Bolsonaros Welle

Bild: Fkraft-ew/CC BY-SA-3.0

Deutsche Welle feuert Schriftsteller J.P. Cuenca wegen dessen Kritik an Brasiliens Präsidenten. Auf Telepolis antwortet Cuenca der Sendeleitung

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Mehr als 100 Erstunterzeichner aus Deutschland und Brasilien haben in einem offenen Brief an die Deutsche Welle den Rausschmiss des brasilianischen Schriftstellers João Paulo Cuenca scharf kritisiert. Zuvor sprach der Auslandssender dem 42-Jährigen ohne vorherige Rücksprache und öffentlich die Kündigung einer regelmäßigen Kolumne im portugiesischsprachigen Angebot aus, nachdem er auf seinem privaten Twitter-Account den rechtsradikalen Präsidenten des südamerikanischen Landes, Jair Bolsonaro, kritisiert hatte. Die Deutsche Welle warf Cuenca daraufhin "Hassrede und Aufstachelung zur Gewalt" vor; der so Geschasste wehrte sich ebenfalls auf Twitter.

Während die Entlassung im Bolsonaro-Lager für Begeisterung sorgte, formiert sich Widerstand gegen die Entscheidung der Sendeleitung. Der offene Brief wurde von zahlreichen Journalisten und dem Vizepräsidenten des PEN-Clubs Deutschland, Ralf Nestmeyer, unterzeichnet.

Dabei ist nicht unwahrscheinlich, dass die Verantwortlichen im Hauptsitz des Senders in Bonn erstens einer Kampagne der brasilianischen Rechtsextremisten auf dem Leim gegangen sind und zweitens den Tweet nicht verstanden haben. Denn Cuenca schrieb über den Kurznachrichtendienst: "Die Brasilianer werden erst frei sein, wenn der letzte Bolsonaro an den Gedärmen des letzten Pfarrers der Universalkirche erhängt wird."

Harter Tobak, sicher, aber eben auch die Paraphrasierung eines historischen Zitats. Anfang des 18. Jahrhunderts hatte der Franzose Jean Meslier, der sich vom katholischen Priester zum Religionskritiker gewandelt hatte und der frühen Aufklärung zugerechnet wird, das Zitat in seinem Werk "Mèmoire" angeführt: "Il serait juste que les grands de la terre et que tous les nobles fussent pendus et étranglés avec les boyaux de prêtres", also etwa: "Es wäre gerecht, dass alle Großen der Erde und alle Adligen mit den Gedärmen der Priester erhängt und erwürgt werden sollten."

Cuencas Bolsonaro-Abwandlung bezog sich - ähnlich motiviert - auf die massive Unterstützung der amtierenden brasilianischen Regierung für die Igreja Universal do Reino de Deus. Diese sektenähnliche evangelikale Massenbewegung gehört zu den wichtigsten Unterstützern der Bolsonaro-Führung - und wurde dafür unlängst mit Millionenmitteln aus der Staatskasse bedacht.

Cuencas Kritik daran grämte die Bolsonaro-Führung offenbar ebenso, wie sie sein öffentlicher Rauswurf freute. Der Kongressabgeordnete und Präsidentensohn Eduardo Bolsonaro beglückwünschte den deutschen Auslandssender auf Twitter persönlich zu der Entscheidung. Zuvor hatten Vertreter des Bolsonaro-Lagers eine massive Kampagne gegen Cuenca gestartet.

Auf den Rausschmiss und den Jubel bei Brasiliens Rechtsextremisten reagierten nun deutsche und brasilianische Wissenschaftler, Journalisten, Künstler sowie Aktivisten. Man könne darüber diskutieren, ob Cuencas Spiel mit dem historischen Zitat gelungen oder geschmacklos, schlecht formuliert oder schlecht kontextualisiert war, schreiben sie in dem offenen Brief, der Telepolis vorab vorlag: "Wenn man das Werk von João Paulo Cuenca kennt, kann dieser Satz jedoch nicht als Aufstachelung zum Hass interpretiert werden. Aus diesem Grund hat die einseitige Entscheidung der Deutschen Welle bei uns Besorgnis in Bezug auf Meinungsfreiheit und Zensur ausgelöst." Die Deutsche Welle solle ihre Entscheidung überdenken, schließlich sei Cuenca eine "unverzichtbare Stimme, um die Verbrechen gegen die Menschenrechte, antidemokratische Maßnahmen und Machtmissbrauch brasilianischer Politiker anzuprangern".

Telepolis bat Cuenca, seine Version der Geschehnisse aufzuschreiben. Hier seine Replik an die Deutsche Welle, exklusiv und erstmals auf Deutsch:

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