Internetpiraten in der Netzwerk-Ökonomie

Neue Studien belegen: Urheberrechtsschutz nützt Medienunternehmen nicht immer und Künstlern fast nie

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Netzwerk-Ökonomen zeigen mit ihren Modellen, wie digitale Werke durch einen höheren Bekanntheitsgrad an Gebrauchswert gewinnen - auch wenn dies eine Folge von illegaler Verbreitung ist. Selbst aber in Fällen, wo eine rigide Copyright- und Kopierschutz sich als vorteilhaft für Medienunternehmen erweist, würden die meisten Künstler von der ungehinderten Verbreitung ihrer Werke mehr profitieren als von ihren Gewinnen als Urheber. Empirische Untersuchungen zur Situation der Künstler in Großbritannien und in Deutschland untermauern die Annahmen der Netzwerk-Ökonomen.

Das Prinzip ist simpel: "Die Gesellschaft tauscht ihren Anspruch darauf, Kopien von Büchern und Kunstwerken zu machen, gegen einen größeren Nutzen ein, der ihr durch entsteht, dass mehr Bücher geschrieben und veröffentlicht werden." Dies, so Richard Stallman in seiner bekannten Darstellung der Geschichte des Copyright, war einmal der Sinn von Gesetzen zum Schutz der Urheber.

Nicht Künstler, sondern Medienverbände und Verwertungsgesellschaften sind es, die diese Rechte heute in Anspruch nehmen. Die US-Tonträgerindustrie zum Beispiel versucht derzeit mit einer Welle von Sammelklagen Internet-Tauschbörsen mit ihrem Gratis-Angebot an Musikstücken und Filmen aus dem Weg zu räumen. In einem der bekannt gewordenen Fälle, so berichtete kürzlich "The Village voice", ist die Nutzerin Cecilia Gonzales im Zuge eines Sammelverfahrens zu einer Strafe von 750 Dollar verurteilt worden - für jeden der dreißig Songs, die illegal heruntergeladen zu haben sie für schuldig befunden wurde. Insgesamt 8.400 Klagen laufen derzeit in den USA.

Besser ohne Schutz des Urhebers

Eine Reihe von neueren Studien zeigt nun, warum weder Künstler, noch die Allgemeinheit von diesem Kampf um die Wahrung des Urheberrechtes profitieren - und selbst Verlage und Softwarehersteller in einigen Fällen besser fahren würden, wenn sie die illegale Nutzung ihrer Produkte zuließen. Der israelische Wirtschaftsforscher und Netzwerk-Ökonom Oz Shy rechnet in einem Beitrag für das aktuelle Journal des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) vor, wie das funktionieren kann.

Ausschlaggebend für Nutzen oder Schaden, der Verlagen durch die Verbreitung illegaler Kopien entsteht, ist die Stärke der Netzwerk-Effekte. Diese spielen zum Beispiel bei Software eine bedeutende Rolle: Je mehr Nutzer dieselbe Software im Einsatz haben, desto reibungsloser gestaltet sich die Kommunikation zwischen Computern und der Austausch von Dateien. Ob alle Nutzer ihre Software auf legalem Wege erworben haben, spielt dabei keine Rolle. Auch die illegale Verbreitung eines Computerprogramms erhöht dessen Gebrauchswert. Dies drückt sich sogar in der Bereitschaft aus, einen höheren Preis für das Produkt zu zahlen - zumindest bei solchen Nutzern, welche auf Serviceleistungen, die mit dem legalen Erwerb des Produktes einhergehen, angewiesen sind und deshalb den Kauf der Kopie vorziehen.

Oz Shy lässt sowohl die Anzahl der legalen wie die der illegalen Nutzer in seine Berechnungen eingehen. Ein Beispiel: Für einen unterstützungsunabhängigen Nutzer sei der Gebrauchswert eines Produktes (aufgrund der Netzwerkeffekte) gleich der Menge der Nutzer insgesamt - abzüglich des Anschaffungspreises. Verschafft er sich eine illegale Kopie, entfällt der Anschaffungspreis. Unterstützungsorientierte Nutzer, auf der anderen Seite, erwerben mit dem Kauf des Produktes zugleich den Zugang zu für sie notwendigen Serviceleistungen. Sie haben deshalb einen ungleich größeren Nutzen. Kaufen sie die Software, beträgt ihre individuelle Profitrate zum Beispiel das Vierfache der Menge der Nutzer insgesamt.

Unter diesen Ausgangsbedingungen kann man verschiedenen Szenarien durchrechnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verkäufer den Verkaufspreis immer knapp unterhalb der Grenze des jeweiligen Gebrauchswertes festlegt und darauf achtet, dass sich (für unterstützungsorientierte Nutzer) der höhere Preis, der mit dem legalen Erwerb der Software, und der geringere Nutzen, der mit einer illegalen Kopie einhergeht, zumindest die Wage halten.

Drei Szenarien

In dem betrachteten Szenario agieren 200 unterstützungsorientierte und 100 unterstützungsunabhängige Nutzer. Das Ergebnis:

  1. Ist illegales Kopieren möglich und steigt dadurch die Anzahl der Nutzer auf insgesamt dreihundert, macht der Verlag bei zweihundert an unterstützungsorientierte Nutzer verkauften Kopien einen Umsatz von 180.000 Punkten. (Der Verkaufspreis entspricht hier dem Dreifachen der Nutzermenge: 3 x 300 = 900. Bei diesem oder einem niedrigeren Anschaffungspreis haben unterstützungsorientierte Nutzer, die die Software erwerben, nicht weniger Punktgewinn, als wenn sie die Software illegal kopieren würden.)
  2. Gelingt es dem Verlag, illegales Kopieren vollständig zu verhindern, entfällt auch ein Teil der Nutzer. Zweihundert Nutzer bleiben übrig. Deshalb aber sinkt - wegen geringerer Netzwerkeffekte - zugleich des Preis des Produkts. (Er beträgt jetzt nur noch 4 x 200.) Bei zweihundert verkauften Exemplaren macht der Verlag einen Gewinn von nur noch 160.000 Punkten.
  3. Versucht der Verlag (bei Unterbindung illegalen Kopierens) auch die unterstützungsunabhängigen Nutzer durch einen geringeren Kaufpreis zum legalen Erwerb des Produktes zu motivieren, macht er, bei einem Stückpreis von 300 Punkten (entsprechend dem Nutzwert des in 300facher Ausfertigung zirkulierenden Produkts für unterstützungsunabhängige Nutzer), nur noch einen Gesamtgewinn von 90.000 Punkten.

Die Höhe der Netzwerkeffekte sowie die Anteile von zahlungswilligen/unterstützungsorientierten und kopiergeneigten/unterstützungsunabhängigen Nutzern sind die ausschlaggebenden Faktoren, die bestimmen, ob Verleger, Softwarehersteller und andere Medienunternehmen von "Piraterei" profitieren oder dadurch Schaden erleiden.

Der Standpunkt des Künstlers

Für Künstler, deren Werke von Medienunternehmen vermarktet werden, sieht die Rechnung anders aus. Oz Shy geht dieser Frage zusammen mit seinem Kollegen Amit Gayer in einem weiteren Aufsatz nach. Wiederum kommen Netzwerkeffekte ins Spiel. Mit der Anzahl zirkulierender Kopien eines Werkes steigt der Bekanntsheitsgrad und damit auch der Marktwert des Künstlers. Hinzu kommen Spillover-Effekte: Je größer der Bekanntheitsgrad, desto größer sind die Verdienstmöglichkeiten eines Künstlers durch Live-Auftritte, Engagement in der Werbung oder den Verkauf von Handy-Klingeltönen.

Kurz gesagt, gilt hier: Musiker und Autoren können nur dann durch eine rigide Urheberrechts-Schutz Politik gewinnen, wenn ihre Beteiligung am Gewinn, der durch Verkäufe von Medienprodukten entsteht, sehr hoch ist. Im anderen Falle überwiegen die Spillover-Effekte: Gewinne durch zusätzliche Einnahmen bei Auftritten wiegen stärker als Einbußen durch geringere Stückzahlen im Verkauf.

The Winner takes it all

Empirische Untersuchungen über Verdienstquellen von Musikern in Großbritannien und in Deutschland unterlegen die ökonomischen Modelle. Über achtzig Prozent aller Musiker, das zeigt eine kürzlich im Internet-Magazin "First Monday" präsentierte Studie, erzielen Einkünfte durch "andere musikalische Aktvitäten" wie Live-Auftritte. Für sie sind die genannten Spillover-Effekte relevant.

Die Studie, erstellt anhand von Daten der Künstlersozialkasse und der britischen Performing Royalties Society PRS (einer Art "GEMA"), belegt zudem deutlich die Existenz einer Einkommensschere. Das Einkommen der meisten Künstler bewegt sich im Bereich unterhalb des Existenzminimums. Laut KSK-Bericht erzielt ein Großteil der Musiker in Deutschland (nämlich 12.969) ein Jahreseinkommen in der Höhe zwischen 4.510 und 9.020 Euro. Das große Geld machen nur einige wenige. Nur 125 der bei der KSK gemeldeten Musiker verdienen mehr als 50.000 Euro im Jahr.

Das Fazit: Aufgrund des Überangebots an Musikern haben unbekannte Künstler kaum eine Chance, bei Medienunternehmen vorteilhafte Vertragsbedingungen auszuhandeln. Sie sind deshalb auch keine Nutznießer einer strengen Urheberrechts-Schutz-Politik. Zu gering ist ihr Gewinnanteil im Vergleich zu dem Nutzen, der ihnen durch eine ungehinderte Verbreitung ihrer Werke entstehen könnte.

Keine Stärkung der kulturellen Basis

Auch die Allgemeinheit, erklärt der Autor der Studie, Martin Kretschmer, erleidet Schaden durch die gegenwärtige Copyright-Politik. Das Urheberrecht, so seine Schlussfolgerung, scheint die ungerechte Verteilung von Gewinnen auf dem Musikmarkt noch zu verstärken. Die Behauptung, dass das Urheberrecht die kulturelle Basis einer Gesellschaft am Leben erhalte, sei deshalb empirisch fragwürdig. Kulturelle Vielfalt werde durch das geltende Urheberrecht eher beseitigt als unterstützt.

Musiker: Mehr Studien lesen!

Zumindest für Musiker wird diese Erkenntnis nicht allzu neu sein. In einer Umfrage, die im Auftrag des Pew Internet & American Life Project durchgeführt wurde, bekannten 43 Prozent der Befragten, dass sie Tauschbörsen nicht als wirklich nachteilig für Künstler betrachteten, "da diese helfen würden, für die Arbeit der Künstler zu werben und sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen." Dafür, das Herunterladen und den digitalen Austausch von Musik und Filmen zu legalisieren, sprachen sich fünfunddreißig Prozent der bezahlten Künstler aus. Das sind jedoch immer noch deutlich weniger, als nach den vorgestellten Studien von einer Lockerung des Urheberrechtes profitieren würden.