht, und das Fettgewebe dafür sorgt, dass der Überschuss nicht verloren geht. Der Lieferant ist der Magen-Darm-Trakt, weil - vom Dextrosewürfel abgesehen - die Kohlenhydrate ebenso wie die Fette zunächst aus der Nahrung freigesetzt werden müssen. Folgt man den neuen Erkenntnissen, so ist die kohlenhydrat-reiche Kost aus zweierlei Gründen nachteilig: Kohlenhydrate fluten nach dem Essen innerhalb weniger Minuten an und erreichen häufig Konzentrationen, die von der Muskulatur und Organen ohne Kalorienspeicher nicht aufgebraucht werden.

Folglich bleibt ein Überschuss im Blut, der begehrlich von den Fettzellen aufgegriffen und ins "Fettdepot" eingelagert wird. Das macht die Fettpölsterchen und schließlich den Mastgans-Effekt. Zum anderen stumpft die intervallartige Überflutung die Insulinwirkung auf eine bisher unerklärliche Weise ab. Erkennbare Auswirkungen zeigt der Typ II-Diabetes, der schon in jugendlichen Jahren auftreten kann, oder erst im höheren Lebensalter und deshalb lange Zeit als Alterdiabetes bezeichnet wurde. Die Kohlenhydrat-Keulen sind nicht nur Süßigkeiten, Chips oder Limonaden, sondern ebenso die nicht selten ärztlich empfohlenen "gesunden" Früchte und Fruchtsäfte. Alle leicht verdaulichen Kohlenhydrate treiben den Blutzuckerspiegel bereits innerhalb von 30 Minuten in die Höhe und wirken bei wiederholt häufigem Genuss ähnlich wie das Stopfen der Mastgans. Fette hingegen verweilen lange im Magen und Dünndarm bevor sie erschlossen sind und ins Blut gelangen, um die notwendige Energie nachzuliefern.

Die moderne Ernährung sollte das Insulin schonen. Das erfordert, die verschiedenen Energieträger nach ihrer Verdaulichkeit zu kombinieren, und zwar so, dass der Energiezufluss langsam und stetig erfolgt und zugleich ein Zuviel an Gesamtkalorien vermeidet. Das sind gute Gründe, um Fette für die Überbrückung bis zur nächsten Mahlzeit in den Speiseplan einzubauen. Die so häufig propagierte kohlenhydrat-reiche Kost wirkt hingegen wie der sprichwörtliche stete Tropfen: sie erzeugt durch den wiederholten Kohlenhydrat-Exzess bereits viele Jahre vor dem erkennbaren Diabetes die Insulinresistenz und ungewollt die "Fettpölsterchen". Damit beginnt der tödliche Kreislauf. Das Mehr an Fettgewebe macht das Insulin noch unwirksamer, und die falsche Diät ("bloß kein Fett!") überschwemmt den Körper zusätzlich mit Kohlenhydraten, und so fort.

Dieser Mechanismus ist bereits indirekt vermutet worden. Durch die Knockout-Mäuse vom Typ FIRKO, LIRKO, MIRKO, NIRKO, und mehr können die Auswirkungen nunmehr unmittelbar verfolgt werden. Die Knockout-Maus, also jene von Menschenhand in ihrem Genom künstlich veränderte und ins Leben gebrachte Maus, wird immer mehr zum bevorzugten Studienobjekt, weil die Wissenschaftler selektiv modifizierte Stoffwechselfunktionen unter Lebensbedingungen und nicht nur auf zellulärer Ebene bewerten können. "Die Unterscheidung zwischen insulin-sensitiven und insulin-unempfindlichen Geweben sowie der Vergleich zum Phänotyp machen es erstmals möglich, die Stoffwechselfunktion unabhängig vom Zuckerspiegel zu betrachten," so nochmals C.R.Kahn.

Der Trend, tierexperimentell nach menschlichen Parallelen zu suchen, hat kürzlich zusätzlichen Auftrieb bekommen: Seitdem sich der Mensch im Mäusegenom wiederfindet.