Ende der Diskriminierung?

Die BRD bequemt sich langsam dazu, die Opfer ihrer politischen Justiz zu Zeiten des Kalten Krieges anzuerkennen

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Dass die DDR mit ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Gegnern im Innern nicht zimperlich umgegangen ist, ist bekannt. Namen wie Hilde Benjamin stehen für die stalinistische Härte eines Justizsystems, das sich in immer währender militanter Auseinandersetzung mit dem Klassenfeind befand, zu dem auch Leute wie Timo Zilli gezählt wurden.

Die Tatsache, dass auch in Westdeutschland eine gut geölte Maschinerie für die Aburteilung von "Verrätern" sorgte, wird bis heute so gut wie nicht wahrgenommen. Jetzt hat es einen bisher beispiellosen Akt der Anerkennung für die Opfer dieser Maschinerie gegeben.

Wie die Zeitung Junge Welt berichtet (ironischerweise ist das Blatt selbst eng mit der Geschichte der DDR verwoben) sind Mitte Februar diesen Jahres Vertreter der aus dem Amt scheidenden niedersächsischen Landesregierung einer Gruppe von Betroffenen begegnet, die während der antkommunistischen Hexenjagden von 1956 - 1968 von staatlicher Repression betroffen waren.

1956 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) nach einem fünf Jahre dauernden Prozess verboten. Dieser Prozess und sein Ausgang hatte massive Auswirkungen für alle, die in Westdeutschland als Kommunisten betrachtet wurden. Allein im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verbot der Partei selbst (das dutzendfache "Folgeverbote" nach sich zog, so z.B. von Zeitungen) kam es zu 3000 Verfahren gegen Beschuldigte, im weiteren Umfeld ist sogar von insgesamt 10.000 Verurteilungen (nicht Verfahren!) die Rede. In mehreren hundert Fällen wurden Haftstrafen verhängt, die mit "Hochverrat", "Vorbereitung zum Hochverrat" und Verstößen gegen das KPD-Verbot, also einer Tätigkeit in der illegalen, im Untergrund weiterexistierenden Partei begründet wurde.

Dabei schreckte die Justiz auch nicht davor zurück, Aktivisten ins Gefängnis zu schicken, die bereits unter Hitler in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern inhaftiert gewesen waren, wie z.B. Fritz Rische, Kurt Baumgarte und andere. Die Einlassungen der Anklage und der Richter in diesen Verfahren lesen sich teilweise wie eine bruchlose Fortsetzung der NS-Justiz:

Die Frankfurter Rundschau hatte am 17. Mai 1958 über ein (...) Beispiel richterlicher Unbefangenheit berichtet. Im Prozeß gegen den Angeklagten Kronenmüller, 1933 zu zwei Jahren und 1940 zu fünf Jahren Zuchthaus wegen Widerstands gegen das Regime verurteilt, erklärte Anklagevertreter Staatsanwalt von Lücken: Straferschwerend kommt hinzu, daß der Angeklagte bereits wegen solcher Tätigkeit hart bestraft worden ist. Das hat nichts genützt. Ich beantrage daher gegen ihn eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Quelle

Am sprechendsten sind wohl die Fälle, in denen kommunistische Angeklagte ihre Entschädigung als Verfolgte des Naziregimes an den Staat zurückzahlen mussten, weil sie im Rechtsstaat BRD Kommunisten geblieben waren und als solche verurteilt wurden. Angesichts der politischen und ideologischen Kontinuitäten, die den NS-Justizapparat in der jungen BRD nahezu ungeschmälert überleben ließen, kann das nicht wirklich überraschen. In Niedersachsen zum Beispiel lag der Prozentsatz der Richter aus der Nazizeit in den Jahren der Kommunistenverfolgungen bei satten 80%. Die Tätigkeit dieser "furchtbaren Juristen" belegt, dass der westdeutsche Postfaschismus nirgendwo faschistischer war als in der Justiz.

Dass Adenauer und die Seinen mit dieser Härte und unter Zuhilfenahme von NS-Methoden und NS-Personal speziell gegen die KPD vorgingen, hatte seinen Grund nicht nur in dem allgemeinen hysterischen Antikommunismus dieser Zeit, sondern vor allem in einem konkreten politischen Ziel der legalen KPD vor 1956: Sie wollte die Westintegration der BRD verhindern und warb stattdessen für ein militärisch und politisch neutrales Gesamtdeutschland nach den Vorstellungen der "Stalin-Noten" von 1952, das gewissermaßen als Puffer zwischen den Blöcken hätte dienen können.

Daher machte die KPD gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands im Rahmen der NATO mobil. In Kombination mit ihrem Kampf gegen die ihrer Meinung nach unzureichende Berücksichtigung von Arbeiterrechten im Betriebsverfassungsgesetz konnte die KPD vor ihrem Verbot Hunderttausende für ihre Ziele mobilisieren. Diese Massenmobilisierung und tendenzielle Mehrheitsfähigkeit kommunistisch inspirierter politischer Strategien beantwortete die Adenauer-Republik schon 1952 mit tödlicher Gewalt.

Das erste Demonstrationstote in der BRD war nicht, wie viele meinen, Benno Ohnesorg sondern der 21-jährige Philipp Müller aus München, der am 11.05.1952 bei der "Jugendkarawane gegen Wiederaufrüstung und Generalvertrag" in Essen von der Polizei in den Rücken geschossen wurde.

Erst 1968, angesichts der Studentenproteste, aber auch, weil das Verbot konkret gegen die KPD obsolet geworden war (ihre Zerschlagung war unumkehrbar), wurden dezidiert kommunistische Parteien wieder zugelassen. Der Geist der Repression meldete sich aber bereits 1972, diesmal unter Willy Brandt, in Form des Radikalenerlasses zurück (vgl.Der Radikalenerlass hatte 30tes Jubiläum)

Dass der scheidende, weil abgewählte Justizminister Niedersachsens jetzt bei der Begegnung mit den verbliebenen Opfern aus der Zeit von 1956 - 1968 die grundlegenden Fakten anerkannt hat, zum Teil mit Worten, die ihn damals ins Gefängnis gebracht hätten, wird von den Betroffenen als wichtige Geste der Versöhnung angesehen. Die Klarheit mit der der Justizminister zu dem Thema Stellung bezogen hat, ist in der Tat eine kleine Sensation. Aber über die netten Gesten hinaus fordern die Betroffenen weiterhin:

  1. Politische und rechtliche Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges
  2. Beseitigung des Unrechts durch die Aufhebung der Urteile, die durch politische Sonderkammern ausgesprochen worden sind.
  3. Aufhebung aller Berufsverbote
  4. Entschädigung für erlittenes Unrecht.
Quelle

Sie werden es mit diesen Forderungen auf Bundesebene schwer haben. Ihr Brief an Gerhard Schröder vom November letzten Jahres, der sie enthielt, blieb nicht nur unbeantwortet - nicht einmal sein Eingang wurde bestätigt. An den entscheidenden Stellen wird also weiterhin gemauert. Dass die scheidende niedersächsische Landesregierung dort, wo sie konnte, eine Bresche in die Mauer der Verleugnung und Verdrängung hineingeschlagen hat, sollte man als Leistung anerkennen.