Der letzte Ritt der Celluloid-Heros oder Filmkritik als Auslaufmodell

Oswald Spengler und die Feuchtgebiete II

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Die Filmkritik ist ja schon lange tot. Genauer: Seit 35 Jahren, als die Zeitschrift eingestellt wurde. Das war die Zeit, als Wim Wenders seinen Film "Paris, Texas" drehte. "Anscheinend war ich in einem anderen Film als Reinhard Baumgart. Aber wäre ich nicht selbst ins Kino gegangen, um mir die hochgerühmte und preisgekrönte Filmballade ‚Paris, Texas‘ von Wim Wenders anzusehen, dann wäre ich dank der behutsam suggestiven Erzähl- und Überredungskunst von Baumgart wahrscheinlich mit ihm in seinem Film gewesen." So schreibt der Filmkritiker Dieter Wellershoff am 15. Februar 1985 in der "Zeit" und widerspricht dabei seinem Filmkritiker-Kollegen. Und weiter: "In meinem Film ging ein Mann in einem schlechten, sagen wir karnevalistischen Trampkostüm meilenweit und nur deshalb nicht für Camel-Filter, weil er doch etwas zu unrasiert und depressiv aussah." Es war eine Debatte.

Der letzte Film, über den wir ein paar Worte gewechselt haben, als wir aus dem Kino kamen, war wohl "Toni Erdmann", glaube ich. Es ist nicht so, dass es keine guten Filme mehr gibt. Es ist aber so, dass sie nicht mehr wirklich wichtig sind. Die Dinge haben sich geändert.

Dabei hat das Kino schon einige Transformationen hinter sich. So veränderte der Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm das Medium in grundsätzlicher Weise, was auch das Aus für manchen Stummfilm-Star brachte. In den 1940er Jahren kam dann der Farbfilm auf, wenn auch der Schwarzweißfilm bis in die 1960er Jahre sich hielt. Zu dieser Zeit verzeichnete die Filmbranche allerdings einen massiven Einbruch, Grund dafür war die Verbreitung des Fernsehens. Doch das Kino überlebte, weil sich die Funktion des Medienkonsums änderte: Man ging jetzt in das Kino, um gemeinsam etwas zu erleben.

Neben den technischen Änderungen brachten die 1960er Jahre auch eine inhaltliche Neuerung. Dem Kino der Väter mit seinen etablierten Erzählweisen setzten die Jungen der "Nouvelle Vague" in Frankreich und dem jungen deutschen Kino eine neue Art von Film entgegen. Neben den Stars in den Filmen avancierten auch die Männer, seltener Frauen, hinter den Kameras zu öffentlichen Personen. Regisseure wie Rainer Maria Fassbinder oder Claude Lelouch wurden zum Gegenstand von Zeitungsartikeln und in ihrer Bekanntheit sonnten sich auch die Filmkritiker.

Die Filmkunst wurde zum gefeierten Gegenstand des Feuilletons, die sich wochenlangen Debatten um Filme wie Werner Herzogs "Aguirre, der Zorn Gottes" (mit Klaus Kinski und der Musik von Popol Vuh, 1972) hingaben. Bei Fassbinder gingen Film und Leben eine neue Melange ein und während wirkliches Geld mit Filmen wie "Winnetou I" (1963) oder "Der Hexer" (1964) verdient wurde, fütterten die jungen Filmemacher die Intellektuellen mit ellenlangen Einstellungen, kargen Monologen und Themen abseits des Mainstreams. Und aus den USA kamen "Easy Rider" (1969) oder "2001: Odyssee im Weltraum" (1968). Letzterer gibt zusammen mit Andrej Tarkowskijs "Solaris" (1972) ein Beispiel für philosophisch durchsetzte Science-Fiction-Filme.

Wo sich also noch Ansatzpunkte für eine Debatte oder zumindest Nachdenken anboten, ist Science Fiction mittlerweile zu einer mehr oder weniger technizistischen Show geworden. Und wenn in "Avatar" (2009) wirklich beeindruckende Bilder gezeigt werden, dann hat das auch mit der Drei-D-Technik zu tun, während die Rahmengeschichte die übliche dumpfbackige Militärideologie transportiert.

Freilich kann man die intellektuelle Film-Debatte dieser Jahre auch für aufgeblasen halten. Man muss nur einmal die Filmkritik von Andreas Kilb in der "Zeit" zu "Blue Velvet" (1986) von David Lynch nachlesen.

Inzwischen ist der Raum für Filmkritik geschwunden, jedenfalls was bedrucktes Papier anbelangt. Denn neben der "Filmkritik" sind auch andere medienkritische Zeitschriften vom Markt verschwunden, zum Beispiel das evangelische Fachmagazin "medium". Und Filmkritik ist mittlerweile oft auf ein Punktesystem (zwischen null und drei zum Beispiel) geschrumpft, um den Publikum zeitsparend das Urteil zu signalisieren. Bei Wikipedia kann man lesen: "Heute hat die Filmkritik kulturpolitisch an Bedeutung verloren, auch weil der Film als gesellschaftlicher Indikator mit zahlreichen anderen Medien konkurrieren muss." Gleichzeitig sei der Trend zu beobachten, dass die "Differenzierung der Geschmackskulturen zu einer Nivellierung der Filmpublizistik" führe.

Hintergrund dafür ist die massive Veränderung der medialen Angebotsweisen. Der Spielfilm, früher nur im Kino zugänglich, ist heute vielfach rezipierbar. Angefangen von den rund 20 Spielfilmen, die täglich auf den diversen Fernsehkanälen laufen über Internet-Anbieter wie Amazon oder Netflix bis hin zu den noch immer existierenden Videotheken. Hinzu kommen im Jahreslauf die diversen Filmfestivals in den Städten, sei es nun zum brasilianischen, tibetanischen oder tasmanischen Film. Es ist auch die schiere Fülle dieses Angebots, das mittlerweile jenseits von Ort und Zeit digital konsumierbar ist, wodurch das Medium Film der Bedeutung verlustig geht. Natürlich gibt es sie noch immer, die anregenden, aufregenden, verstörenden und die poetischen Filme. Manche davon laufen um 23.45 Uhr im Fernsehen. Gesellschaftliche Impulse aber gehen von ihnen nicht mehr aus.